#21: Wiedervereinigung: Die Enteignung der Ostdeutschen | mit Martyna Linartas
Shownotes
35 Jahre ist die deutsche Wiedervereinigung her – doch von einer Angleichung der ökonomischen Lebensverhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland kann keine Rede sein. So sind zwar manche Unterschiede kleiner geworden, doch im Großen und Ganzen gilt weiterhin: Im Osten sind Löhne, Erbschaften und Vermögen deutlich geringer und prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Armut größer als im Westen. Wir schauen genauer auf das Ausmaß dieser Ungleichheit, was die Treuhand und die schockartige Einführung der privaten Marktwirtschaft damit zu tun hatten und wie man heute gegensteuern müsste. Zu Gast in dieser Folge ist die Ungleichheitsforscherin Martyna Linartas.
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Alle Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung: www.rosalux.de/podcasts
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Shownotes:
Linartas, Martyna (2025): Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann. Reinbek. Schaut gerne auch in Martynas Projekt Home | ungleichheit.info
Luft, Christa (1996): Die Lust am Eigentum. Auf den Spuren der deutschen Treuhand. Zürich.
Liedtke, Rüdiger (Hg.) (1993): Die Treuhand und die zweite Enteignung der Ostdeutschen. München.
Ausstellung der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale“ samt begleitender Ausstellungsbroschüre
Mau, Steffen (4. Aufl. 2024): Ungleich vereint: Warum der Osten anders bleibt. Berlin.
Sabine bei Jung & Naiv (Folge 782): https://www.youtube.com/watch?v=_NqOn2BCVOM
Transkript anzeigen
Sabine Nuss: Herzlich willkommen zur 21. Folge von Armutszeugnis, dem Wirtschaftspodcast
Sabine Nuss: der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hallo Eva.
Eva Völpel: Hallo Sabine.
Sabine Nuss: Hallo alle, die uns zuhören. Und hallo Letizia.
Laetitia : Hallo Sabine.
Sabine Nuss: Letizia ist heute ausnahmsweise mit hier im Studio. Sie ist Praktikantin derzeit
Sabine Nuss: bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Laetitia : Ja, das ist richtig.
Sabine Nuss: Genau. Und macht heute mal so ein bisschen mit oder hört zu.
Sabine Nuss: Ich möchte gern kurz vorausschicken, dass wir hier im Haus den Abbau der großen
Sabine Nuss: Mietenkonferenz der Partei Die Linke, die am Wochenende war, hatten.
Sabine Nuss: Das heißt, wenn es zwischendurch mal ein bisschen rumpelt oder scheppert,
Sabine Nuss: lasst euch nicht davon irritieren.
Sabine Nuss: So, zum Thema. Wir hatten gerade, heute ist der 6. Oktober und wir hatten jetzt gerade am 3.
Sabine Nuss: Oktober, wie jedes Jahr, den Feiertag zur sogenannten Wiedervereinigung.
Sabine Nuss: Und hat sich jetzt 35 Jahre gejährt, wo sozusagen der sogenannte Beitritt der
Sabine Nuss: DDR zur Bundesrepublik begangen wurde.
Sabine Nuss: An diesem Tag wurde er offiziell besiegelt und das ist so ein bisschen der Anlass,
Sabine Nuss: aus dem heraus wir uns mit der Frage nochmal näher beschäftigen wollen,
Sabine Nuss: was ist eigentlich mit den blühenden Landschaften, die der damalige CDU-Bundeskanzler
Sabine Nuss: Helmut Kohl in dem damaligen Wahlkampf 1990 vollmundig versprochen hat.
Sabine Nuss: Und zugleich hatten wir jetzt auch gerade in den Medien die neue Ostbeauftragte
Sabine Nuss: der Bundesregierung, Elisabeth Kaiser, SPD.
Sabine Nuss: Die hat sich im Zuge der Vorstellung des jährlichen Lageberichts auch eben zum
Sabine Nuss: Jahrestag der Deutschen Einheit geäußert.
Sabine Nuss: Und sie ist in dieser Äußerung, in diesem Pressestatement zu dem Schluss gekommen,
Sabine Nuss: Vermögen wird nicht durch Leistung aufgebaut.
Sabine Nuss: Habe ich mich natürlich gefreut, das mal so deutlich zu hören.
Sabine Nuss: Und sie hat auch gesagt, eine Herkunft aus Ostdeutschland bedeutet überdurchschnittlich
Sabine Nuss: oft ein Aufwachsen in Familien mit niedrigem Einkommen und aber auch mit wenig
Sabine Nuss: oder gar keiner Vermögensbildung.
Sabine Nuss: Das ist ein ziemlich klarer Befund und von dieser vielbeschworenen Angleichung
Sabine Nuss: Ost-West, die ja auch etliche Bundesregierungen immer wieder versprochen haben,
Sabine Nuss: ist keine Rede. Kann auch gar keine Rede sein.
Sabine Nuss: Eva, du hast dich jetzt aus Anlass dieses runden Jahrestages mal genauer angeschaut,
Sabine Nuss: wie groß ist eigentlich mittlerweile die ökonomische Kluft zwischen West- und
Sabine Nuss: Ostdeutschland und hast dafür mit der derzeit ja auch in aller Munde mit der
Sabine Nuss: bekannten Ungleichheitsforscherin Martina Linatas gesprochen.
Sabine Nuss: Aber vielleicht sagst du uns nochmal erstmal ganz kurz, wie bist du jetzt mal
Sabine Nuss: jenseits dieses Jahrestags überhaupt auf dieses Thema gekommen?
Eva Völpel: Also ich habe mich in letzter Zeit sowieso nochmal ein bisschen ausführlicher
Eva Völpel: mit Zahlen und Fakten zur ökonomischen Spaltung in Deutschland befasst.
Eva Völpel: Und da fand ich es doch interessant und bin auch nochmal so drüber gestolpert,
Eva Völpel: wie groß eben noch die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland ist,
Eva Völpel: wenn man sich das anschaut.
Eva Völpel: Und genau, du hast es erwähnt, es ist natürlich ein Jahrestag und auch meine
Eva Völpel: KollegInnen aus der Redaktion der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben sich das Thema
Eva Völpel: vorgeknöpft und machen ein Monatsdossier, also einen Schwerpunkt zu diesem Thema.
Eva Völpel: Und da habe ich dann tatsächlich gedacht, ach, dann machen wir doch auch mal
Eva Völpel: einen Podcast zu dem Thema und vertiefen das ein bisschen.
Eva Völpel: Und von daher schaut gerne auch mal auf die Seiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Eva Völpel: Auf der Startseite findet ihr das Monatsdossier mit dem Titel Ungleiches Erbe.
Eva Völpel: Ja, und als ich mich dann jetzt nochmal für den Podcast ein bisschen intensiver
Eva Völpel: mit dem Thema beschäftigte,
Eva Völpel: Da ist mir schnell klar geworden, wir müssen halt nicht nur über Zahlen sprechen,
Eva Völpel: sondern vor allen Dingen darüber, wie die Schockstrategie, mit der die private
Eva Völpel: Marktwirtschaft in Ostdeutschland eben
Eva Völpel: eingeführt wurde im Zuge der Wiedervereinigung, wie die ausgesehen hat.
Eva Völpel: Denn die hat sehr, sehr viel damit zu tun, wie die ungleichen Zustände bis heute
Eva Völpel: noch sind und eben sich verfestigt haben.
Sabine Nuss: Du hast jetzt von Schockstrategie gesprochen. Das ist ein Begriff,
Sabine Nuss: der zurückgeht auf ein Buch von Naomi Klein.
Sabine Nuss: Das Buch hieß auch Schockstrategie, aber es ist 2007 erst erschienen.
Sabine Nuss: Also erst sage ich jetzt, weil die eigentliche Transformation von Sowjetunion
Sabine Nuss: und DDR war ja etliche Jahre früher.
Sabine Nuss: Und Schockstrategie bei Naomi Klein bezieht sich eben, sie beschreibt darin
Sabine Nuss: sehr genau den Siegeszug des Neoliberalismus und zwar nach bestimmten Katastrophen,
Sabine Nuss: also Kriege, Naturkatastrophen, Militärputsche.
Sabine Nuss: Auch Wirtschaftskrisen.
Sabine Nuss: Sie benennt tatsächlich auch die Transformation Sowjetunion und Ostdeutschland
Sabine Nuss: als sowas ähnliches, wo sozusagen etwas Einschneidendes passiert,
Sabine Nuss: was dann genutzt wird, um neoliberale Reformen in ziemlicher Geschwindigkeit durchzusetzen.
Sabine Nuss: Es gibt einen anderen Begriff, der heißt Schocktherapie und der geht zurück auf Jeffrey Sachs.
Sabine Nuss: Das ist ein US-Ökonom gewesen, der auch tatsächlich damals die russischen Ökonominnen
Sabine Nuss: und Ökonomen beraten hat, der auch ein Buch geschrieben hat,
Sabine Nuss: wie man damals auch in Polen die Schocktherapie durchsetzen müsste.
Sabine Nuss: Die beschreibt aber was ganz ähnlich, was auch Naomi beschrieben hat,
Sabine Nuss: nämlich der total schnelle Übergang von der damaligen staatssozialistischen
Sabine Nuss: Planwirtschaft in Marktwirtschaft und Demokratie mit den dann für die zeitüblichen
Sabine Nuss: Instrumente wie Preisfreigabe,
Sabine Nuss: Privatisierung und, und, und.
Sabine Nuss: Also das ist so ein bisschen die Einordnung der Begriffe Schocktherapie und Schockstrategie.
Sabine Nuss: Und man kann jetzt ja bei Ostdeutschland, wo wir jetzt auch die Konzentration
Sabine Nuss: drauf haben heute in dieser Folge,
Sabine Nuss: jetzt nicht so Sowjetunion, sondern Ostdeutschland, sagen, dass das ja eigentlich
Sabine Nuss: jetzt nicht so ein Katastrophenereignis war, sondern es war,
Sabine Nuss: und so wird es ja auch genannt, eine friedliche Revolution.
Eva Völpel: Da hast du völlig recht. Es war eine friedliche Revolution und sehr viele Menschen
Eva Völpel: im Osten hatten ja tatsächlich, ich sag mal salopp formuliert,
Eva Völpel: die Schnauze voll von diesem Einparteienregime.
Eva Völpel: Den autoritären Zuständen in der DDR. Und ich meine, klar, viele wollten auch,
Eva Völpel: längst nicht alle, aber viele wollten eben auch möglichst schnell so leben wie
Eva Völpel: im Westen und dieses Wohlstandsmodell haben wie im Westen.
Eva Völpel: Aber ich glaube, den Fokus, den muss man anders setzen. Also wenn man sich anschaut,
Eva Völpel: wie eben die ökonomische Wiedervereinigung vollzogen wurde, wie rasch die auch
Eva Völpel: durchgezogen worden ist, trotz eben auch gewichtiger Einwände sowohl aus dem
Eva Völpel: Osten als auch zum Teil aus dem Westen.
Eva Völpel: Und wenn man sich halt auch anschaut, welche Alternativkonzepte an die Wand
Eva Völpel: gedrückt wurden, also sowohl was so zeitliche Abläufe abgeht,
Eva Völpel: aber vor allen Dingen dann auch Eigentumsformen, also Alternativen für eine
Eva Völpel: andere Eigentumsordnung.
Eva Völpel: Und welche Folgen das natürlich hatte für die Leute, also Arbeitslosigkeit.
Eva Völpel: Deindustrialisierung, dann wird schon sehr schnell klar, das war eine Schockstrategie.
Eva Völpel: Und es ging vor allem der westdeutschen Regierung unter Helmut Kohl damals darum,
Eva Völpel: einfach sehr, sehr schnell und unwiderruflich Fakten zu schaffen und eben die
Eva Völpel: private Marktwirtschaft à la BRD einzuführen, kostet es, was es wolle.
Eva Völpel: Und klar, ich meine, Helmut Kohl oder sozusagen diese politische Ebene oder
Eva Völpel: die politische Gruppe, Die waren ja nicht die einzigen Player da drin,
Eva Völpel: das schon mal vorweggeschickt.
Eva Völpel: Es ist auch interessant, sich die Ökonominnen als Stichwortgeber dann auch der
Eva Völpel: damaligen CDU-FDP-Regierung in Westdeutschland ein bisschen genauer anzugucken.
Eva Völpel: Denn bei denen oder vielen von denen ging es sozusagen um den Traum jetzt in
Eva Völpel: der DDR so eine reinere Form von Marktwirtschaft durchsetzen zu können.
Eva Völpel: Die waren also immer noch unzufrieden mit dem, was es in der Bundesrepublik gab.
Eva Völpel: Unter anderem wird da gewettert gegen so staatsmonopolistische Strukturen.
Eva Völpel: Da solle man den Fehler eben nicht mehr begehen und in der DDR das gar nicht
Eva Völpel: erst wieder sozusagen entstehen lassen.
Eva Völpel: Das geht darauf zurück, dass Anfang der 80er Jahre in der alten Bundesrepublik
Eva Völpel: ja noch weitere Bereiche, als wir es heute kennen, eben in staatlichem Besitz
Eva Völpel: oder als staatliche Monopole existierten.
Eva Völpel: Und da haben manche Ökonominnen also sozusagen ihre Chance gewittert und gesagt,
Eva Völpel: ah super, hier können wir jetzt eine ganz andere marktwirtschaftliche Ordnung,
Eva Völpel: also eine strengere oder radikalere marktwirtschaftliche Ordnung nochmal durchsetzen.
Eva Völpel: Und vielleicht ist das auch nochmal als Kontext interessant.
Eva Völpel: Es gab ja in der Bundesrepublik seit Kohls Amtsantritt 1982 sowieso die Parole
Eva Völpel: von der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft.
Eva Völpel: Das war ausgerufen worden nach der globalen Rezession 1982.
Eva Völpel: Und da hatte man schon eine ganze Latte von Sozialkürzungen und auch jetzt hier
Eva Völpel: so Senkung der Unternehmenssteuern.
Eva Völpel: Aber das ging manchen Ökonominnen eben einfach nicht weit genug.
Eva Völpel: Ein anderer wichtiger Player sind natürlich dann die,
Eva Völpel: Die Kapitaleignerinnen und Eigner, also die Konzernzentralen in Westdeutschland,
Eva Völpel: da werden wir auch sehen, die hatten auch ganz handfeste materielle Interessen
Eva Völpel: eben in diesem Prozess der Wiedervereinigung.
Sabine Nuss: Genau, da kommen wir nochmal näher drauf zu sprechen nachher.
Sabine Nuss: Jetzt bin ich erstmal gespannt.
Sabine Nuss: Vielleicht lass uns mal einsteigen mit einer Bestandsaufnahme erstmal,
Sabine Nuss: so ein Blick auf die heutige Situation.
Sabine Nuss: Wie groß ist denn jetzt die Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland und auf
Sabine Nuss: welchen Feldern kann man das vor allen Dingen ganz gut sehen, Eva?
Eva Völpel: Da hören wir jetzt direkt mal rein in das Gespräch, das ich mit Martina Linatas geführt habe.
Eva Völpel: Wie gesagt, sie forscht zum Thema Ungleichheit und vor kurzem ist ja auch ihr
Eva Völpel: wirklich sehr empfehlenswertes Buch erschienen und verdiente Ungleichheit,
Eva Völpel: wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann.
Eva Völpel: Da könnt ihr also auch gerne mal reingucken, wir verlinken das auch.
Eva Völpel: Genau, und Martina Linatas sagt zur heutigen Kluft zwischen Ost und West Folgendes.
Martyna Linartas: Wenn man sich die Kluft zwischen Ost und West anschaut, dann sehen wir nach
Martyna Linartas: wie vor auch über 30 Jahre, fast 35 Jahre nach der Wiedervereinigung,
Martyna Linartas: auch immer entlang sehr, sehr vieler verschiedener Bereiche,
Martyna Linartas: dass wir eben noch eine große Schere haben.
Martyna Linartas: Ob das jetzt bei Einkommen ist, sogar bei gleicher Qualifikation,
Martyna Linartas: ob es sich um Vermögen handelt, ob es sich um Erbschaften handelt.
Martyna Linartas: Das sind alles sehr, sehr große Lücken, die wir beobachten, die leider auch
Martyna Linartas: nicht wirklich, wirklich kleiner geworden sind über die letzten Jahre.
Martyna Linartas: Also es gab mal ein, da waren wir auf einem guten Weg gerade bei Einkommen.
Martyna Linartas: Das lag am Mindestlohn. Für die Menschen im Osten hat es auch große Sprünge nach oben bedeutet.
Martyna Linartas: Aber aktuell ist es so, dass selbst bei gleicher Qualifikation Menschen im Osten
Martyna Linartas: etwa 17 Prozent weniger verdienen als Menschen im Westen.
Martyna Linartas: Und das Medianvermögen, also das Vermögen, wenn man schaut, welche Hälfte hat
Martyna Linartas: mehr und dann hat die andere Hälfte weniger, das liegt zum Beispiel im Westen bei knapp 128.000 Euro.
Martyna Linartas: Und ist damit dreimal so hoch wie das Vermögen im Osten, wo es nur 43.000,
Martyna Linartas: ein bisschen mehr als 43.000 Euro sind.
Martyna Linartas: Ich könnte auch noch so weitermachen, das gleiche können wir uns auch bei Erbschaften
Martyna Linartas: anschauen. Auch da sind eklatante Ungleichheiten auszumachen.
Martyna Linartas: Die Ostdeutschen erhalten nicht nur seltener, sondern auch kleinere Erbschaften.
Martyna Linartas: Die Erbsommen zum Beispiel in Westdeutschland, die liegen bei ungefähr 92.000
Martyna Linartas: Euro und damit weit über den Ostdeutschland, wo es nur um die 52.000 Euro sind.
Martyna Linartas: Und wenn man sich mal anschaut, auch gerade Immobilien, sehr,
Martyna Linartas: sehr wichtig, weil die häufig einen großen Wert haben.
Martyna Linartas: Es werden im Osten seltener Immobilien vererbt und wenn Immobilien vererbt werden,
Martyna Linartas: dann sind die auch weniger wert.
Martyna Linartas: Also es gibt bei Erbfällen ist es so, dass Osten nur etwa jeder dritte Erbfälle
Martyna Linartas: bekommt eine Immobilie. Im Westen ist es jeder zweite.
Martyna Linartas: Naja und die Immobilien im Westen, die kriegt man auch auf dem Markt einfach
Martyna Linartas: für einen höheren Wert los.
Martyna Linartas: Ja, wenn man sich das anschaut, wie sich Vermögensungleichheit generell entwickelt,
Martyna Linartas: da muss man immer im Blick haben, dass Erbschaften und Schenken eine gigantisch große Rolle spielen.
Martyna Linartas: Und jetzt bekommen quasi im Westen die Menschen, also allen voran die Boomer-Generation,
Martyna Linartas: erhält quasi die ersten großen Erbschaften und Schenkungen, die nach dem Zweiten
Martyna Linartas: Weltkrieg aufgebaut worden sind.
Sabine Nuss: Ja, das sind jetzt tatsächlich krasse Zahlen und ziemlich deutliche Unterschiede.
Sabine Nuss: Das war jetzt aber bezogen auf die gesamte Bevölkerung in Ostdeutschland,
Sabine Nuss: wenn ich das richtig verstanden habe.
Sabine Nuss: Ich habe aber auch irgendwie mal gelesen, dass die Ungleichheit sich umso mehr
Sabine Nuss: zeigt, je mehr man sich der Spitze der Vermögensverteilung nähert, oder?
Eva Völpel: Ja, das ist ein klarer Befund. Also die Schere zwischen Ost und West,
Eva Völpel: die geht vor allem am oberen Ende der Verteilung nochmal deutlicher auf.
Eva Völpel: Und da spielen vor allem die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen eine Rolle.
Eva Völpel: Also die Frage, habe ich viel Betriebsvermögen oder eben Vermögen an den Finanzmärkten,
Eva Völpel: das mir stetig hohe Profite abwirft oder habe ich es eben nicht?
Eva Völpel: Und Martina Linatas, die erwähnt dazu in ihrem Buch übrigens auch nochmal ein
Eva Völpel: sehr schönes plastisches Beispiel.
Eva Völpel: Die sagt nämlich, zwischen 2009 und 2020 wurden in Deutschland Unternehmensanteile
Eva Völpel: in einer Höhe von insgesamt 409 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt.
Eva Völpel: Übrigens quasi steuerbefreit, weil wir so eine krasse Erbschaftssteuerregelung
Eva Völpel: haben, die vor allem die obersten VermögenshalterInnen irgendwie extrem begünstigt.
Eva Völpel: Aber von all diesen vererbten oder verschenkten Unternehmensvermögen gingen
Eva Völpel: gerade mal 1,7 Prozent an Menschen in Ostdeutschland, obwohl die rund 15 Prozent
Eva Völpel: der gesamten Bevölkerung ausmachen.
Eva Völpel: Und in 170 Fällen wurden jeweils 250 Millionen Euro weitergegeben.
Eva Völpel: Und in Ostdeutschland gab es keinen einzigen solchen Fall.
Eva Völpel: Also das ist alles in Westdeutschland weitergereicht worden.
Eva Völpel: Und das zeigt uns eben diese Riesenvermögen und damit auch die großen Betriebe,
Eva Völpel: die konzentrieren sich in Westdeutschland.
Eva Völpel: Und im Osten ist der Unternehmensbesitz bis heute eben viel,
Eva Völpel: viel kleiner und es sind auch oft Betriebe, die erst nach der Wende gegründet wurden,
Eva Völpel: vor allem so in Branchen wie Einzelhandel, Gastgewerbe oder Catering,
Eva Völpel: das sind ja dann auch keine Betriebsarten, die so total abgehobene Cash-Cows
Eva Völpel: sind, also wo die Millionen nur so rausströmen.
Eva Völpel: Und das heißt, diese kleineren Unternehmen, die werfen natürlich auch weniger
Eva Völpel: Gewinne ab und das erklärt unter anderem, was auch die Ökonominnen Charlotte
Eva Völpel: Bartels und Theresa Neff herausgefunden haben,
Eva Völpel: nämlich dass westdeutsche Spitzenverdiener, also die Top 1 Prozent,
Eva Völpel: doppelt so viel verdienen wie ostdeutsche Spitzenverdiener.
Eva Völpel: Im Westen sind das 650.000 Euro im Jahr und im Osten so rund 325.000 Euro.
Eva Völpel: Also das ist eben auch, daran sieht man an der obersten Spitze der Vermögensverteilung
Eva Völpel: ein krasser Unterschied.
Sabine Nuss: 650.000 Euro im Jahr. Genau. Das will ich auch.
Eva Völpel: Ich auch, Sabine. Ich auch.
Sabine Nuss: Was muss ich tun? Die reichen auf die 350.000.
Eva Völpel: Naja, du hättest dabei sein müssen, als irgendwie die Eigentumsordnung anders durchgesetzt wurde.
Sabine Nuss: Shit.
Eva Völpel: Weil ich meine, das ist wirklich der maßgebliche Treiber für diese Entwicklung.
Eva Völpel: Diese nach der Wende durchgesetzte neue Eigentumsordnung im Osten und ein ganz
Eva Völpel: zentraler Player dabei, auf den wir heute auch nochmal genauer gucken,
Eva Völpel: das ist eben die im Osten bis heute bei vielen so verhasste Treuhandanstalt,
Eva Völpel: die diese neue Eigentumsordnung quasi durchgesetzt hat, die das organisieren musste.
Eva Völpel: Und dabei ist es dann eben dazu gekommen, dass die riesige Mehrheit der privatisierten
Eva Völpel: Betriebe oder auch Immobilien eben an westdeutsche Investoren verkauft wurde
Eva Völpel: und oft genug auch zu Spottpreisen.
Sabine Nuss: Vielleicht noch ganz kurz ein Wort zur Treuhandanstalt, die,
Sabine Nuss: wie du ja schon gesagt hast, nicht ganz so beliebt ist.
Sabine Nuss: Die hat im Juli 1990 ihre Arbeit aufgenommen und sie hatte offiziell auch die
Sabine Nuss: Aufgabenstellung bekommen, das ostdeutsche Volkseigentum zu privatisieren.
Eva Völpel: Mm-hmm.
Sabine Nuss: Aber apropos Volkseigentum, ich habe es ja auch schon so ein bisschen mit unsichtbaren
Sabine Nuss: Anführungsstrichen gesagt, was war das eigentlich, Volkseigentum in der DDR?
Eva Völpel: Ja, das war sehr, sehr viel. Ich habe mir da nochmal den Artikel in der Verfassung der DDR angeguckt.
Eva Völpel: Und da sind dann eben aufgezählt die Industriebetriebe, die Bodenschätze,
Eva Völpel: die Bergwerke, die Kraftwerke, die Talsperren und großen Gewässer,
Eva Völpel: die Banken und Versicherungen, die Verkehrswege, die Transportmittel wie Eisenbahn,
Eva Völpel: Seeschifffahrt, Luftfahrt,
Eva Völpel: Post- und Fernmeldeanlagen.
Eva Völpel: Also das war alles Volkseigentum.
Sabine Nuss: Es hat aber nicht alles dem Volk gehört.
Eva Völpel: Nein, es war ein staatlicher Hand, das muss man natürlich sagen.
Eva Völpel: Volkseigentum ist natürlich ein Begriff, schön wäre es gewesen. Genau.
Eva Völpel: Und das durfte eben laut Verfassung der DDR nicht privatisiert werden,
Eva Völpel: bis eben die Wende und dann die Treuhand kam.
Eva Völpel: Und zur Treuhand würde ich jetzt gerne auch nochmal ein paar Gedanken von Martina
Eva Völpel: Linatas hier einspielen.
Eva Völpel: Ich hatte sie ja auch gefragt, welche Gründe sieht sie vor allem für die große
Eva Völpel: Ungleichheit zwischen Ost und West, die immer noch existiert.
Eva Völpel: Man müsste da natürlich jetzt über noch ganz viele weitere Gründe sprechen,
Eva Völpel: also vor allem auch historisch gewachsene und strukturelle und ökonomische Unterschiede
Eva Völpel: zwischen der DDR und der BRD-Gesellschaft, also Entwicklungen,
Eva Völpel: die auch nach dem Zweiten Weltkrieg dann eingesetzt haben,
Eva Völpel: weil ja klar ist, die DDR war natürlich ganz anders aufgestellt vom Wirtschaftssystem
Eva Völpel: her, von der Eigentumsordnung, aber auch ganz anders eingebunden in den osteuropäischen
Eva Völpel: beziehungsweise sowjetischen Wirtschaftsraum.
Eva Völpel: Das lassen wir jetzt hier aber mal alles weg.
Eva Völpel: Wer möchte, kann dazu ein bisschen mehr erfahren in einem sehr interessanten
Eva Völpel: Buch. Das stellen wir auch in die Shownotes und zwar im Buch von Christa Luft.
Eva Völpel: Die war ihres Zeichens erste und letzte Wirtschaftsministerin der DDR in der
Eva Völpel: kurzen Reformregierung unter Hans Modrow.
Eva Völpel: Und die hat ein Buch geschrieben, das heißt Die Lust am Eigentum.
Eva Völpel: Und da kann man das nochmal sehr anschaulich auch ein bisschen nachlesen,
Eva Völpel: wie die DDR insgesamt wirtschaftlich aufgestellt war.
Eva Völpel: Aber mit Martina Lunatas, da habe ich dann eben vor allem auf die Weichenstellungen
Eva Völpel: aus der jüngeren Geschichte geschaut.
Eva Völpel: Also eben Stichwort 35 Jahre Wiedervereinigung. Und da hören wir jetzt nochmal rein.
Martyna Linartas: Das hat jetzt aber nicht nur damit zu tun, dass man sagen kann,
Martyna Linartas: ja sind die Aussichtshalt selbst schuld, die Leute aus der DDR.
Martyna Linartas: Sondern auch sehr, sehr viel damit, wie die Politik betrieben wurde,
Martyna Linartas: direkt nach der Wiedervereinigung.
Martyna Linartas: Das heißt, es gab durchaus Konzepte, wo man sich überlegt und angeschaut hat,
Martyna Linartas: wie kriegen wir das gerecht geregelt, wenn jetzt Ostdeutschland und Westdeutschland
Martyna Linartas: wieder vereint sein sollen.
Martyna Linartas: Und BürgerrechtlerInnen haben sich damals vor allem dafür stark gemacht,
Martyna Linartas: dass das sogenannte Volkseigentum zu 16 Millionstel, also auf die 16 Millionen
Martyna Linartas: BürgerInnen und Bürger in Osten gleichermaßen verteilt wird.
Martyna Linartas: Dann hätten alle was von dem Kuchen abbekommen, der gemeinsam aufgebaut,
Martyna Linartas: der gemeinsam gebacken wurde.
Martyna Linartas: Aber stattdessen hat dann allen voran aus Westdeutschland, kam es dann eben unter Druck nicht dazu.
Martyna Linartas: Dass das Volkseigentum gerecht verteilt wurde, sondern am Ende wurde es schlussendlich
Martyna Linartas: doch an die Maisbietenden verkauft.
Martyna Linartas: Was ganz schön blöd ist, weil die Menschen im Osten einfach gar nicht das Geld
Martyna Linartas: hatten, um mitbieten zu können.
Martyna Linartas: Zwei Aspekte sind in der Hinsicht sehr wichtig. Also zum einen kam es wirklich
Martyna Linartas: nicht zu dieser Verteilung von dem Volkseigentum, sondern vor allem eine Protagonistin
Martyna Linartas: war da besonders bedeutend im Zuge der Wiedervereinigung, nämlich die Treuhand.
Martyna Linartas: Die Treuhand wurde gebildet und hat sich dann darum gekümmert,
Martyna Linartas: was mit diesem Volkseigentum geschieht.
Martyna Linartas: Und es war eine durchaus, ich würde so sagen, unterm Strich durchaus vernichtende
Martyna Linartas: Bilanz, was dann daraus passiert ist.
Martyna Linartas: Sie wurde nämlich zur Eigentümerin von 8000 Kombinaten und Betrieben,
Martyna Linartas: die zügig reorganisiert, zerschlagen und privatisiert werden sollten.
Martyna Linartas: Für 50.000 Immobilien, etwa 10.000 Firmen und mehr als 25.000 Kleinbetriebe
Martyna Linartas: suchte die Treuhand nach EigentümerInnen.
Martyna Linartas: Und diese waren dann aber nicht eben Einfahrern aus Ostdeutschland,
Martyna Linartas: sondern 85 Prozent des gesamten einstigen Volkseigentums ging an Westdeutsche.
Martyna Linartas: 10 Prozent wurden von internationalen Investoren gekauft und nur 5 Prozent blieben
Martyna Linartas: im ostdeutschen Besitz.
Martyna Linartas: Also es wurde wirklich alles unter den Hammer gepackt, so wer bietet mehr,
Martyna Linartas: aber da konnten die Ostdeutschen einfach nicht mitgehen.
Martyna Linartas: Und das ist etwas, was wir auch nach wie vor strukturell immer noch sehr,
Martyna Linartas: sehr stark beobachten, dass wir deswegen einfach generell weniger Vermögen haben,
Martyna Linartas: weniger Privatvermögen in Ostdeutschland, Was nun, da wir eine Erbwelle beobachten,
Martyna Linartas: sich auch sehr deutlich zeigt.
Martyna Linartas: Nämlich in dem Sinne, dass in Westdeutschland die Erbschaften und Schenkungen
Martyna Linartas: immer größer werden, wohingegen die in Ostdeutschland durchaus klein bleiben.
Martyna Linartas: Und dadurch verschärfen sich auch diese Ungleichheiten. Dadurch werden sie quasi zementiert.
Sabine Nuss: Krass, 85% des volkseigenen Vermögens in der DDR gingen an Westdeutsche,
Sabine Nuss: nur 5% an Ostdeutsche, da wundert dich eigentlich nichts mehr.
Sabine Nuss: Aber jetzt muss ich mal dazu sagen...
Sabine Nuss: So grob war mir das klar, aber in dieser Zahl war mir das nicht klar.
Sabine Nuss: Das ist wirklich echt krass. Ich finde es aber gut, dass die Konzentration hier
Sabine Nuss: auf mal genau die Verfügungsgewalt über Betriebsvermögen geht, weil nur das ist das,
Sabine Nuss: was Reichtum vermehren lässt, wenn du Eigentum hast, wieder im Marxischen Sinne
Sabine Nuss: Produktionsmittel zu sprechen.
Sabine Nuss: Hier sieht man das total deutlich, dass das eben zu einer großen Ungleichheit
Sabine Nuss: führt. Finde ich super spannend.
Sabine Nuss: Auch die Idee, dass man ursprünglich gesagt hat, man möchte es an alle Bürgerinnen
Sabine Nuss: und Bürger verteilen, ist auch interessant.
Sabine Nuss: Interessant, was dann daraus geworden wäre.
Sabine Nuss: Da kann ich vielleicht ganz kurz einschieben, dass das genau das war,
Sabine Nuss: was sie ja in der Sowjetunion gemacht haben.
Sabine Nuss: Also unter Boris Jelzin, der hat gesagt, wir wollen nicht nur eine Handvoll
Sabine Nuss: von Millionären, sondern Millionen von Eigentümern.
Sabine Nuss: Und die haben dann damals solche Vouchers verteilt an alle Bürgerinnen und Bürger,
Sabine Nuss: was dann am Ende dazu geführt hat, dass ein Großteil der Leute die weiterverkauft
Sabine Nuss: hat, weil sie Geld gebraucht haben.
Sabine Nuss: Und dann hat sich dort auch das Vermögen konzentriert wieder.
Sabine Nuss: Das ist mir jetzt noch dazu eingefallen. Aber so weit ist es ja sowieso nicht
Sabine Nuss: gekommen, Eva, in Ostdeutschland.
Eva Völpel: Nee, in Ostdeutschland ist die Geschichte ganz anders verlaufen.
Eva Völpel: Aber ich finde, es lohnt sich, diese verschwundenen Konzepte für Alternativen
Eva Völpel: zumindest nochmal ein kleines bisschen sich genauer anzuschauen.
Eva Völpel: Und ich glaube, es ist ganz hilfreich, vorab nochmal eine kleine zeitliche Einsortierung
Eva Völpel: zu bekommen, weil es waren ja durchaus sehr stürmische politische Zeiten,
Eva Völpel: damals Ende 1989, Anfang 1990.
Eva Völpel: Also wir hatten seit ca. Mitte November 1989, wir sind ja in der Zeit nach dem
Eva Völpel: Mauerfall, in der DDR eine Reformregierung unter Hans Modrow.
Eva Völpel: Ich hatte ihn gerade schon mal erwähnt.
Eva Völpel: Die Reformregierung, die war noch nicht aus freien Wahlen hervorgegangen,
Eva Völpel: aber das war bereits eine Allparteienkoalition und im Februar 1990,
Eva Völpel: da wurden dann auch VertreterInnen der Oppositionellen Bürgerrechtsbewegung
Eva Völpel: in diese Regierung aufgenommen.
Eva Völpel: Also Leute vom zentralen runden Tisch.
Eva Völpel: Und die schon erwähnte Ökonomin Christa Luft, lange Jahre Mitglied übrigens
Eva Völpel: dann nach der Wende erst in der PDS, später auch in der Linken und bis heute
Eva Völpel: Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Eva Völpel: Die wurde, wie erwähnt, zur ersten und letzten Wirtschaftsministerin in der Modro-Regierung.
Eva Völpel: Und der und den anderen war natürlich völlig klar, es geht jetzt um Reformen,
Eva Völpel: politische Reformen, aber ganz maßgeblich auch um wirtschaftliche Reformen.
Eva Völpel: Denn sie wussten ja, dass irgendwie die Wirtschaft der DDR an vielen Punkten
Eva Völpel: irgendwie echt Riesenprobleme hat.
Eva Völpel: Und Luft schreibt über die Situation damals, Zitat, Die Wirtschaft in der DDR
Eva Völpel: litt unter Problemen, die lange bekannt, bis dato aber nicht angegangen worden waren.
Eva Völpel: Nicht die Planung war das Problem gewesen, sondern deren zentralistische Umsetzung
Eva Völpel: mit Hunderten von Kennziffern, Bilanzanteilen, Koeffizienten,
Eva Völpel: welche am Ende die Initiative lähmten.
Eva Völpel: Hinzu kamen die mangelnde Eigenverantwortung der Kombinate sowie ein starres
Eva Völpel: Preissystem, das eher die Verschwendung förderte als die Effizienz.
Eva Völpel: Das Leistungsprinzip galt nur auf dem Papier.
Eva Völpel: Das ist ein Zitat aus der sehr empfehlenswerten Broschüre Schicksal Treuhand
Eva Völpel: der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Eva Völpel: Und die Ausstellung ist übrigens aktuell noch bis Ende Oktober in Schwerin auch
Eva Völpel: zu sehen im Kulturforum des Schleswig-Holstein-Hauses.
Eva Völpel: Also wer da vorbeigehen kann, das lohnt sich total und wer da nicht hin kann,
Eva Völpel: auch ein Blick in den Ausstellungskatalog ist sehr lohnenswert.
Eva Völpel: Aber gut, das waren eben die Ausgangsprobleme, die Christa Luft da beschreibt
Eva Völpel: und die Regierung Motto nimmt sich jetzt also ein Wirtschaftsreformprojekt vor.
Eva Völpel: Und der Kompass dazu, das sagt Luft jetzt mal ganz knapp gefasst so,
Eva Völpel: man wollte weg von der zentralen Kommandowirtschaft hin zu mehr Flexibilität
Eva Völpel: und Bewegungsspielraum der Betriebe.
Eva Völpel: Nochmal ein längeres Zitat von Christa Luft. Wir plädieren dafür,
Eva Völpel: die Produktion auf die wirkliche Nachfrage auszurichten, Marktgesetze nicht länger zu missachten,
Eva Völpel: Subventionen abzubauen, den Gewinn als hauptsächlichen Effektivitätsmaßstab
Eva Völpel: anzuerkennen und das Leistungsprinzip konsequenter durchzusetzen.
Eva Völpel: Ökologische Erfordernisse und Folgen sollten bei allen ökonomischen Entscheidungen
Eva Völpel: unumstößliche Kriterien sein.
Eva Völpel: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehörten zu den Merkmalen eines von uns angestrebten Systems.
Eva Völpel: Wir forderten die weltweite Öffnung der Volkswirtschaft, ihre intensive Teilnahme
Eva Völpel: an der internationalen Arbeitsteilung als Quelle des Produktivitätsanstiegs.
Eva Völpel: Wir strebten einen konsequenten Wandel der Eigentumsordnung an,
Eva Völpel: ein gleichberechtigtes Miteinander vielfältiger Eigentumsformen des staatlichen,
Eva Völpel: kommunalen, genossenschaftlichen, privaten und gemischten Eigentums.
Eva Völpel: Das ist jetzt ein Zitat von Christa Luft aus diesem erwähnten Buch Die Lust
Eva Völpel: am Eigentum auf den Spuren der deutschen Treuhand.
Eva Völpel: Also was hier klar wird, es soll um Eigentumspluralismus gehen und keine breit
Eva Völpel: angelegte Privatisierung des öffentlichen Eigentums.
Eva Völpel: Aber es ist sehr wohl daran gedacht, dass man das jetzt so ein bisschen auffächert.
Eva Völpel: Also in der Industrie und in den großen Unternehmen der Industrie,
Eva Völpel: im Transportwesen, im Bauwesen, da wollte man eigentlich nicht privatisieren.
Eva Völpel: Es sollte also weiterhin große Bereiche staatlichen Eigentums geben,
Eva Völpel: daneben aber kommunales Eigentum.
Eva Völpel: In der Landwirtschaft hat man vor allem an genossenschaftliche Formen des Wirtschaftens
Eva Völpel: gedacht. und es sollte privates Eigentum geben, das aber eigentlich vor allem
Eva Völpel: im Handwerk, im Handel und in Dienstleistungen und bei neu zu gründenden Betrieben.
Eva Völpel: Und begrifflich haben die das damals gefasst als sogenannte sozial-ökologische Marktwirtschaft.
Eva Völpel: Also es ist schon klar, der Begriff Marktwirtschaft ist da schon sehr zentral.
Eva Völpel: Was auch noch wichtig war für den Umbau in die Richtung, wollten die sich Zeit
Eva Völpel: lassen, also zweieinhalb Jahre bis Anfang 1993.
Eva Völpel: Und die DDR, ganz wichtig, die sollte in dieser Zeit als politisch souveräner,
Eva Völpel: eigenständiger Staat existieren und
Eva Völpel: sollte aber natürlich eine engere Zusammenarbeit mit der BRD anstreben.
Eva Völpel: Also Wirtschaftsgemeinschaft und Konföderation war da das Stichwort.
Sabine Nuss: Spannend. Mir fällt dazu ein, dass es gab ja, da kommen wir wahrscheinlich auch
Sabine Nuss: nochmal drauf zu sprechen, diesen runden Tisch in dieser turbulenten Übergangsphase.
Sabine Nuss: Und an diesem runden Tisch wurde durchaus ja auch diskutiert,
Sabine Nuss: ob man nicht eine gemeinsame Verfassung erarbeiten könnte, die dann beide,
Sabine Nuss: also sowohl Ost als auch West, für beide gilt, also ein neues Grundgesetz.
Sabine Nuss: Und Teil dieser Idee für dieses neue Grundgesetz, das ist schon relativ weit
Sabine Nuss: ausformuliert worden und da gab es eben einen Teil, also das ist der sogenannte
Sabine Nuss: Verfassungsentwurf des Runden Tischs von 1990.
Sabine Nuss: Das war also noch vor der Deutschen Wiedervereinigung, wo man da zusammengetreten
Sabine Nuss: ist und sich da überlegt hat. Da waren auch Kirchenvertreterinnen und so weiter dabei.
Sabine Nuss: Da gab es eben auch die Idee, dass man angelehnt an den Artikel 15 Vergesellschaftung
Sabine Nuss: im Grundgesetz auch einen Artikel zur Sozialisierung ausformuliert und es dann
Sabine Nuss: auch bezieht auf die Wirtschaftsunternehmen der DDR.
Sabine Nuss: Und da war die Idee, dass man die vergesellschaften sollte. Also das heißt,
Sabine Nuss: sie in Gemeinwirtschaft überführen.
Sabine Nuss: Und dann ist ja bekanntermaßen später das Grundgesetz der BRD einfach übernommen worden.
Sabine Nuss: Also hat sich das erledigt mit der Idee der Vergesellschaftung.
Sabine Nuss: Das fand ich nur ganz interessant, dass es da schon Thema war.
Eva Völpel: Mhm.
Eva Völpel: Ja, das mit der Verfassung ist nochmal ein total interessanter Aspekt.
Eva Völpel: Also wäre natürlich eine ganz andere Welt gewesen, wenn sich das durchgesetzt hätte.
Sabine Nuss: Möglicherweise. Aber so weit ist es nicht gekommen. Daraus ist nichts geworden.
Sabine Nuss: Und wie ging es dann weiter, Eva?
Eva Völpel: Ja, turbulent kann man sagen. Also in der DDR hatten wir die Reformdebatten
Eva Völpel: und in Westdeutschland war ja die CDU-FDP-Regierung unter Kohle am Ruder.
Eva Völpel: Und man kann mal sagen, die CDU befand sich nicht gerade in der Sternstunde
Eva Völpel: ihrer Parteiengeschichte. Die war also gebeutelt von diversen Skandalen und Pannen.
Eva Völpel: Unter anderem ein großer Skandal, die Barschel-Affäre. Da gehe ich jetzt nicht näher drauf ein.
Eva Völpel: Und Kohl stand in den Ende der 80er Jahre tatsächlich in der Partei,
Eva Völpel: wusste ich auch gar nicht so.
Eva Völpel: Der kam ja immer so unangefochten rüber, aber der stand unter enorm krassen Druck.
Eva Völpel: Und es gab sogar einen Putschversuch gegen ihn im Vorfeld des Bremer Parteitags im September 89.
Eva Völpel: Da hat nämlich der damalige Generalsekretär Heiner Geißler, der so ein bisschen
Eva Völpel: linker oder wie soll man sagen, christsozialer war als Kohl,
Eva Völpel: der hat nämlich versucht, mit ein paar anderen Granten in der Union Kohl tatsächlich
Eva Völpel: zu stürzen. Aber das endete anders.
Eva Völpel: Also den Konflikt, den gewann Helmut Kohl und Geißler wurde dann auch einfach bald geschasst.
Eva Völpel: Und ganz maßgeblich, dass Kohl sich dann so gut halten konnte,
Eva Völpel: hatte eben die Entwicklung in der DDR da was mit zu tun.
Eva Völpel: Und das hat er nämlich wahnsinnig geschickt dann Ende der 80er genutzt und zu
Eva Völpel: seinem politischen Vorteil auch gewendet.
Eva Völpel: Und das spielt auch einfach eine Rolle, in welcher Schnelligkeit er dann versucht,
Eva Völpel: Fakten zu schaffen im Osten und die gute Gemengelage zu seinen Gunsten da auszunutzen.
Eva Völpel: Und im November ist es aber so, November 89, das fand ich auch ganz interessant,
Eva Völpel: es ist aber so, dass Helmut Kohl und seine Vertrauten, die haben jetzt noch
Eva Völpel: keinen genauen Plan, wie jetzt tatsächlich oder wie schnell die Wiedervereinigung passieren soll.
Eva Völpel: Also die haben klar, die orientieren darauf, aber es gibt so ein sogenanntes
Eva Völpel: Zehn-Punkte-Programm und da ist noch kein Zeithorizont festgenagelt und da ist
Eva Völpel: sogar noch die Rede davon,
Eva Völpel: dass man sich vorstellen könnte, in konföderativen Strukturen mit der DDR zusammenzuarbeiten,
Eva Völpel: also dass die DDR erstmal eigenständig bleibt.
Eva Völpel: Aber das Blatt wendet sich dann total rasch und das fand ich interessant so
Eva Völpel: zu lesen. Ich glaube, das ist jetzt auch erstmal so.
Eva Völpel: Ein Kohl-Biograf schreibt nämlich dann, dass Helmut Kohl im Dezember 1989 nach
Eva Völpel: Dresden reist und da absolut triumphal empfangen wird.
Eva Völpel: Schon am Flughafen kommen ihm die Leute irgendwie Massen entgegen und rufen
Eva Völpel: eben auch nach der Wiedervereinigung.
Eva Völpel: Und Kohl sieht sich total gestärkt.
Eva Völpel: Und geschmeichelt. Und geschmeichelt. Natürlich.
Eva Völpel: Also die Leute feiern ihn wirklich ab. Die stehen da spalier.
Eva Völpel: Und Kohl weiß im Herbst 1990 stehen turnusgemäß in der Bundesrepublik die nächsten Wahlen an.
Eva Völpel: Und das ist jetzt sozusagen sein Moment, den er nutzen kann.
Eva Völpel: Und das ist wirklich wohl scheinbar so der Bruch.
Eva Völpel: Er ändert den Kurs, nimmt keine Rücksicht mehr auf die Pläne der Modo-Regierung.
Eva Völpel: Also er pusht jetzt total und die Wiedervereinigung wird forciert zum frühestmöglichen
Eva Völpel: Zeitpunkt und damit zusammenhängt auch die Währungsunion bzw.
Eva Völpel: Eben so eine en bloc Einführung der Marktwirtschaft.
Eva Völpel: Und in Ostdeutschland wiederum, da stand dann auch Ende Januar,
Eva Völpel: Anfang Februar 1990 fest, dass die ersten freien Wahlen, die waren nämlich ursprünglich
Eva Völpel: für den Mai angesetzt, dass die vorgezogen werden auf den 18. März.
Eva Völpel: Und da zeichnete sich dann schon auch bald ab, dass es da wohl einen eher großen
Eva Völpel: Sieg der Allianz für Deutschland geben würde, also Allianz für Deutschland,
Eva Völpel: angeführt von der Ost-CDU.
Eva Völpel: Und diese Allianz für Deutschland, die warb halt im Februar schon ganz massiv
Eva Völpel: für die Wiedervereinigung.
Eva Völpel: Und Kohl tourte dann durch die Landen und machte da seinen berühmten Ausspruch
Eva Völpel: von den blühenden Landschaften, die es bald geben würde.
Eva Völpel: Und er versprach ein zweites Wirtschaftswunder im Osten.
Eva Völpel: Und er versprach eben auch zeitnah, die D-Mark einzuführen.
Eva Völpel: Und das traf eben bei einem größeren Teil der DDR-BürgerInnen auch auf Wiederhall.
Eva Völpel: Weil es gab mittlerweile auf Demonstrationen den Spruch, kommt die D-Mark nicht
Eva Völpel: zu uns. Dann kommen wir zu ihr.
Eva Völpel: Und es war halt in der Tat auch so, dass ja immer noch mehrere Tausende pro
Eva Völpel: Monat abwanderten in den Westen.
Eva Völpel: Und ja, vor diesem Hintergrund ist es jetzt so, dass der Regierung Modo klar
Eva Völpel: wird, das wird hier alles gar nicht mehr so lange gehen, dass wir hier am Ruder sind.
Eva Völpel: Und dann beschreibt Christa Luft, dass die Eigentumsfrage auf einmal so ganz
Eva Völpel: zentral in den Fokus dieser Reformregierung rutscht.
Eva Völpel: Und da zitiere ich sie nochmal.
Eva Völpel: Christa Luft schreibt, weder das Bürgerliche Gesetzbuch noch das Handelsgesetzbuch
Eva Völpel: kennen den Titel Volkseigentum und das Grundgesetz der BRD stellt zwar de jure
Eva Völpel: Gemeineigentum unter Schutz,
Eva Völpel: nicht aber ein Konstrukt wie das DDR-Volkseigentum.
Eva Völpel: Die Frage lautete also, was machen wir mit den volkseigenen Kombinaten,
Eva Völpel: die sich in Kürze auf dem Westmarkt unter marktwirtschaftlichen Bedingungen behaupten müssen?
Eva Völpel: Und die Idee von denen ist jetzt, oder das, was sie total drängt,
Eva Völpel: ist eben das Volkseigentum der Bürger der DDR zu sichern.
Eva Völpel: Es gab nämlich auch wohl so zahlreiche Berichte, dass so großkopferte VEB-Direktoren,
Eva Völpel: also die Direktoren von großen Kombinaten und volkseigenen Betrieben,
Eva Völpel: dass die mit ihren Westkontakten schon so anfingen auszubaldowern,
Eva Völpel: wie sie so nach der Wende so gemeinsam sich die Sachen aneignen könnten.
Eva Völpel: Und die Reformregierung sagt jetzt also, wir müssen verhindern,
Eva Völpel: dass das hier ein Selbstbedienungsladen wird, dass das Volkseigentum total zerfleddert wird.
Eva Völpel: Und das heißt, das fand ich wirklich auch interessant für mich, am 1.
Eva Völpel: März 1990 wurde tatsächlich noch unter der Regierung Modro quasi eine Urform
Eva Völpel: der Treuhand gegründet, die als staatliche Aufsichtsbehörde das Ziel hatte,
Eva Völpel: das Volkseigentum im Interesse der Allgemeinheit zu bewahren,
Eva Völpel: aber eben auch die Eigentumsstrukturen zu verändern.
Eva Völpel: Und gedacht war dabei, dass man halt so die Kombinate entflechtet und die VEBs,
Eva Völpel: also die volkseigenen Betriebe und dass man die umwandelt in Aktiengesellschaften und GmbHs.
Eva Völpel: Luft sagt dazu, also eine formale Privatisierung mit dem Ziel,
Eva Völpel: dass die Betriebe unter marktwirtschaftlichen Bedingungen agieren und sich am
Eva Völpel: Kapitalmarkt mit Geld versorgen konnten.
Eva Völpel: Also wir sehen ganz klar vollumfänglicher Eintritt in den kapitalistischen Markt und diese Logiken.
Eva Völpel: Aber was man schon mal festhalten muss, das war halt nicht der Treuhandgedanke
Eva Völpel: oder auch die Ausrichtung der Treuhand, wie wir es dann später gesehen haben.
Eva Völpel: Aber die Treuhand ist unter Modro gegründet worden, die Urform.
Sabine Nuss: Mhm.
Sabine Nuss: Das, ich bin jetzt gerade, wenn ich dir so zuhöre, ich fühle mich gerade total zurückversetzt.
Sabine Nuss: Ich weiß gar nicht, wie jetzt ihr hier im Studio, du hast, Letitia,
Sabine Nuss: du hast da wahrscheinlich noch gar nicht gelebt.
Sabine Nuss: 1990, keine Ahnung. Einschüttelt den Kopf, genau.
Sabine Nuss: Genau, deshalb klingt es für dich wahrscheinlich alles als wirklich Geschichte
Sabine Nuss: und weit weg, aber ich habe das ja aus Süddeutschland im Schwarzwald verfolgt, was da passiert.
Sabine Nuss: Insbesondere auch als der Mauerfall war und ich kann mich noch gut erinnern,
Sabine Nuss: ich habe in der WG gewohnt und Freunde von mir haben das mit einer Flasche Sekt
Sabine Nuss: gefeiert und ich habe wirklich ganz pragmatisch gedacht, hä,
Sabine Nuss: was gibt es denn da zu feiern, damit haben wir doch gar nichts zu tun,
Sabine Nuss: wir sind hier unten im Schwarzwald, das ist so weit weg die DDR.
Sabine Nuss: Aber gut, ich habe das auf jeden Fall mit großem Interesse verfolgt,
Sabine Nuss: wie dann da tatsächlich dieser Wandel stattgefunden hat, so wie du das jetzt
Sabine Nuss: beschrieben hast, so detailliert natürlich nicht.
Sabine Nuss: Und ich habe gerade gedacht, mein Gott, ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern,
Sabine Nuss: wie das alles war, obwohl ich mich dann später im Studium auch ein bisschen
Sabine Nuss: damit beschäftigt habe.
Sabine Nuss: Aber es ist natürlich interessant, welche Pfadabhängigkeiten möglich gewesen
Sabine Nuss: wären oder in welche Richtung sich hätte entwickeln können, wenn sich bestimmte
Sabine Nuss: Ideen anders durchgesetzt hätten,
Sabine Nuss: wie jetzt zum Beispiel die Verteilung dieses sogenannten Volkseigentums.
Sabine Nuss: Weil so wie du das jetzt beschrieben hast, war das ja auch seitens der ReformerInnen,
Sabine Nuss: also auch Christa Luft, aber auch
Sabine Nuss: andere, die auch unter anderem in der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeiten.
Sabine Nuss: Micha Pri hat damals auch schon sehr früh dazu geschrieben, dass wir.
Sabine Nuss: Oder nicht dass wir, sondern dass eben das Volkseigentum auch so einen privateigentümlichen
Sabine Nuss: Anreiz kriegen müsste und man das mehr durchsetzen müsste.
Sabine Nuss: Man muss also im Grunde genommen, ich spitze es jetzt mal zu, mehr Marktwirtschaft,
Sabine Nuss: mehr Kapitalismus würde zu mehr Effizienz führen und deshalb wurde das nicht
Sabine Nuss: nur den von westlichen Beratern aufgedrückt, sondern das haben auch die ostdeutschen
Sabine Nuss: Intellektuellen zum Teil so gedacht und mit unterstützt.
Eva Völpel: Ja, der Leistungsgedanke ist da auf jeden Fall drin und dieser Anreiz zur individuellen
Eva Völpel: Leistung über Eigentum, Privateigentum, das für die vielen geschafft werden
Eva Völpel: sollte, das ist da schon drin als Gedanke auf jeden Fall.
Eva Völpel: Also von daher hat es natürlich eine gewisse Anschlussfähigkeit.
Eva Völpel: Nur wie es dann fortging, ist natürlich eine extreme Radikalisierung von allen
Eva Völpel: Gedanken und sozusagen da würden ja auch die Bürgerrechtsbewegungen oder die
Eva Völpel: Reformer sagen, so haben wir uns das alles überhaupt nicht vorgestellt.
Eva Völpel: Weil wir wollten große Bereiche von Eigentum, die eben nicht privatisiert sind.
Eva Völpel: Wir wollten eine andere Beteiligung der Leute am genossenschaftlichen,
Eva Völpel: am kommunalen Eigentum und so weiter.
Eva Völpel: Ich fand interessant, dass halt diese Idee, die Martina Linath das erwähnt hatte,
Eva Völpel: dass man eben das Volkseigentum wirklich aufteilt an die damals rund 16 Millionen
Eva Völpel: Bürgerinnen und Bürger der DDR.
Eva Völpel: Ich fand interessant, dass das größer und breiter ja scheinbar da auch diskutiert worden ist.
Eva Völpel: Es kam, wie gesagt, durch die Bürgerrechtsbewegung rein.
Eva Völpel: Aber dann ist das eben nicht zustande gekommen, weil die Dinge auch so schnell davon rasten.
Eva Völpel: Und dann schreibt Christa Luft, dass das überhaupt nicht zu realisieren gewesen
Eva Völpel: ist, weil man hätte vorher das ganze Vermögen erstmal irgendwie bewerten müssen,
Eva Völpel: um das vernünftig aufzuteilen.
Eva Völpel: Und deswegen ist es dann nicht dazu gekommen.
Sabine Nuss: Und wenn ich das kurz noch ergänzen darf, weil das mir oftmals in den ganzen
Sabine Nuss: Rückerinnerungen auch immer zu kurz kommt.
Sabine Nuss: Es gab durchaus auch eine linke Strömung, VL, die Vereinigte Linke,
Sabine Nuss: die total gegen die Wiedervereinigung war und die einen demokratischen Sozialismus wollte.
Sabine Nuss: Und das geht immer ein bisschen unter. Was wäre dann gewesen?
Sabine Nuss: Das wäre auch mal eine interessante Fortschreibung.
Sabine Nuss: Aber darüber redet überhaupt gar niemand mehr. Nee, das stimmt.
Laetitia : Ich habe eine Frage zu der linken Strömung der VL. War das eine linke Strömung
Laetitia : innerhalb der ehemaligen DDR oder innerhalb der VL?
Laetitia : Ganz Deutschlands oder in Westdeutschland.
Sabine Nuss: Nein, das war eine DDR-eigene innerlinke Strömung, genau, Bewegung.
Sabine Nuss: Aber gut, wie ging es dann weiter, Eva?
Eva Völpel: Ja, also was jetzt folgte, das war sozusagen der Beginn der schon angesprochenen
Eva Völpel: Schockstrategie oder Schocktherapie, also der Angleichung der ostdeutschen Wirtschaft
Eva Völpel: an die westdeutschen kapitalistischen Strukturen.
Eva Völpel: Es ist halt dann tatsächlich so, bei den Volkskammerwahlen im März 1990 gewinnt
Eva Völpel: die Allianz für Deutschland unter Führung der Ost-CDU die Wahlen deutlich und
Eva Völpel: Lothar de Maizière wird neuer Regierungschef der DDR.
Eva Völpel: Und jetzt passiert folgendes. Zum einen gibt es seitens der Koalregierung eben
Eva Völpel: den Druck für eine rasche Währungsunion, also für die Einführung der D-Mark
Eva Völpel: im Osten, zum 1. Juli 1990.
Eva Völpel: Und zum anderen trat auch ab dem 1. Juli 1990 eine quasi neue Treuhandanstalt
Eva Völpel: die Arbeit an. Also die Demersier-Regierung nutzte quasi das Gerüst der alten
Eva Völpel: Treuhand, der alten Modro-Treuhand und krempelte das jetzt aber einfach komplett um.
Eva Völpel: Denn der neue Arbeitsauftrag der Treuhand lautete jetzt unmissverständlich,
Eva Völpel: das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren.
Eva Völpel: Also Eigentumspluralität war damit irgendwie passé und ich finde,
Eva Völpel: das ist einfach eine ganz tragische Weichenstellung.
Eva Völpel: Da merkt man so, da schließt sich so ein Möglichkeitsfenster in der Geschichte,
Eva Völpel: wo andere bessere Wege hätten beschritten werden können.
Eva Völpel: Genau und die andere verheerende Weichenstellung, das war eben die schon erwähnte Währungsunion.
Eva Völpel: Da muss man vielleicht nochmal dazu sagen, die DDR-Wirtschaft,
Eva Völpel: die war längst nicht so völlig marode, wie es auch immer dann zum Teil heißt oder hieß.
Eva Völpel: Auch da kann man in dem Buch von Christa Luft nochmal nachlesen,
Eva Völpel: wie es aussah in der DDR Ende der 80er Jahre.
Eva Völpel: Aber was natürlich klar ist, die DDR-Wirtschaft war der westdeutschen Wirtschaft
Eva Völpel: mit Blick auf Produktivität, mit Blick auf Kapitalausstattung,
Eva Völpel: mit Blick auf Alter des Maschinenparks, sage ich mal, natürlich deutlich unterlegen.
Eva Völpel: Und diese unterlegene DDR-Wirtschaft, die wurde nun mit der Währungsunion in
Eva Völpel: direkte Konkurrenzbeziehungen eben zur westdeutschen Wirtschaft gesetzt und
Eva Völpel: auch natürlich zu den europäischen Märkten oder dem Weltmarkt.
Eva Völpel: Und die Folge davon, die waren total drastisch. Das hatte ich mir auch noch nie so klar gemacht.
Eva Völpel: Es gab einen massiven Aufwertungseffekt für die Ostbetriebe.
Eva Völpel: Das heißt, sie waren ja in der Konkurrenz und der Produktivität unterlegen.
Eva Völpel: Produkte verkauften sie also schlecht oder gar nicht auf dem Westmarkt.
Eva Völpel: Sie mussten aber die Löhne oder auch den Einkauf von Vorprodukten mit der Währungsunion
Eva Völpel: oder nach der Währungsunion dann in D-Mark leisten.
Eva Völpel: Und das konnte kaum Betrieb, weil das Kapital hatten sie überhaupt nicht.
Eva Völpel: Das Ergebnis davon war, dass die Produktion im Osten allein im Juli 1990 um
Eva Völpel: mehr als ein Drittel gegenüber dem Vorjahresmonat sank und 5.000 von 8.000 Treuhandbetrieben
Eva Völpel: einfach mal so knallauffallzahlungsunfähig wurden und bei der Treuhandanstalt
Eva Völpel: um Liquiditätskredite anfragen mussten.
Eva Völpel: Die Zahl der Arbeitslosen verdoppelte sich mit einem Schlag auf eine Viertelmillion
Eva Völpel: und es wären eigentlich noch viel mehr gewesen, wenn es nicht abgepuffert worden
Eva Völpel: wäre durch sogenannte Kurzarbeit, was ja häufig auch Kurzarbeit Null war.
Eva Völpel: 700.000 Menschen gingen nämlich allein im Juli dann in diese Kurzarbeit.
Eva Völpel: Und das heißt, man sieht daran, die Währungsunion, das war eben so ein Push
Eva Völpel: für den Beginn einer massiven Deindustrialisierung.
Eva Völpel: Die Ostbetriebe konnten im Westen keinen Fuß fassen und in Ostdeutschland und
Eva Völpel: auch im osteuropäischen Wirtschaftsraum,
Eva Völpel: da brachen eben die Märkte für diese Ostbetriebe zusammen.
Eva Völpel: Und was noch ein Effekt war, dass Ostdeutschland selbst von Westwaren überschwemmt wurde.
Eva Völpel: Am augenfälligsten ist das natürlich im ganzen Einzelhandel zu sehen gewesen.
Sabine Nuss: Jetzt muss ich mal kurz fragen, das war jetzt schon 1990, im Sommer 1990?
Eva Völpel: Im Sommer 1990 beginnt beides zur gleichen Zeit. Die Währungsunion ist am 1.
Eva Völpel: Juli 1990 und auch die neue Treuhand beginnt ihr Wirken am 1. Juli 1990.
Sabine Nuss: Okay, also das ging dann relativ schnell von dem Moment, wo Kanzler Kohl bejubelt
Sabine Nuss: wurde, bis hin zu, wo sie dann die Folgen gespürt haben von dem,
Sabine Nuss: was Kohl durchaus auch mit zu verantworten hat, wenn ich das richtig sehe.
Eva Völpel: Halbes Jahr.
Sabine Nuss: Genau, weil ich frage jetzt deshalb, weil ich war 1992 auf dem Marktplatz in Halle.
Sabine Nuss: Ich glaube, es war Halle, ich bin mir nicht mehr ganz sicher.
Sabine Nuss: Kann auch Wittenberg gewesen sein, auf jeden Fall im Osten.
Sabine Nuss: Da kam Kohl auch zu Besuch. Da wurde er mit Eiern beworfen und ausgebucht.
Sabine Nuss: Also so schnell ging das dann mit der Beliebtheitskurve.
Sabine Nuss: Aber dass es so schnell schon jetzt, also so schnell schon eigentlich hätten
Sabine Nuss: Eier fliegen können, das haben wir jetzt nicht mehr in Erinnerung.
Sabine Nuss: Okay, aber sag mal, was mich jetzt mal interessieren würde, wenn man so ein
Sabine Nuss: bisschen ökonomischen Sachverstand hat, war das doch klar, was da passiert?
Sabine Nuss: Gab es da niemanden, der da mal ein bisschen was warnende Stimmen oder sowas?
Eva Völpel: Doch, die gab es durchaus. Also durchaus auch richtig prominent.
Eva Völpel: Also der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium,
Eva Völpel: der sah zum Beispiel eine so rasche Währungsunion kritisch und auch der Sachverständigenrat
Eva Völpel: zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage,
Eva Völpel: der SVR kurz oder umgangssprachlich die Wirtschaftsweisen,
Eva Völpel: die hatten auch Kritik an bestimmten Punkten,
Eva Völpel: unter anderem am Zeitplan für diesen ganzen Umbruch.
Eva Völpel: Und es gab sogar eine sehr prominente Stimme, die sich damals in Konfrontation
Eva Völpel: zu Kohl begeben hat, nämlich der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl,
Eva Völpel: der sagte nämlich ganz klar,
Eva Völpel: dass so eine überhastete Währungsunion zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen würde.
Eva Völpel: Aber der konnte sich halt nicht durchsetzen. Und ich will jetzt auch nicht Pöhl total abloben.
Eva Völpel: Also das war jetzt sozusagen ein Aspekt, wo der mal so eine Kritik anbrachte,
Eva Völpel: die einem irgendwie sympathisch ist oder die einem auch entspricht.
Eva Völpel: Aber in anderen Bereichen ist der jetzt natürlich nicht so eine Vorbildfunktion.
Eva Völpel: Aber man muss halt einfach sagen, die tonangebenden Stimmen waren andere.
Eva Völpel: Also sowohl in der Politik als auch natürlich in den Chefetagen der Unternehmen,
Eva Völpel: die hatten schon sehr klar, auch weil sie Ende der 80er Jahre einen erneuten
Eva Völpel: Wirtschaftsabschwung befürchteten.
Eva Völpel: Dass es ihnen total zu Pass käme, jetzt die Märkte im Osten zu erobern und sich
Eva Völpel: da wirklich die Filetstücke auch zu sichern.
Eva Völpel: Und was ich interessant fand, weil man jetzt so auf die Ökonominnenzunft guckt,
Eva Völpel: wie sozusagen da die Blaupause geliefert wurde für diese ganzen Umbrüche in der DDR.
Eva Völpel: Also es gab Gutachten, die nahmen da überhaupt kein Blatt vor den Mund.
Eva Völpel: Zum Beispiel sprach das Hamburgische Weltwirtschaftsarchiv in der Studie vom
Eva Völpel: Februar 1990 ganz offen von einer möglichst raschen, schockartigen Integration
Eva Völpel: der Wirtschaft beider deutschen Staaten.
Eva Völpel: Also dass das so kommen müsse, weil so ein Schock sei angeblich heilsam und
Eva Völpel: auf jeden Fall besser als so eine mehrere Jahre dauernde Übergangsperiode,
Eva Völpel: wo keiner so richtig weiß, hier
Eva Völpel: haben wir Marktwirtschaft, haben wir noch Elemente von Planwirtschaft.
Eva Völpel: Also das war den Graus. und besonders hervorsticht aber ein Gutachten der Uni
Eva Völpel: Köln und das hatte das Bundeskanzleramt selbst bestellt und das trug den Titel
Eva Völpel: Vorteile der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands von einem Professor Hans Wilgeroth,
Eva Völpel: der war Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften und das Gutachten
Eva Völpel: wurde als Sonderdruck verbreitet des Presseinformationsamtes der Bundesregierung und es gibt so Berichte,
Eva Völpel: dass es wirklich von den Beamten aus Westdeutschland, den ostdeutschen Beamten
Eva Völpel: im ostdeutschen Wirtschaftsministerium so in die Hand gedrückt wurde mit der Aufforderung.
Eva Völpel: So, hier Leute, so läuft es jetzt. Hier ist der Plan, wie wir das jetzt hier umstrukturieren.
Eva Völpel: Und die Marschrichtung von Wilgeroth, die war halt total klar.
Eva Völpel: Also rasche Einführung der Marktwirtschaft und rasche Privatisierung.
Eva Völpel: Das wurde so als so ein sogenanntes Jungtim dargestellt.
Eva Völpel: Also das eine muss untrennbar und zwingend mit dem anderen zusammenkommen.
Eva Völpel: Und Wilgeroth schrieb zum Beispiel, dass bisher in der DDR das Privateigentum
Eva Völpel: weitgehend abgeschafft worden war, fehlte
Eva Völpel: ein Hauptantrieb, mit sachlichen Produktionsmitteln sparsam umzugehen.
Eva Völpel: Was allen gehört, gehört niemandem und wird auch so behandelt, das heißt vergeudet.
Eva Völpel: Staatliche Kontrolle ändert daran nichts. Da ist schon klar,
Eva Völpel: in welche Richtung das geht und wie man das begründet.
Sabine Nuss: Spannend. Das scheint eben genau das immer wieder durch, was wir vorhin schon
Sabine Nuss: angesprochen haben, dass es so eine vorherrschende, ich nenne es jetzt mal Ideologie ist,
Sabine Nuss: dass nur Privateigentum effizient ist im Sinne von ressourcensparend,
Sabine Nuss: betriebswirtschaftlich und vor allen Dingen den Leistungsanreiz beinhaltet.
Sabine Nuss: Und das finde ich irgendwie ganz interessant, weil,
Sabine Nuss: Es war vor der Wende, als der Staatssozialismus noch in voller Blüte stand,
Sabine Nuss: gab es etliche Intellektuelle.
Sabine Nuss: Das führt bis zurück auf Stalin.
Sabine Nuss: Stalin hat ja gesagt, Vergesellschaftung des Eigentums wäre nach ein paar Jahren
Sabine Nuss: der Durchsetzung des Staatseigentums in der Sowjetunion erreicht gewesen.
Sabine Nuss: Also er hat es wirklich gesellschaftliches Eigentum genannt und hat gesagt,
Sabine Nuss: der Vorteil bei gesellschaftlichem Eigentum ist eben, dass damit die Entfremdung
Sabine Nuss: der Arbeitenden, der Werktätigen vom Privateigentum, was ja dann nicht mehr existiert, aufhört.
Sabine Nuss: Also die Entfremdung von der Arbeit und dadurch, dass sie selbst dann Eigentum
Sabine Nuss: besitzen, als bei gesellschaftlichem Eigentum gehört es ja allen.
Sabine Nuss: Haben sie mehr Anreiz zu arbeiten.
Sabine Nuss: Das heißt, ursprünglich war eigentlich die sogenannte sozialistische Eigentumsform,
Sabine Nuss: das angeblich vergesellschaftete Eigentum, das, was zu mehr Anreiz führen sollte in der Produktion.
Sabine Nuss: Und im Zuge der Transformation und der Wende, schon Gorbatschow hat darüber
Sabine Nuss: geschrieben, hat gesagt, ja, wir haben hier leider das Problem in unseren Betrieben,
Sabine Nuss: dass die Werktätigen nicht so motiviert sind und keinen Anreiz verspüren.
Sabine Nuss: Das liegt in der Art und Weise, wie wir hier gesellschaftliches Eigentum durchgeführt
Sabine Nuss: oder durchgesetzt haben.
Sabine Nuss: So genau begründet hat er es dann nicht. Aber das soll jetzt aufhören,
Sabine Nuss: indem wir Privateigentum einführen, wird endlich wirklich der Werktätige zum
Sabine Nuss: eigentlichen Eigentümer der Produktionsmittel.
Sabine Nuss: Das war im Staatssozialismus, ist uns das nicht gelungen. Aber durch die Einführung
Sabine Nuss: von Privateigentum wird dann endlich das Eigentum an Produktionsmittel für alle
Sabine Nuss: Werktätigen gewährleistet.
Sabine Nuss: Und dann haben wir eine Motivation und einen Anreiz. Und da musste ich auch
Sabine Nuss: ein bisschen grinsen, weil ich gedacht habe, ihr könnt doch nicht einfach so ein Shift machen.
Sabine Nuss: Erst ist es gesellschaftliche Eigentum, was für Anreiz sorgen soll.
Sabine Nuss: Jetzt ist es plötzlich das Privateigentum, was für Anreiz sorgen soll.
Sabine Nuss: Und vor dem Hintergrund hat Jelzin ja gesagt, alle Menschen,
Sabine Nuss: Alle müssen in der Bevölkerung Eigentum an Unternehmen haben und wollte,
Sabine Nuss: hatte diese Voucher deshalb verteilt, dass das natürlich unter kapitalistischen
Sabine Nuss: Bedingungen überhaupt keinen Sinn macht und so nicht aufgehen kann,
Sabine Nuss: das hatten die nicht auf dem Schirm.
Sabine Nuss: Ja, also insofern, es waren nicht nur die westlichen Berater,
Sabine Nuss: die dort diese Schocktherapie eingeführt haben.
Sabine Nuss: Es stieß auch auf ein intellektuelles Bewusstsein, zumindest der herrschenden
Sabine Nuss: intellektuellen Eliten.
Sabine Nuss: Es gab auch andere, aber die herrschenden auf jeden Fall, zu deren Denken das gepasst hat.
Sabine Nuss: Das finde ich irgendwie ganz witzig.
Eva Völpel: Ja, ist auf jeden Fall interessant, ja.
Sabine Nuss: Genau, aber das wollte ich gar nicht hier wegführen, Eva. Weiter.
Eva Völpel: Ja, wenn wir jetzt zurückschauen auf die damalige Situation,
Eva Völpel: dann ist halt irgendwie klar, da wird der ideologische Vorschlaghammer geschwungen,
Eva Völpel: um wirklich alles niederzureißen, auch in diesen Studien und Empfehlungen aus
Eva Völpel: der Wissenschaft und alles zu diskreditieren,
Eva Völpel: was an anderen Eigentumsformen eben existiert hat. Also jenseits des Privateigentums.
Eva Völpel: Und interessant war auch, ihr erinnert euch vielleicht noch an Theo Weigel.
Eva Völpel: Damals war er Finanzminister, CSU-Finanzminister in der Bundesregierung.
Eva Völpel: Und der übersetzte das dann immer so schön in so kurze, griffige Slogans,
Eva Völpel: die dann durch die Medien gingen.
Eva Völpel: Zum Beispiel, ohne Eigentum keine Motivation.
Eva Völpel: Oder auch 50, 60 oder 80 Prozent Marktwirtschaft könne nicht funktionieren,
Eva Völpel: sondern bedeuten immer einen Verlust an Freiheit und wirtschaftlicher Effizienz.
Eva Völpel: Das war also das, was den Leuten damals dann um die Ohren gehauen wurde.
Eva Völpel: Und was ich krass finde, wenn man sich irgendwie dieses erwähnte Gutachten von
Eva Völpel: Wilgeroth nochmal anschaut, dann finde ich aber im Rückblick das so total krass.
Eva Völpel: Ich meine, wir haben ja schon so ein bisschen über die fatalen Wirkungen gesprochen,
Eva Völpel: die damals die Währungsunion hatte. Also wir haben irgendwie,
Eva Völpel: die Betriebe gingen alle in die Grätsche und die Leute wurden massenweise arbeitslos.
Eva Völpel: Und Wilgeroth, der hat aber in dem Gutachten so ganz andere Bilder natürlich gezeichnet.
Eva Völpel: Also da heißt es dann so, nach der Öffnung der Grenze für den Freihandel mit
Eva Völpel: der Bundesrepublik werden zahlreiche, bisher die Produktion beeinträchtigende
Eva Völpel: Engpässe aufgesprengt.
Eva Völpel: Und dann folgt sozusagen so ein ganzer Reigen von so wundersamen,
Eva Völpel: positiven wirtschaftlichen Entwicklungen, die quasi wie von Zauberhand dann eintreten werden.
Eva Völpel: Es ist wirklich so absurder, faktenfreier Voodoo-Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes.
Eva Völpel: Und wer da nochmal ein bisschen reinlesen will, der kann sich entweder es antun,
Eva Völpel: das ganze Gutachten zu lesen oder er liest ihm in dem guten Aufsatz von Jörg Rösler nach,
Eva Völpel: auch ein schlauer Kopf, ein Ökonom aus der DDR und das Zitat ist auf dem Aufsatz
Eva Völpel: aus dem Band Die Treuhand und die zweite Enteignung der Ostdeutschen,
Eva Völpel: das kommt auch in die Shownotes.
Eva Völpel: Das ist diese Denke von so einem marktwirtschaftlichen Urknall,
Eva Völpel: so hat das Wilgeroth auch genannt, den man jetzt einfach mal braucht,
Eva Völpel: um da irgendwie Tabula rasa zu machen.
Sabine Nuss: Und dann geht es allen besser.
Eva Völpel: Dann geht es allen besser, genau.
Sabine Nuss: Das war auch bei der Privatisierungseuphorie in der Sowjetunion war das ähnlich.
Sabine Nuss: Da hieß es, warte, ich zitiere mal, den ersten Sekretär des Moskau-Stadtkomitees
Sabine Nuss: der KBDSU, der hat gesagt, wenn alles privatisiert ist, dann werden alle ein
Sabine Nuss: bisschen mehr Wurst bekommen.
Eva Völpel: Okay, alles klar.
Eva Völpel: Sehr gut. Übrigens, ihr könnt es ja nicht sehen, aber ich glaube,
Eva Völpel: Sabine hat hier gerade wie ihre alte Uni-Hausarbeit in der Hand gehabt,
Eva Völpel: um daraus zu zitieren. Und die ist beeindruckend dick.
Eva Völpel: Nein, es ist sogar ihre Diplomarbeit.
Sabine Nuss: Ja, es rührt mich selber total an.
Sabine Nuss: Die ist von Oktober, meine Mutter hat sogar das Datum reingeschrieben,
Sabine Nuss: wie süß, Oktober 1999 am Fachbereich Politik und der Titel der Diplomarbeit
Sabine Nuss: ist Effizienz und Privateigentum am Beispiel der russländischen Transformationsökonomie,
Sabine Nuss: so hat man das damals genannt.
Sabine Nuss: Also ich habe dazu meine Abschlussarbeit im Politikstudio geschrieben.
Sabine Nuss: Und bei der Vorbereitung ist mir das eingefallen, das ist das einzige Exemplar,
Sabine Nuss: ich habe es aufgehoben und da steht das alles drin mit Jelzin und der Wurst und so.
Eva Völpel: Sehr gut, was wir hier alles für Schätze zutage fördern.
Sabine Nuss: Ich frage mich ja schon auch manchmal, wenn man das so in der Retrospektive
Sabine Nuss: sich alles nochmal anguckt, da kommen irgendwelche Ökonomen,
Sabine Nuss: Ökonomin, das waren glaube ich vermehrt tatsächlich Männer in der Zeit.
Sabine Nuss: Gerade diese westliche Berater, die hauen da irgendwas raus,
Sabine Nuss: das wird jetzt für alle toll werden, wenn ihr die Preise frei macht,
Sabine Nuss: wenn ihr alles privatisiert und so weiter und so fort.
Sabine Nuss: Und dann wird es tatsächlich umgesetzt mit verheerenden Folgen.
Sabine Nuss: Und da fragst du dich Leute, ist das jetzt, weil die da echt dran glauben oder wie kann das sein?
Sabine Nuss: Weil gerade dieser Jeffrey Sachs, den ich vorhin erwähnt habe,
Sabine Nuss: der eben auch der Berater war der sowjetischen Transformationsstrategie,
Sabine Nuss: also Schocktherapie, der ist jetzt in den letzten Jahren aufgefallen mit ganz anderen Themen.
Sabine Nuss: Hat jetzt zum Beispiel gesagt, der Coronavirus ist in USA-Laboren entstanden
Sabine Nuss: und nicht in chinesischen.
Sabine Nuss: Und der sagt auch jetzt so Sachen wie, dass eigentlich die USA schuld ist an
Sabine Nuss: dem Krieg von Russland gegen die Ukraine.
Sabine Nuss: Also man kann jetzt über alles mögliche diskutieren. Ich will das jetzt gar
Sabine Nuss: nicht bewerten, diese Aussagen.
Sabine Nuss: Nur man merkt, also der ist jetzt mittlerweile komplett außerhalb des Mainstreams
Sabine Nuss: gelandet. Aber es ist eine wesentlich wichtige Stimme damals gewesen für die
Sabine Nuss: Umsetzung eines Experiments.
Sabine Nuss: Anders kann man das nicht nennen. Es war ein Experiment.
Sabine Nuss: Es war für die so ein richtiges Testfeld, wo sie mal ihre neoklassischen und
Sabine Nuss: neoliberalen Wirtschaftstheorien ausprobieren konnten mit halt verheerenden
Sabine Nuss: Folgen. Es ist ein richtiges Labor.
Sabine Nuss: Also keine Ahnung. Ich würde sagen, die haben dran geglaubt, oder?
Eva Völpel: Ja, ich denke das eigentlich auch. Also ich meine, das sind Überzeugungstäter,
Eva Völpel: glaube ich, die auf solchen Ebenen sowas dann mitstricken.
Sabine Nuss: Ja, aber im Rahmen schon einer wirkmächtigen Ideologie, die da zu der Zeit ja
Sabine Nuss: auch nicht ganz allein nur in diesen bestimmten Regionen vorherrschend war, sondern weltweit.
Eva Völpel: Auf jeden Fall, ja.
Eva Völpel: Genau und wie gesagt, also ein wichtiges Element war halt diese Strategie einer
Eva Völpel: raschen Währungsunion und das zweite waren halt dann diese Privatisierungen.
Eva Völpel: Und da würde ich jetzt nochmal ein bisschen detaillierter darauf eingehen.
Eva Völpel: Also diese neu ausgerichtete Treuhand, wie gesagt, die nahm am 1.
Eva Völpel: Juli 1990 die Arbeit auf. Und da gibt es auch wieder ein schönes Zitat von der
Eva Völpel: Birgit Breul, die war auch mal zu einem späteren Zeitpunkt Treuhandchefin und
Eva Völpel: die schreibt ganz offen.
Eva Völpel: Am 10. Mai 1990 findet ein erstes großes Gespräch des Ministerpräsidenten,
Eva Völpel: also damit meint sie Demisier mit, mit Vertretern westdeutscher Banken statt.
Eva Völpel: Die Vertreter der Banken machten eine Kreditgewährung an die Treuhandanstalt
Eva Völpel: von einer eindeutigen Ausrichtung ihrer Aufgabenstellung auf ein Privatisieren
Eva Völpel: der Staatsbetriebe einschließlich grund- und bodenabhängig.
Sabine Nuss: Das ist ja relativ eindeutig.
Eva Völpel: Ja, da bleibt irgendwie keine Frage mehr offen.
Sabine Nuss: Und was war dann? Was hat sie dann gemacht, die Treuhand?
Eva Völpel: Faktisch? Also das werde ich jetzt nur so ganz kurz umreißen können.
Eva Völpel: Da gibt es ja auch natürlich einen Haufen Bücher zu.
Eva Völpel: Also zunächst mal, man muss sich klar machen, die Treuhand wurde sozusagen zur
Eva Völpel: größten Holding der Welt.
Eva Völpel: Martina Lenatas hat die Zahlen ja schon genannt, wie viele Betriebe die unter ihren Fittichen hatte.
Eva Völpel: Und das will ich jetzt hier gar nicht wiederholen.
Eva Völpel: Und wie diese Verkäufe dann abliefen, dieses volkseigenen Vermögens,
Eva Völpel: das kann man eigentlich gar nicht so richtig glauben, wenn man sich das nochmal anschaut.
Eva Völpel: Also klar, es fängt damit an, dass die die Losung ausgeben, privatisieren, vorsanieren.
Eva Völpel: Also es wurde auch kaum der Versuch gemacht, durchaus konkurrenzfähige Betriebe
Eva Völpel: in Ostdeutschland mit Investitionen unter den Fittichen der Treuhand erstmal
Eva Völpel: fit zu machen und dann die Arbeitsplätze so zu erhalten und dann später zu gucken,
Eva Völpel: was macht man mit den Betrieben.
Eva Völpel: Weil es ging wirklich darum, so schnell wie möglich alles rausverkaufen.
Eva Völpel: Der zweite Knaller, die Privatisierung fand überhaupt nicht als öffentliche
Eva Völpel: Auktion statt oder das ging auch nicht an die Börse,
Eva Völpel: sondern das würde wirklich Handverlesen, wurden Angebote gemacht an potenzielle
Eva Völpel: Kunden und Käufer in entsprechenden Branchen und das hieß vor allem Branchen in Westdeutschland.
Eva Völpel: Vor allem in den Anfangsmonaten ging das ausschließlich nach Westdeutschland
Eva Völpel: und es wurde natürlich dadurch begünstigt, dass in der Treuhand,
Eva Völpel: neben natürlich auch ein paar ehemaligen Leuten aus der DDR-Wirtschaft und der
Eva Völpel: DDR-Finanzverwaltung,
Eva Völpel: vor allem Westmanager auf Zeit arbeiteten.
Eva Völpel: Ja, also das muss man sich echt nochmal klar machen. Die Westmanager,
Eva Völpel: die für große Konzerne arbeiteten, die wurden also quasi freigestellt von dieser
Eva Völpel: Arbeit und konnten sich jetzt erst mal,
Eva Völpel: Unter dem Dach der Treuhand in Ruhe anschauen, was gibt es da eigentlich alles
Eva Völpel: so Schönes, was für meinen Konzern oder Betrieb interessant sein könnte.
Eva Völpel: Übrigens ja oft auch mit dem Ziel, lästige Konkurrenz einfach stillzulegen,
Eva Völpel: also Betriebe zu schließen, die einem vielleicht hätten wirklich gefährlich werden können.
Eva Völpel: Und dann ging halt das Cherrypicking los.
Sabine Nuss: Also Entschuldigung, gefährlich werden können im Sinne von?
Eva Völpel: Im Sinne von, das ist wirklich eine Konkurrenz.
Sabine Nuss: Zu einem?
Eva Völpel: Zu einem Westbetrieb. Also ein ganz bekanntes Beispiel sind ja die Proteste
Eva Völpel: der Kali-Kumpel in Bischofferrode,
Eva Völpel: wo sozusagen, ich stecke da längst nicht so im Detail drin, aber wo im Osten
Eva Völpel: Kali-Gruben, die durchaus konkurrenzfähig waren, deren Produkt gefragt wurden,
Eva Völpel: die dann nach und nach abgewickelt wurden, weil der Konzern aus dem Westen,
Eva Völpel: ein hessischer Konzern, der steckte in der Krise und der hatte eben Angst,
Eva Völpel: dass man sich da im Osten jetzt sozusagen neue Konkurrenz reinholt.
Eva Völpel: Also kauft man die Betriebe auf und legt die dann einfach still.
Sabine Nuss: Leute, wie oft haben wir euch das in diesen Folgen hier schon gesagt,
Sabine Nuss: dass das scheiße ist mit der Konkurrenz. Das ist schon wieder.
Eva Völpel: Also Westmanager werden einfach in die Treuhand geholt, um da zu arbeiten.
Eva Völpel: Und ein ganz prominentes Beispiel, aber um wirklich nur eines zu nennen,
Eva Völpel: das ist der Treuhandchef Detlef Carsten Rohwedder.
Eva Völpel: Der hat ja die Treuhand vom Sommer 1990 bis April 1991 geleitet,
Eva Völpel: bis er dann ermordet wurde. oder mutmaßlich von der Roten Armee Fraktion.
Eva Völpel: Der kam von der Hösch AG. Das war ein bedeutendes Stahl- und Montanunternehmen aus dem Ruhrgebiet.
Eva Völpel: Und der saß außerdem noch in den Aufsichtsräten von IBM, Volvo,
Eva Völpel: der Allianz Versicherung und bei der Ruhrgas AG.
Eva Völpel: Und welch ein Zufall zwei dieser Unternehmen haben dann sozusagen wirklich mit
Eva Völpel: die spektakulärsten Deals bei der Treuhand abschließen können.
Eva Völpel: Die Allianz übernahm nämlich komplett die einstigen staatlichen Versicherungen
Eva Völpel: der DDR und Ruhrgas verleibte sich, Zitat Christa Luft, eines der besten Stücke
Eva Völpel: der DDR-Wirtschaft ein, das ostdeutsche Ferngasnetz.
Eva Völpel: Ja, und ich meine, man darf jetzt wirklich nicht nur auf Rohwerder fokussieren.
Eva Völpel: Der sticht da so total raus, weil er eben so ein prominenter Manager war und
Eva Völpel: so mächtig und gut verdrahtet in der Wirtschaftselite.
Eva Völpel: Insgesamt waren die Tore der Treuhand aber weit offen für Westmanager und es
Eva Völpel: ging sogar so weit, dass die mehr Zugriffsrechte und Möglichkeiten hatten als
Eva Völpel: überhaupt die ostdeutschen Ministerpräsidenten der Länder.
Eva Völpel: Ja, die mussten nämlich irgendwie hart darum kämpfen, überhaupt mal vernünftig
Eva Völpel: informiert zu werden, was geplant war, geschweige denn, dass sie mal irgendwie
Eva Völpel: Mitspracherechte gehabt hätten und hätten sagen können, das machen wir jetzt
Eva Völpel: als kommunales Eigentum hier.
Eva Völpel: Das könnt ihr jetzt nicht einfach verkaufen. Also wirklich total irre.
Eva Völpel: Und ich muss echt sagen, ich habe das jetzt wirklich zum ersten Mal so detailliert gelesen.
Eva Völpel: Ich fand es einerseits total faszinierend und andererseits haben mir echt die
Eva Völpel: Ohren geschlackert, weil ich so dachte, das ist so skrupellos.
Eva Völpel: Und man kann das nicht anders nennen als einen offiziell organisierten Beutezug
Eva Völpel: der westdeutschen Betriebe und vor allem der großen Konzerne im Osten.
Eva Völpel: Also wirklich die konzertierte Aktion einer Enteignung der Ostdeutschen,
Eva Völpel: die wiederum ihre Arbeitskraft ja, muss man ja schon so sagen,
Eva Völpel: in den Aufbau dieses volkseigenen Vermögens gesteckt hatten.
Eva Völpel: Also die da geschwitzt haben und gearbeitet haben.
Eva Völpel: Und das nochmal so zu lesen, das fand ich wirklich auch nochmal krass.
Sabine Nuss: Ja, das ist auch das, wo ich oft denke, man muss sich über nichts wundern,
Sabine Nuss: dass es jetzt so ist, wie es heute ist.
Sabine Nuss: Also da steckt so viel Demütigung drin in dieser Zeit. Klar,
Sabine Nuss: es gibt jetzt irgendwie viele jüngere Menschen, die das nicht mehr mitgekriegt
Sabine Nuss: haben, die da noch gar nicht auf der Welt waren in der Zeit.
Sabine Nuss: Aber das ist natürlich, wenn die Eltern das mitgekriegt haben,
Sabine Nuss: ist es natürlich über die transgenerationelle Übertragung, wird das auch auf die Kinder übertragen.
Sabine Nuss: Ich habe neulich mit einer Freundin gesprochen, deren Kinder,
Sabine Nuss: die sind jetzt auch aus Leipzig, weiß nicht was, 19 Jahre alt oder 20 Jahre
Sabine Nuss: alt, die haben ihr und mir dann auch erzählt, diese Trennung Ost-West ist auch
Sabine Nuss: in ihrer Generation noch ganz stark.
Sabine Nuss: Und wenn du irgendwie starke Identifikationen mit Ostdeutschland,
Sabine Nuss: schon bei diesen jungen Leuten, die die Wende gar nicht mitgekriegt haben,
Sabine Nuss: die noch gar nicht zur Welt waren, die haben mir erklärt, wenn man gefragt wird,
Sabine Nuss: kommst du aus dem Westen und du sagst, ja, dann ist man irgendwie weniger.
Sabine Nuss: Das ist irgendwie nicht cool. im Osten, also das ist schon irre und ich glaube
Sabine Nuss: genau diese Entwicklung die
Sabine Nuss: du jetzt beschrieben hast genau die sind da zumindest mit ursächlich Ja.
Eva Völpel: Das glaube ich auch.
Sabine Nuss: Und das ist ja genau das, wo die AfD jetzt so gut andocken kann.
Sabine Nuss: Die hat ja dieses Wir-Ostdeutschland-Ding aufgegriffen, sehr erfolgreich.
Eva Völpel: Ja, also das stimme ich dir total zu. Und ich will nur noch mal ein,
Eva Völpel: ja, vielleicht noch mal ein, zwei, drei kurze Sachen zur Treuhandpolitik noch
Eva Völpel: mal so nachschieben, weil das einfach wichtig ist für so ein allgemeines Bild.
Eva Völpel: Ich meine, klar, die Treuhand war natürlich auch irgendwie überfordert,
Eva Völpel: muss man schon auch dazu sagen.
Eva Völpel: Aber die Vergabepraxis war halt politisch auch so gewollt. Das ist der allergrößte Teil.
Eva Völpel: Aber sie war auch zum Teil überfordert. Und dann gab es natürlich auch im Zuge
Eva Völpel: dessen, ja, sage ich mal, Betrügereien,
Eva Völpel: die dann so ganz offiziell als Raubzug gelabelt wurden, ja, also weil sie offiziell
Eva Völpel: kriminell waren, also wenn Bilanzen gefälscht wurden, wenn da Leute ankamen,
Eva Völpel: die irgendwie behaupteten,
Eva Völpel: sie hätten Investoren im Rücken und die durften dann Betriebe kaufen zum Teil
Eva Völpel: für einen Euro und die haben die dann aber nur ausgeschlachtet und sich mit
Eva Völpel: der Kohle aus dem Staub gemacht.
Eva Völpel: Ich meine, massenweise gibt es diese Beispiele und, haltet euch fest,
Eva Völpel: meine Lieben, Sabine war mit dabei.
Sabine Nuss: Oh nein!
Eva Völpel: Nee, ich habe das ja erst auch von dir irgendwie erfahren und fand das ja total faszinierend.
Eva Völpel: Sabine hat nämlich mal, haltet euch fest, eine Zeit lang für die Bild-Zeitung
Eva Völpel: gearbeitet und zwar in Ostdeutschland.
Eva Völpel: Also du warst Anfang der 1990er Jahre als Korrespondentin für die BILD in Ostdeutschland
Eva Völpel: eingesetzt und ich weiß, dass dir das immer so ein bisschen unangenehm ist,
Eva Völpel: aber ich finde es eigentlich wirklich super spannend.
Eva Völpel: Also erstens glaube ich, dass man natürlich durch eine interessante Schule gegangen
Eva Völpel: ist, wenn man Journalismus unter anderem auch bei der BILD gelernt hat und dann
Eva Völpel: glaube ich, dass es eine total spannende,
Eva Völpel: sicherlich auch ernüchterne Zeit dann war, die man da Anfang der 90er mitbekommen
Eva Völpel: konnte, aber erzähl mal.
Sabine Nuss: Ja, ernüchternd trifft es ganz gut. Es ist nämlich genau das,
Sabine Nuss: was du jetzt nochmal alles für mich ja tatsächlich auch in Erinnerung neu gerufen
Sabine Nuss: hast. Du musst dir vorstellen, das ist ja ewig her.
Sabine Nuss: Ich habe Mitte 1992 angefangen bei der Bild-Zeitung in Halle,
Sabine Nuss: war zehn Monate in Halle und danach war ich zehn Monate bei der Bild-Zeitung
Sabine Nuss: in Leipzig, also fast zwei Jahre im Osten.
Sabine Nuss: Und dann habe ich ein Volontariat an der Axel Springer Journalistenschule angeschlossen
Sabine Nuss: an diese zwei mal zehn Monate.
Sabine Nuss: Und natürlich habe ich da alles aus der Perspektive einer Schwarzwälderin,
Sabine Nuss: sehr jung noch, die wirklich von nichts eine Ahnung hatte, was jetzt irgendwie DDR oder so anging.
Sabine Nuss: Ich war irgendwie, glaube ich, 24 Jahre alt oder so, bin ich da reingeraten
Sabine Nuss: in dieses Konglomerat von kurz nach der Wende.
Sabine Nuss: Die Treuhand und überhaupt die ganzen westlichen Leute, die da in den Osten
Sabine Nuss: gekommen sind, haben sich wirklich unterirdisch benommen. Ich habe mich teilweise
Sabine Nuss: wirklich fremd geschämt für das Auftreten mancher Westkollegen und Kolleginnen.
Sabine Nuss: Die ganzen Umbrüche, dann auch noch Boulevardjournalismus, das war jetzt auch
Sabine Nuss: nicht unbedingt das, was ich toll fand, aber egal, wie ich da reingeraten bin,
Sabine Nuss: das ist nur meine andere Geschichte.
Sabine Nuss: Und es war halt so, dass die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich da zu tun
Sabine Nuss: hatte, haben sich in der Regel nicht so richtig interessiert für die Treuhandthemen
Sabine Nuss: oder für die Wirtschaftsthemen überhaupt.
Sabine Nuss: Die haben lieber Gossip gemacht oder Polizeiresort besetzt oder Politik oder
Sabine Nuss: so. Und dann ist es ein bisschen bei mir hängen geblieben.
Sabine Nuss: Und so bin ich da so ein bisschen die Berichterstatterin für diese Themen geworden.
Sabine Nuss: Ich kann gar nicht mehr so viele Geschichten erzählen.
Sabine Nuss: Ich habe jetzt hier auch gerade, das seht ihr Zuhörerinnen und Zuhörer jetzt
Sabine Nuss: auch nicht, ich habe hier gerade so einen Artikel mal beispielhaft mitgebracht,
Sabine Nuss: weil damals gab es zum Glück noch kein Internet.
Sabine Nuss: Das wäre mir urst peinlich jetzt.
Eva Völpel: Ihr braucht also gar nicht suchen.
Sabine Nuss: Wenn jetzt alles noch im Netz wäre, was ich damals geschrieben habe für die
Sabine Nuss: Bild-Zeitung, ich glaube, dann würde ich auswandern.
Sabine Nuss: Und ich habe das damals aber alle Artikel, die ich geschrieben habe, ausgeschnitten.
Sabine Nuss: Alle. Und habe die schön mit Datum versehen. Und die habe ich noch.
Sabine Nuss: Und ich werde sie niemals einscannen.
Eva Völpel: Keine Hoffnung machen. Leute, nicht auf Ideen.
Sabine Nuss: Genau. Und ich möchte mir nur mal ein einziges Beispiel machen. Das war in Leipzig.
Sabine Nuss: Ach so, kurz, ich habe ja vorhin diese Story erzählt, dass ich auf dem Marktplatz
Sabine Nuss: war und Helmut Kohl gesehen habe, wie er beworfen wurde mit Eiern.
Sabine Nuss: Das war genau in meiner Funktion als Bildreporterin.
Sabine Nuss: Da war ich nämlich vor Ort und stand in unmittelbarer Nähe von Kohl.
Sabine Nuss: Und ich habe auch gehört, wie er zu den Protestierenden gerufen hat,
Sabine Nuss: ja, dann kommt halt mal ins Kanzleramt, dann reden wir mal drüber.
Sabine Nuss: Und dann bin ich zurück in die Redaktion und habe das dem Chefredakteur erzählt.
Sabine Nuss: Stell dir vor, was Kohl gerade gesagt hat. Und dann hat er zu mir gesagt,
Sabine Nuss: so, du findest jetzt raus, wer das war und dann wirst du bei Kohl anrufen und
Sabine Nuss: dafür sorgen, dass er die wirklich einlädt.
Sabine Nuss: Und dann bist du da dabei.
Sabine Nuss: Ey, das waren so typische Bild-Zeitungsaktionen, ja, wo ich dann da hinterher
Sabine Nuss: rennen musste und rausfinden musste, macht er das jetzt wirklich,
Sabine Nuss: lädt er die wirklich ein.
Sabine Nuss: Meiner Erinnerung nach hat er es gemacht. Aber gut, jetzt nochmal zurück zu dieser Geschichte.
Sabine Nuss: Also eine Geschichte passt besonders gut auf das, was du jetzt erzählt hast, Eva.
Sabine Nuss: Nämlich, ich habe von der IG
Sabine Nuss: Metall damals, die IG Metall Gewerkschaftssekretär, einen Anruf bekommen.
Sabine Nuss: Und der meinte, wie das so üblich ist, hat was durchgestochen an mich.
Sabine Nuss: Er wollte mir was erzählen.
Sabine Nuss: Und da ging es eben darum, dass die Treuhand Leipzig und die Treuhand Chemnitz,
Sabine Nuss: muss zusammen gewesen sein, die haben 19 Firmen im Paket verkauft und das waren
Sabine Nuss: offensichtlich die guten, die.
Sabine Nuss: Erfolgsversprechenderen Firmen also so die Sahnestücke, wie man damals gesagt hat.
Sabine Nuss: Also Treuhand Leipzig und Chemnitz haben diese 19 Firmen im Paket verkauft an
Sabine Nuss: eine Industriegruppe Leipzig die hieß Siegel Industriegruppe Leipzig.
Sabine Nuss: Das war eine Tochter der Deutschen Bank. So und,
Sabine Nuss: Auf wundersame Weise ist der Chef der Treuhand Leipzig dann nach ein paar Wochen
Sabine Nuss: Chef dieser 19 Firmen bei der Deutschen Bank geworden.
Eva Völpel: Unbelievable.
Andreas: Und was hat sie gekostet? Zwei Mark?
Sabine Nuss: Keine Ahnung, aber ich habe hier ein Zitat von einem der Betriebsratsvorsitzenden.
Sabine Nuss: Eine dieser Firmen, der mir damals wohl gesagt haben muss, der hat sich die
Sabine Nuss: Sahnestückchen unter den Nagel gerissen.
Sabine Nuss: Und ich musste das natürlich dann recherchieren, ob das stimmt und habe das
Sabine Nuss: alles, das war alles bestätigt, das war jetzt klar.
Sabine Nuss: Und dann ist die Geschichte erschienen mit der Überschrift Treuhand Q des Jahres,
Sabine Nuss: Ex-Mitarbeiter, also der Treuhand, jetzt Chef von 19 Firmen war also der Artikel.
Sabine Nuss: Am nächsten Tag ruft er mich an, der Typ, und lädt mich zur Geburtstagsfeier
Sabine Nuss: seiner Tochter ein, die ungefähr in meinem Alter sein müsste,
Sabine Nuss: hat er mir gesagt am Telefon. Und ich dachte so, was ist denn das für eine korrische Angelegenheit?
Sabine Nuss: Mir ist richtig Gänsehaut. Ich dachte irgendwie, was ist denn das?
Sabine Nuss: Ist das jetzt so eine Korruptierung? Was ist so ein Verein gemeinten so?
Sabine Nuss: Damit ich das vielleicht nicht weiterverfolge? Ich habe keine Ahnung.
Sabine Nuss: Also er hat mir damals gegenüber bei dem Statement beim O-Ton,
Sabine Nuss: den ich holen wollte, hat er gesagt, ich bin nicht mehr bei der Treuhand.
Sabine Nuss: Und deshalb äußere ich mich auch nicht dazu.
Sabine Nuss: Und dann, wie gesagt, am nächsten Tag dieser Anruf. Also es war wirklich merkwürdig.
Sabine Nuss: Und ich kann mich leider nicht mehr erinnern, ob ich hingegangen bin.
Sabine Nuss: Ich kann mich an keine Geburtstagsfeier erinnern bei diesem Deutsche Bankchef,
Sabine Nuss: aber das war eine der Storys.
Sabine Nuss: Und dann gibt es noch eine zweite kleinere Geschichte, die sich mir sehr eingebrannt
Sabine Nuss: hat, nämlich ich habe mitgekriegt, wie ein wieder aus dem Westen Typ eine dieser VEBs übernommen hat und
Sabine Nuss: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben irgendwie protestiert und da bin
Sabine Nuss: ich hingefahren vor Orttermin und wollte da mal gucken, wie das so abläuft und
Sabine Nuss: da habe ich eben gerade mitgekriegt, wie dieser Chef, dieser westdeutsche Chef,
Sabine Nuss: das Büro, in dem er hätte sitzen wollen, ausräumen ließ.
Sabine Nuss: Also die ganzen DDR-Möbel und Teppiche und Regale alles raus und super teure
Sabine Nuss: Ledergarnitur wieder rein hat bringen lassen.
Sabine Nuss: Und du hast schon an der Art, wie er dann da so stand dabei und so gemerkt,
Sabine Nuss: was da für ein atmosphärisches.
Sabine Nuss: Also das war wirklich alles dran, war unangenehm.
Sabine Nuss: Genau. Und das Dritte, und dann höre ich auch auf, dass es natürlich,
Sabine Nuss: weil du auch gesagt hast, dass da unglaublich viele Westdeutsche auf Zeit da gekommen sind.
Sabine Nuss: Es ist eigentlich so gewesen, dass in allen Institutionen, die man dem Westen
Sabine Nuss: nachgebaut hat oder nachempfunden hat, Behörden, auch Gewerkschaften und so
Sabine Nuss: weiter, hat man Westdeutsche geholt.
Eva Völpel: Unis.
Sabine Nuss: Genau, in die entsprechenden Führungspositionen. Ich meine, gut,
Sabine Nuss: ich war auch im Westen, aber ich war jetzt Praktikantin und dann eben feste Freie später.
Sabine Nuss: Und das hat sich natürlich ausgewirkt, weil das waren nicht immer die Westdeutschen
Sabine Nuss: der ersten Riege, sondern es waren oftmals die der zweiten Reihe,
Sabine Nuss: die da kamen. Und das hat, glaube ich, auch viel dazu beigetragen.
Sabine Nuss: Also wisst ihr, wie ich meine? Ich will jetzt nicht allen Westdeutschen unterstellen,
Sabine Nuss: dass im Osten, dass da nur die minderqualifizierteren gekommen sind.
Sabine Nuss: Aber du hast schon, also zumindest bei den Bild-Zeitungs-Chefredakteuren hat
Sabine Nuss: man es deutlich gemerkt, dass die mehr gebrüllt haben als gekonnt haben.
Sabine Nuss: Also das habe ich zumindest so erlebt, genau.
Sabine Nuss: Ja, aber ich habe ja schon mal gesagt, Eva, irgendwann werde ich darüber mal ein Buch schreiben,
Sabine Nuss: weil diese zwei Jahre sowas von dermaßen turbulent und abenteuerlich für mich
Sabine Nuss: jetzt aus der Perspektive von einer 24-jährigen Schwarzwälderin waren,
Sabine Nuss: dass ich das irgendwann mal, das muss ich alles irgendwann mal aufarbeiten.
Eva Völpel: Ja, auf jeden Fall. Ich bin gespannt. Ich werde es lesen.
Eva Völpel: Ja, du hast viel jetzt nochmal aufgenommen von den Betrügereien,
Eva Völpel: von der Korruption, die es einfach gab. Das war halt ein Riesenproblem.
Eva Völpel: Aber vielleicht nochmal so zu ein paar grundsätzlichen Facetten,
Eva Völpel: die jenseits sozusagen dieses ganz offenbaren Betrugs stattfanden und die eben
Eva Völpel: auch ein Riesenproblem waren.
Eva Völpel: Also die Treuhand hat eben auch Betriebe verscherbelt, die noch wirklich viel
Eva Völpel: Substanz hatten, du hast es auch schon erwähnt.
Eva Völpel: Und dann gab es ja zum Teil noch üppige Wirtschaftsförderung obendrauf und gleichzeitig
Eva Völpel: wurden dann zwar irgendwie immer so Versprechen gemacht, wir erhalten die Arbeitsplätze
Eva Völpel: und so weiter, wir investieren, aber das war kaum zu sanktionieren.
Eva Völpel: Also da gab es eigentlich überhaupt keine richtigen Durchgriffsmöglichkeiten.
Eva Völpel: Dann ist ein ganz wichtiger Grund, warum das alles auch so in die Grütze ging,
Eva Völpel: man filetierte halt die Wirtschaft.
Eva Völpel: Also die Betriebe wurden in kleinste Einzelteile zerlegt, Großbetriebe auch
Eva Völpel: nochmal so zerschlagen, kleiner gemacht und die verkaufte man dann ohne Rücksicht
Eva Völpel: auf regionale Verflechtungen und Strukturen der Wirtschaft.
Eva Völpel: Und das heißt halt einfach, wenn so ein Betrieb über die Wupper ging oder kleiner
Eva Völpel: gemacht wurde und dann ein Teil der Leute arbeitslos wurden,
Eva Völpel: dann ist das eigentlich nicht die einzig maßgebliche Zahl, die man sich angucken
Eva Völpel: muss, sondern man muss halt irgendwie auf das Große drumherum gucken.
Eva Völpel: Ein Beispiel war die Wartburg-Produktion, also der Autos in Eisenach-Thüringen.
Eva Völpel: Da wurden von rund 6.000 Beschäftigten...
Eva Völpel: Selbst da in dem Betrieb rund 3.400 arbeitslos im Zuge dieser Wende oder der
Eva Völpel: Schockstrategie, aber betroffen waren letztlich insgesamt rund 20.000 Leute in ganz Thüringen.
Eva Völpel: So eines der Beispiele. Und ein ganz großes Problem war halt,
Eva Völpel: dass der Fokus letztlich auf den großen Betrieben lag.
Eva Völpel: Also die Treuhand hatte zwar auch irgendwie so den Auftrag, den Mittelstand
Eva Völpel: zu fördern, aber faktisch hat man eben zu Beginn sowieso vor allem irgendwie
Eva Völpel: nach Westdeutschland vergeben und vor allem in Westdeutschland an die großen Unternehmen.
Eva Völpel: Und als dann die Filetstücke längst vergeben waren, da hat man das so ein bisschen
Eva Völpel: mehr geöffnet, auch für Leute aus dem Osten.
Eva Völpel: Aber ich meine, Martina Lunatas hat es ja schon gesagt, die Leute im Osten,
Eva Völpel: in Ostdeutschland, hatten vielfach überhaupt nicht das Kapital,
Eva Völpel: um sich da in irgendwas einzukaufen.
Eva Völpel: Und man hat auch nicht daran gedacht, die vielleicht dazu zu befähigen.
Eva Völpel: Man hätte ja Sonderförderköpfe auflegen können, wenn man an sowas glaubt und sowas machen will.
Eva Völpel: Dann wäre das natürlich irgendwie eine Möglichkeit gewesen, aber das gab es halt alles gar nicht.
Eva Völpel: Und ja, um so ein Fazit zu ziehen, wir haben es einmal schon erwähnt gehabt,
Eva Völpel: also 85 Prozent des Treuhandvermögens ging in den Westen, 15 Prozent ins Ausland,
Eva Völpel: nur 5 Prozent an die Menschen in Ostdeutschland, statt 600 Milliarden D-Mark,
Eva Völpel: die die Treuhand eigentlich an Erlös einbringen sollte,
Eva Völpel: wie einst der Präsident oder Chef Rohwedder vorausgesagt hatte,
Eva Völpel: schloss die Treuhand die Bilanz mit einem Minus von 270 Millionen D-Mark.
Eva Völpel: Sie hat letztlich von rund 12.500 Betriebseinheiten über die Hälfte privatisiert,
Eva Völpel: also 53 Prozent, 30 Prozent stillgelegt, also geschlossen und damit die Leute arbeitslos gemacht.
Eva Völpel: 13 Prozent wurden reprivatisiert. Da habe ich nicht ganz rausbekommen, was das heißt.
Eva Völpel: Vermutlich hieß das, sie sind erst mal vielleicht kommunal irgendwie vergeben
Eva Völpel: worden und dann nochmal wieder privatisiert und nur 2,5 Prozent gingen an die Kommunen.
Eva Völpel: Und von den einst rund 4 Millionen Arbeitsplätzen, die unter dem Dach der Treuhand gelandet waren.
Eva Völpel: Die DDR hatte eine erwerbsfähige Bevölkerung von so rund 9,3 Millionen Menschen.
Eva Völpel: Gab es am Ende gerade mal 1,1 Millionen, so schön wurde das formuliert, Arbeitsplatzzusagen.
Eva Völpel: Also ob das dann so eingehalten wurde, steht auch nochmal auf einem anderen Stern.
Eva Völpel: Ja und so was die Wirtschaftsstruktur im Osten anging, da kann man eigentlich
Eva Völpel: sagen, dass so die langfristigen Folgen waren. Ostdeutschland wurde halt von
Eva Völpel: den westdeutschen Unternehmen zwar als Markt angesehen, aber nicht unbedingt
Eva Völpel: als Produktionsstandort.
Eva Völpel: Also die westdeutschen Firmen sind nicht dann irgendwie in den Osten gegangen
Eva Völpel: und haben da super viel Industrie wieder aufgebaut.
Eva Völpel: Und das hat, du hast es ja auch erwähnt, massivste soziale Folgen,
Eva Völpel: also Friktionen, Umbrüche, traumatische Erfahrungen auch wirklich in den Biografien
Eva Völpel: und in den Familien in Ostdeutschland zur Folge gehabt.
Eva Völpel: Und das, das muss man sich wirklich klar machen, du hast es auch schon gesagt,
Eva Völpel: das wirkt fort bis heute.
Sabine Nuss: Absolut.
Eva Völpel: Im politischen Gedächtnis, im Familiengedächtnis.
Sabine Nuss: Absolut, genau, im Familiengedächtnis. Und wenn wir jetzt nochmal ganz kurz
Sabine Nuss: an den Ausgangspunkt der Sendung erinnern, wir sind ja davon ausgegangen,
Sabine Nuss: dass wir uns die blühenden Landschaften uns angucken wollten,
Sabine Nuss: die Kohl damals versprochen hat.
Sabine Nuss: Davon ist nicht so richtig viel zu sehen, von diesen blühenden Landschaften.
Sabine Nuss: Und dieser Unterschied, was die Menschen an Vermögen halten,
Sabine Nuss: Ost, West, das erklärt sich jetzt natürlich auch sehr, sehr viel besser.
Sabine Nuss: Und daran sieht man auch wieder, wie wichtig das ist für Vermögensbildung,
Sabine Nuss: dass man über Betriebe verfügt und über Immobilien, also Grund und Boden.
Sabine Nuss: Das ist schon, finde ich, relativ gut nachgezeichnet jetzt von dir, Eva.
Eva Völpel: Aber nur relativ.
Sabine Nuss: Total gut nachgezeichnet. Nicht relativ. Ich ziehe das relativ zurück.
Eva Völpel: Genau, ich meine, vielleicht kann man nochmal sagen, was man ja schon sieht
Eva Völpel: in den letzten Jahren durchaus, ist, dass der Osten so ein bisschen ja aufholt bei den Löhnen.
Eva Völpel: Aber das ist halt irgendwie tatsächlich ja nicht die entscheidende Frage.
Eva Völpel: Also Löhne sind natürlich total wichtig und Arbeitsbeziehungen sind total wichtig.
Eva Völpel: Da haben wir jetzt gar nicht drüber geredet, was das eigentlich auch bedeutete.
Eva Völpel: Der Kahlschlag im Osten für die gewerkschaftliche Stärke oder für die Tarifbindung,
Eva Völpel: die ja bis heute auch niedriger ist als im Westen.
Eva Völpel: Und nochmal zurück zu den Löhnen. Man merkt ja schon, in den letzten Jahren
Eva Völpel: ist die Lücke kleiner geworden zwischen Ost und West, aber sie existiert halt
Eva Völpel: weiterhin und vor allen Dingen spielt die entscheidende Musik eben auf dem Feld
Eva Völpel: der Vermögen und der Erbschaften.
Sabine Nuss: Ja, aber wenn ich das jetzt mal ein bisschen ketzerisch sagen darf,
Sabine Nuss: aus so einer Perspektive, wo man sich beklagt, dass dann im Osten eben nicht
Sabine Nuss: genügend Betriebe in ostdeutscher Hand geblieben sind, sagt man ja eigentlich,
Sabine Nuss: wir hätten ja auch gerne einen funktionierenden Kapitalismus,
Sabine Nuss: wir hätten ja auch gerne die Möglichkeit, Leute auszubeuten,
Sabine Nuss: um zu Vermögensungleichheit zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten zu kommen.
Sabine Nuss: Ich sage ja jetzt absichtlich, dass ich das ein bisschen zuspitze,
Sabine Nuss: aber am Ende ist das die Kritik, die da drin steckt.
Sabine Nuss: Und also jetzt hätte das ja vielleicht auch ausgehend, wenn wir jetzt diese
Sabine Nuss: Forderung nicht implizit haben wollen, mehr Kapitalismus für Ostdeutschland bitte.
Sabine Nuss: Was hätte denn ganz anders laufen können, Eva? Was würdest du sagen?
Eva Völpel: Naja, da kann ich jetzt nur so super kurz darauf antworten.
Eva Völpel: Also klar, ich würde sagen, es hätte eine andere Eigentumsordnung gebraucht.
Eva Völpel: Also wenn ich mir jetzt vorstelle, in der besten aller Welten hätte man in der
Eva Völpel: DDR im großen Stil Formen von demokratisch kontrolliertem Gemeineigentum durchgesetzt.
Eva Völpel: Das wäre eine ganz andere Nummer gewesen.
Eva Völpel: Aber ich meine, wer bin ich, das heute so im Nachklapp so mal kurz federstrichartig zu entwerfen.
Eva Völpel: Es gab ja aber auch Leute aus der Bürgerrechtsbewegung, die wirklich was anderes
Eva Völpel: wollten und das ist das Tragische, mit diesen Vorstellungen komplett untergegangen sind.
Sabine Nuss: Ich stimme dir da eigentlich total zu. Ich würde noch auf dem Gebiet der,
Sabine Nuss: vielleicht nenne ich das mal theoretischer Aufarbeitung, also mir fällt immer
Sabine Nuss: auf, dass relativ viele Leute,
Sabine Nuss: wenn ich irgendwie durch die Gegentur oder öffentlich-Privateigentum kritisiere,
Sabine Nuss: kriege ich ja immer, immer, immer das Gleiche gesagt, nämlich geh doch zurück
Sabine Nuss: in die DDR, du willst die Mauer wieder bauen.
Sabine Nuss: Da sind wir diese sehr plumpe Entgegenhaltung und da würde ich irgendwie denken,
Sabine Nuss: das sind halt meistens Leute, die haben überhaupt gar kein Interesse daran,
Sabine Nuss: sich damit auseinanderzusetzen.
Sabine Nuss: Was ist wirklich, wie hat die Planwirtschaft in der DDR wirklich funktioniert, konkret?
Sabine Nuss: Was war das Problem? Das gilt aber teilweise auch für die anderen.
Sabine Nuss: Also ich finde Christa Luft hat tolle Arbeit gemacht und ich finde auch Michael
Sabine Nuss: Brie hat tolle Arbeit gemacht, aber die Beurteilung dessen, was in der Planwirtschaft
Sabine Nuss: der DDR oder der Sowjetunion ist.
Sabine Nuss: Nicht gut gelaufen ist, orientiert sich immer am Maßstab der Marktwirtschaft.
Sabine Nuss: Also die Marktwirtschaft ist das Effiziente, dort haben wir die Anreizstruktur
Sabine Nuss: des Privateigentums und von dem Maßstab aus beurteile ich dann die Planwirtschaft.
Sabine Nuss: Man hätte es ja ganz andersrum denken können. Also ich habe letzter Punkt einmal
Sabine Nuss: eine Hausarbeit geschrieben vor dieser Diplomarbeit über die DDR und die Reformbemühungen
Sabine Nuss: innerhalb der DDR selbst.
Sabine Nuss: Und da gab es schon, also war schon zu beobachten, dass es einen Diskurs gab,
Sabine Nuss: in der DDR hin zu mehr privates Unternehmertum wegen der Anreizfunktion.
Sabine Nuss: Und da hatte ich damals in der Hausarbeit frisch frei von der Leber weg geschrieben,
Sabine Nuss: das war der Fehler, sie hätten es andersrum machen müssen.
Sabine Nuss: Sie hätten nämlich die Kategorien, die sie ja hatten von Tausch,
Sabine Nuss: Lohn, Lohnarbeit, Ware, Geld, die hätten sie eigentlich überwinden müssen,
Sabine Nuss: statt mehr Marktwirtschaft einzuführen.
Sabine Nuss: Das hätte dann möglicherweise zu einem demokratischen Sozialismus führen können,
Sabine Nuss: statt sich dem Kapitalismus anzunähern.
Sabine Nuss: Da hat damals die Professorin, die dann meine Hausarbeit korrigiert hat,
Sabine Nuss: gesagt, das hätten sie damals aber nicht schreiben können, ohne Ärger zu kriegen in der DDR. Ach,
Sabine Nuss: dann dachte ich, ja, vielleicht ist genau das das Problem.
Sabine Nuss: Aber gut, also insofern stimme ich dir zu, man hätte mehr vom demokratischen
Sabine Nuss: Gemeineigentums durchsetzen müssen und dann auch mehr diskutieren und nochmal
Sabine Nuss: mehr zurückgucken, woran ist es eigentlich gescheitert ohne Maßstab Marktwirtschaft.
Sabine Nuss: Genau, aber was hat Martina Linatas nochmal was dazu gesagt?
Eva Völpel: Also zu dem Punkt genau jetzt nicht. Wir haben uns aber sehr wohl noch darüber
Eva Völpel: unterhalten, was man von heute aus betrachtet tun könnte, um etwas gegenzusteuern.
Eva Völpel: Und sie ist dann vor allem auf diese nachgelagerte Verteilungsebene eingegangen.
Eva Völpel: Und da hat sie vor allem zwei Vorschläge stark gemacht. Den einen gebe ich mal ganz kurz wieder.
Eva Völpel: Zum einen ist natürlich ein entscheidendes Spielfeld die Steuerpolitik.
Eva Völpel: Also sie sagte ganz klar, wir müssen uns deutlich machen, dass die bei uns faktisch
Eva Völpel: die Mittelschicht prozentual gesehen sehr viel mehr an Steuern von ihrem Einkommen
Eva Völpel: bezahlt als die wirklich Vermögenden an der Spitze der Gesellschaft.
Eva Völpel: Und das heißt, um gegenzusteuern, müsste man durchaus auch beim Spitzensteuersatz
Eva Völpel: in der Einkommenssteuer was machen, klar.
Eva Völpel: Aber vor allen Dingen oben, also bei den vermögensbezogenen Steuern.
Eva Völpel: Also da geht es dann um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Reform der Erbschaftssteuer,
Eva Völpel: die ja wirklich total absurde Ausnahmen hat für wirklich die allergrößten Vermögen
Eva Völpel: in diesem Land, die quasi steuerbefreit weitergereicht werden können im Familienplan
Eva Völpel: und das ist dann vor allem der Unternehmensbesitz.
Eva Völpel: Sie hat, das fand ich übrigens auch interessant, so ein ganz kurzer aktueller
Eva Völpel: Einschub nochmal, dann auch darauf hingewiesen, wir haben ja gerade so ein bisschen
Eva Völpel: so eine zaghaft beginnende Debatte auch in der Union über eine Reform der Erbschaftsteuer.
Eva Völpel: Jens Spahn hat da ein bisschen was zugesagt, aber auch andere.
Eva Völpel: Und da hat sie nochmal so gewarnt, dass wir da gerade die Debatte sehen,
Eva Völpel: dass das in so eine Richtung Flat Tax läuft.
Eva Völpel: Also so im Sinne von, ja okay, wir können ein bisschen was machen,
Eva Völpel: Steuersätze können wir ein bisschen hochschrauben, aber dann für alle den einheitlichen,
Eva Völpel: einen einheitlichen Steuersatz.
Eva Völpel: Also ich spinne jetzt mal rum, 15 Prozent für alle.
Eva Völpel: Was natürlich zur Folge hat, dass die Leute, die richtig, richtig hohes Vermögen
Eva Völpel: haben, nicht mehr progressiv besteuert werden.
Eva Völpel: Also es ist nicht mehr diese Gerechtigkeit drin, dass der, der viel hat,
Eva Völpel: auch mehr an Steuern bezahlt, ja, prozentual gesehen. Und da hat sie vorgewarnt.
Eva Völpel: Also die eine ganz wichtige Einflugsschneise, die sie da stark gemacht hat,
Eva Völpel: das ist eben die Steuerverteilungsfrage.
Eva Völpel: Und dann hat sie aber noch einen anderen Vorschlag ins Spiel gebracht.
Eva Völpel: Und den finde ich auch nochmal sehr interessant.
Eva Völpel: Und da hören wir jetzt nochmal rein. Da geht es nämlich um die Einführung eines
Eva Völpel: sogenannten Grunderbes für alle jungen Menschen.
Martyna Linartas: Genau, ich habe mich im Zuge meiner Forschung damit auseinandergesetzt,
Martyna Linartas: welche Instrumente würden denn jetzt eigentlich diese Schere zwischen Arm und
Martyna Linartas: Überreich schließen können?
Martyna Linartas: Und habe dann herausgefunden, dass es seit einigen Jahren wieder ein Revival,
Martyna Linartas: eine Renaissance, eine Idee gibt, die aus dem Ende der französischen Revolution
Martyna Linartas: stammt, nämlich das sogenannte Grunderbe.
Martyna Linartas: Manchmal ist es Mindesterbe, manchmal ist es Startkapital, aber grundsätzlich
Martyna Linartas: geht es darum, dass junge Erwachsene an einem entscheidenden Punkt in ihrem
Martyna Linartas: Leben eine gewisse Summe X erhalten würden, also wirklich ein Vermögen.
Martyna Linartas: Und darüber dürften sie dann entscheiden. Und da gibt es auch verschiedene Konzepte.
Martyna Linartas: Die laufen, die gehen los bei etwa 20.000 Euro.
Martyna Linartas: Erst ab dieser Summe würde überhaupt die Ungleichheit reduziert werden und die
Martyna Linartas: gehen hoch bis 190.000 Euro, wenn man nämlich den Betrag des Durchschnittsvermögens
Martyna Linartas: in Deutschland heranziehen würde. Also man würde sagen, junge Erwachsene sollten
Martyna Linartas: 60 Prozent des Durchschnittsvermögens erhalten.
Martyna Linartas: Und auch da wieder, also einige sagen, die sollten das schon mit 18 bekommen,
Martyna Linartas: damit das auch eine wichtige Rolle spielen kann.
Martyna Linartas: Mit Hemdek beispielsweise, wo kann ich Praktika machen, wo kann ich vielleicht
Martyna Linartas: eine Ausbildung machen oder zum Studieren hingehen, damit es einfach nicht von
Martyna Linartas: Portemonnaie der Eltern abhängt.
Martyna Linartas: Andere sprechen davon, man sollte lieber ein bisschen warten,
Martyna Linartas: bis junge Erwachsene vernünftiger werden. Also lieber mit Mitte 20.
Martyna Linartas: Und es sollte auch zweckgebunden sein. Wie dem auch sei, es gibt viele verschiedene tolle Konzepte.
Martyna Linartas: Ich persönlich wäre ein Fan davon, dass wenn man sagt.
Martyna Linartas: Hey, junge Erwachsene dürfen wählen, dürfen gewählt werden, dürfen eingezogen
Martyna Linartas: werden in den Krieg, dann dürfen die auch gefälligst über das Vermögen,
Martyna Linartas: das gemeinsam in der Gesellschaft aufgebaut wurde, auch selber entscheiden an
Martyna Linartas: dieser Entscheidungsstelle in ihrem Leben. Also eher früher als später.
Martyna Linartas: Und ganz, ganz wichtig, man müsste Bildung in die Schulen bringen.
Martyna Linartas: Und zwar nicht nur darüber, wie kann ich tolle Aktien kaufen,
Martyna Linartas: sondern wie kann ich nachhaltig investieren.
Martyna Linartas: Wie kann ich eventuell Wohnprojekte konzipieren, zusammen mit Freundinnen,
Martyna Linartas: mit meiner Familie und so weiter und so fort.
Martyna Linartas: Und das ist etwas, was man über viele Jahre aufbauen sollte.
Martyna Linartas: Und das ist der eine Clou, das ist wirklich, die Ungleichheit würde stark reduziert werden.
Martyna Linartas: Wir würden nicht mehr sehen, dass Erbschaften und Schenkungen in so einem großen
Martyna Linartas: Maße dazu beitragen, als Ungleichheit vergrößert würde, was aktuell der Fall
Martyna Linartas: ist, weil Erbschaften und Schenkungen ja ultra konzentriert sind.
Martyna Linartas: Die reichsten 10% der Bevölkerung erhalten die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen.
Martyna Linartas: Und das ist so eine exponentielle Kurve, also die geht steil nach oben in der
Martyna Linartas: Kurve hoch. Also echt nicht geil.
Martyna Linartas: Das heißt, wenn man ein Grunderbe einführen würde, dann wäre das etwas,
Martyna Linartas: was dazu beitragen würde, dass die Ungleichheit reduziert würde und es würde
Martyna Linartas: dazu beitragen, dass auch junge Erwachsene wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken dürfen.
Martyna Linartas: Deswegen bin ich ein ganz, ganz großer Fan davon. Ganz spannend fand ich zum
Martyna Linartas: Beispiel auch im Buch von Ungleich Verein vom Soziologen Steffen Mau,
Martyna Linartas: dass er beschrieben hat, wenn man jetzt Ost und West angleichen wollen würde,
Martyna Linartas: dann bräuchte es eigentlich sowas wie eine neue Lastenabgabe,
Martyna Linartas: das hatten wir in Deutschland schon mal, oder ein Soli 2.0.
Martyna Linartas: Und so ein Grunderbe wäre aber auch eine Möglichkeit, weil dann ja nicht nur
Martyna Linartas: Kinder aus Westdeutschland oder Erben aus Westdeutschland, meistens sind die
Martyna Linartas: ja schon älter, meistens sind Erben eher um die 50 bis 60,
Martyna Linartas: sondern auch es würden ja endlich mal Menschen aus dem Osten überhaupt mal Erbschaften erhalten.
Martyna Linartas: Das heißt, da würden auch über so ein Grunderbe wirklich die Schere zwischen
Martyna Linartas: Arm und Reich, zwischen Ost und West weiter schließen können.
Sabine Nuss: Ja, das Grunderbe. Also im Grunde genommen ist es ein ganz interessantes Konzept,
Sabine Nuss: wo aber jetzt ja auch schon rauszuhören war, dass es schwer darauf ankommt,
Sabine Nuss: wie man es genau umsetzt, welche Höhe das es hat, ob es eine Zweckbindung gibt
Sabine Nuss: oder nicht und so weiter.
Sabine Nuss: Und die Ostbeauftragte, die neue Elisabeth Kaiser, die wir da eingangs erwähnt
Sabine Nuss: haben, die hat es ja auch erwähnt, allerdings eher zurückhaltend,
Sabine Nuss: als interessante Idee, die man mal diskutieren sollte.
Sabine Nuss: Wenn ich jetzt mal an meine junge Zeit zurückdenke, wenn ich,
Sabine Nuss: sagen wir mal so im Alter von 20,
Sabine Nuss: wie viel ist zum Beispiel, Carsten Schneider hatte mal der Vorgänger von Elisabeth
Sabine Nuss: Kaiser, der damalige Ausbauauftragte, hatte mal vorgeschlagen 20.000 Euro,
Sabine Nuss: nehme ich jetzt mal 20.000 Euro als 20-Jährige, ich hätte das gekriegt.
Sabine Nuss: Ich glaube, davon wäre schon sehr lange nichts mehr da.
Sabine Nuss: Und ich glaube, das hätte mich über ein paar Monate, hätte mir das,
Sabine Nuss: glaube ich, gut helfen können. Hätte ich nicht so viel nebenbei jobben müssen.
Sabine Nuss: Aber so musste ich halt jetzt neben Schule und Studium sehr viel jobben, um das Geld zu kriegen.
Sabine Nuss: Ich würde irgendwie denken, jetzt mal jenseits von Utopie und wir brauchen sowieso
Sabine Nuss: Vergesellschaftung für alles, jetzt mal innerhalb, also drunter mal gedacht, würde ich denken,
Sabine Nuss: fast sinnvoller fände ich einen massiven Aufbau von Schule.
Sabine Nuss: Also eine viel, viel bessere Ausstattung von Schulen, von Kitas,
Sabine Nuss: von kleinere Klassen machen, mehr Lehrer, mehr freie Schulen machen,
Sabine Nuss: also mehr Elternzeitmodelle.
Sabine Nuss: Also quasi die Atmosphäre und die Vorteile, die reiche Kinder haben,
Sabine Nuss: die sie dann im Verlauf bevorzugen gegenüber armen Kindern,
Sabine Nuss: eben den ärmeren oder einkommensschwächeren Familien, den Kindern,
Sabine Nuss: die dort herkommen, ein ähnliches Umfeld finanziell zu ermöglichen.
Sabine Nuss: Ist vielleicht mehr gewonnen als das Individuelle, oder Eva?
Eva Völpel: Ja, ich würde fast sagen, man müsste beides machen. Also ich gehe voll mit dir
Eva Völpel: mit, zu sagen, wir brauchen eigentlich einen krassen Ausbau der gesamten sozialen
Eva Völpel: Infrastrukturen und Daseinsvorsorge und gleichzeitig frage ich mich aber schon,
Eva Völpel: natürlich haben Leute, die aus wohlhabenden oder vermögenden Elternhäusern kommen,
Eva Völpel: ganz andere Möglichkeiten zum Beispiel zu sagen, so ich gehe jetzt zur UN nach
Eva Völpel: New York und mache da irgendwie ein Praktikum und das kostet aber,
Eva Völpel: weil New York so schweineteuer ist, weiß ich nicht, mich für sechs Monate, keine Ahnung,
Eva Völpel: gewürfelte Zahl jetzt irgendwie 15.000 Euro oder mehr.
Eva Völpel: Also da hast du ja schon so Bereiche, wo Leute mit Geld im Hintergrund sich
Eva Völpel: ganz andere Sachen leisten können, die vielleicht so Türöffner sind auf dem
Eva Völpel: Weg von so einer Berufsfindung oder so Karriereaufbau.
Eva Völpel: Aber klar, ich meine, ich würde halt auch eher irgendwie dazu tendieren zu sagen,
Eva Völpel: das sind sehr individuelle Lösungen
Eva Völpel: und eigentlich müssten wir an andere gesellschaftlichere Lösungen denken.
Eva Völpel: Du hast gesagt, Vergesellschaftung. Wir kommen immer wieder drauf zurück.
Eva Völpel: Wir brauchen ein ganz anderes Wirtschaftssystem.
Sabine Nuss: Ja, genau. Ich wäre sogar noch für, dass wir über Grundeinkommen diskutieren.
Sabine Nuss: Ich weiß, dass es eines der allerumstrittensten Themen ist. Ich kriege hier
Sabine Nuss: schon gleich Handzeichen.
Sabine Nuss: Entschuldigung, aber hey, Leute, meine Güte, echt, schüttet Geld aus. Es ist genug da.
Sabine Nuss: So, das war jetzt mein Statement zum Tag.
Eva Völpel: Genau. Ja,
Eva Völpel: Ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht. Also was heißt Spaß? Es ist ja irgendwie
Eva Völpel: sehr ernüchternd, aber ich muss sagen, mir hat es in der Tat so ein bisschen Spaß gemacht.
Eva Völpel: Ich bin ja von Haus aus Historikerin und für mich war das total spannend,
Eva Völpel: mich nochmal in diese politisch-historischen Entwicklungen einzulesen und auch
Eva Völpel: die ökonomischen Entwicklungen darin irgendwie eingebettet mitzubekommen und
Eva Völpel: auch nochmal so ein bisschen jetzt hier darzustellen.
Sabine Nuss: Absolut, das hast du auch. Ging mir auch so. Ich war jetzt Hinge an deinen Lippen
Sabine Nuss: hier im Studio. Ich fand es jetzt auch total spannend, dir zuzuhören.
Sabine Nuss: Danke nochmal für die Aufarbeitung.
Eva Völpel: Gerne. Ich wollte eine Sache noch ganz kurz sagen, weil mir das echt wichtig ist.
Eva Völpel: Was natürlich jetzt hier gar nicht drin vorkommt, ist die Opposition der Menschen
Eva Völpel: in Ostdeutschland gegen diese Treuhandpolitik.
Eva Völpel: Also man muss sich wirklich klar machen, dass richtig viel los war.
Eva Völpel: Also es gab unglaublich viele Proteste.
Eva Völpel: Es wurden irgendwie die Türen der Treuhandanstalten teilweise zugemauert.
Eva Völpel: Es gab den schon erwähnten Hungerstreik der Kali-Kumpel in Bischofenrode.
Eva Völpel: Das Tragische daran ist, dass das sozusagen nie so ausgriff,
Eva Völpel: dass es zu einer flächendeckenden Oppositionsbewegung wurde,
Eva Völpel: die auch was hätte stoppen können und dass es auch im Westen von der linken
Eva Völpel: oder linksliberalen Öffentlichkeit nicht aufgenommen wurde.
Eva Völpel: Also es ist, ja, da hat kein Funke gezündet.
Eva Völpel: Und was mich jetzt auch nochmal interessieren würde, falls er Lust dazu hat,
Eva Völpel: ich gucke jetzt mal hier rüber zu unserem Tontechniker Andreas,
Eva Völpel: weil deine Familie kommt ja aus Ostdeutschland.
Eva Völpel: Ja, ich weiß nicht, ob du sozusagen auch nochmal so Erinnerungen an diese damalige
Eva Völpel: Zeit hast, die dir jetzt irgendwie bei dem, was wir heute besprochen haben,
Eva Völpel: so durch den Kopf gegangen sind oder was das nochmal so auch so wach ruft.
Andreas: Es ist schwierig. Ich war sechs, als die Mauer fiel.
Andreas: Ich weiß, dass mein Vater die Abwicklung seines Betriebs vom Studium erlebt hat.
Andreas: Der hat ein Wirtschaftsstudium gemacht und lernte dann in Merseburg,
Andreas: dass er wieder zu seinem Betrieb zurück musste, weil da plötzlich andere Leute
Andreas: arbeitslos waren. und hat dann tatsächlich die Abwicklung mit der Treuhand gemacht
Andreas: auf der Seite und dann die gewerkschaftliche Abwicklung.
Andreas: Und die hatten solche Sachen, wie dass sie demonstriert haben vor der Treuhandzentrale
Andreas: und zwar mein Vater hat im Rüstungsbetrieb gearbeitet, der DDR.
Andreas: Und dann stand da plötzlich, dann wurden plötzlich alle Leute abgezogen von
Andreas: dort, also auch die, die aufgepasst haben auf den Sprengstoff.
Andreas: Und dann lag da der Sprengstoff einfach so rum, weil es wurde eingespart.
Andreas: Und dann sind die halt hin zur Treuhand nach Berlin und haben gesagt,
Andreas: Das geht nicht, wir haben hier so und so viele Tonnen TNT und solche Sachen.
Andreas: Und er meinte damals, was er viel so erzählt hat, waren solche Sachen wie,
Andreas: dass er auch viel mit der Stadt diskutiert hat.
Andreas: Und dann ging es oft so um so Sachen wie, dass die Grünen sich zum Beispiel
Andreas: darüber beschwert haben, dass keine Panzer mehr dort fahren oder so,
Andreas: weil sie meinten, ja, das hält dann irgendwelche kleinen Softbiotope und er
Andreas: war dann immer so der Meinung, ja, gib mir Leute, ich lasse hier auch die ganze
Andreas: Zeit Panzer durch die Gegend fahren, weil er so die Perspektive hatte,
Andreas: diese Leute im Prinzip wieder in Arbeit zu bringen.
Andreas: Ich glaube, das sind auch so Einzelgeschichten, die dann einfach nur erzählt
Andreas: werden, Aber ich habe das Gefühl, die haben auf jeden Fall auch keine gute Perspektive
Andreas: auf die Zeit, hatten aber relativ schnell Glück.
Andreas: In den mittleren 90er Jahren haben meine Eltern beide einen guten Job gefunden.
Andreas: Also es gab, sie waren durchaus keine Wendeverlierer. Und ich glaube,
Andreas: dann wird das auch nochmal anders erzählt.
Andreas: Wenn es dann sich nur um so ein, zwei, drei Jahre handelt, ist es glaube ich
Andreas: tatsächlich so eine Frage von, kann man das so überbrücken?
Andreas: Und wenn es dann andere Menschen gibt, die dann halt wirklich länger,
Andreas: also bis in die 2000er, arbeitslos waren oder nur so...
Andreas: Schlecht bezahlte Arbeit haben, ich glaube, dann drückt sich das auf die Geschichte
Andreas: nochmal viel stärker ein.
Eva Völpel: Ja, auf jeden Fall. Und ich glaube, es gibt halt wahnsinnig viele interessante
Eva Völpel: Geschichten in dem Sinne, dass man die eigentlich nochmal auch hörbar machen müsste.
Eva Völpel: Es ist ja in den letzten Jahren, finde ich, nochmal so deutlicher auch entstanden,
Eva Völpel: dass auch so eine selbstbewusstere Generation von Autorinnen teilweise sich
Eva Völpel: dieses Themas angenommen hat und das auch beschreibt,
Eva Völpel: teilweise wirklich mit biografischen Hintergründen.
Eva Völpel: Und ich finde das total wichtig, klarzumachen, was die Leute dann für Erfahrungen
Eva Völpel: hatten, was das bedeutet hat für deren Leben.
Eva Völpel: Genau, das haben wir natürlich jetzt heute leider gar nicht so drin.
Eva Völpel: Ja, aber wir sind ja jetzt auch schon so ein bisschen länger geworden heute.
Sabine Nuss: War trotzdem spannend. Vielen Dank, Eva. Hast du ein Mitbringsel, Eva?
Eva Völpel: Ja, ich habe ein kleines, kurzes Mitbringsel, was nochmal gut passt zu der Sendung.
Eva Völpel: Ich möchte nämlich nochmal eine Lanze brechen für das Buch von dem Soziologen Steffen Mau.
Eva Völpel: Ungleich vereint, warum der Osten anders bleibt. Der schreibt ja auch über so
Eva Völpel: die ökonomische Ungleichheit,
Eva Völpel: aber vor allen Dingen fächert er das nochmal viel breiter auf und geht auch
Eva Völpel: so auf die politische und kulturelle Ungleichheit ein zwischen West und Ost
Eva Völpel: bis heute. Das kann ich wärmstens empfehlen.
Eva Völpel: Und ich habe noch ein zweites Mitbringsel.
Sabine Nuss: Oh wow, jetzt trete ich aber langsam in den Schatten. Ey, ich bin,
Sabine Nuss: ich hab, na gut. Okay, ja, bitte, toll.
Eva Völpel: Das ist jetzt nicht mehr, doch eigentlich ist es ja genau zum Thema,
Eva Völpel: nämlich zum Thema Eigentum.
Eva Völpel: Die liebe Sabine war nämlich im Podcast bei Thilo Jung, also jung und naiv,
Eva Völpel: liebe Leute, vier Stunden saß sie da.
Eva Völpel: Also hört mal rein. Ich habe angefangen, es zu hören. Ich werde es noch zu Ende hören.
Sabine Nuss: Na, dann kriegt ihr aber echt einen Sabine-Overload-Kill, wenn ihr jetzt das
Sabine Nuss: hört und dann noch die vier Stunden.
Sabine Nuss: Danke Eva für die Werbung. Ich habe gelost, ich habe leider keinen Mitbringsel
Sabine Nuss: dabei, aber Letizia, unsere hier heute da sitzende Praktikantin,
Sabine Nuss: vielleicht erzähl mal, wie war das jetzt für dich hier zuzuhören,
Sabine Nuss: so live im Studio? Was hast du mitgenommen?
Laetitia : Boah, ich fand es richtig spannend und auch irgendwie zu merken,
Laetitia : dass es jetzt doch irgendwie so durchläuft.
Laetitia : Und also ich habe irgendwie jetzt, also es war ja im Grunde genommen für mich
Laetitia : jetzt auch mit den Kopfhörern auf, ein bisschen wie so ein Podcast irgendwie
Laetitia : so, ja, als würde ich jetzt einfach so einen Podcast hören, halt mit so kleinen
Laetitia : Unterbrechungen und so.
Laetitia : Aber voll viel auch irgendwie jetzt so diese ganzen Zahlen mit der Ungleichheit
Laetitia : zwischen Osten und West, die kannte ich jetzt so grob umrissen schon.
Laetitia : Aber dann jetzt wirklich so diese ganze, ja okay, woher kommt das eigentlich?
Laetitia : Das einmal so wirtschaftlich irgendwie chronologisch dargelegt zu haben,
Laetitia : ist irgendwie, also auf jeden Fall voll die Bereicherung. Super, sehr schön.
Sabine Nuss: Gut, dann sind wir am Ende der Folge angelangt.
Sabine Nuss: Vielen Dank nochmal an alle hier und danke auch fürs Zuhören,
Sabine Nuss: für eure Aufmerksamkeit.
Sabine Nuss: Wie immer könnt ihr eure Kritiken, Fragen,
Sabine Nuss: Anregungen, Themenwünsche schicken per E-Mail an armutszeugnis at rosalux.org
Sabine Nuss: und ich wünsche allen noch einen schönen Resttag.
Eva Völpel: Bis ganz bald.
Sabine Nuss: Auf Wiederhören.
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