#20: Mehr Pappwand als Brandmauer. Das Erstarken der Rechten | Teil 2
Shownotes
In der letzten Folge haben wir einige Studien besprochen, die einen Zusammenhang zwischen staatlicher Sparpolitik, ökonomischer Krisen und dem Auftrieb rechter Parteien belegen. In dieser Folge schließen wir daran an und stellen weitergehende Erklärungen vor. Rechte Ideologien sind demnach nicht erst in den letzten Jahren durch eine Zuspitzung neoliberaler Politik und Krisen entstanden, sie existieren schon sehr viel länger in den Köpfen der Menschen. Dabei wird deutlich, dass Menschenfeindlichkeit, Nationalismus und autoritäres Denken weniger der extreme Pol am rechten Rand ist, sondern aus der Mitte der Gesellschaft rührt. Woran liegt das und was erzählt uns das über unsere Wirtschaftsweise?
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Shownotes:
Thomas Ebermann, Thorsten Mense, Flo Thamer: NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns. Aufführung am 27. November 2025, Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Weitere Informationen zum Stück unter: https://www.vernunftwahn.de/
Wilhelm Heitmeyer: Autoritäre Versuchungen, Berlin 2018.
Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände: Folge 1-10, Suhrkamp
Kaufmann, Stephan: Macht Sparen rechts? Und warum? vom 10. Februar 2024, in: Politik & Ökonomie Blog
Thorsten Mense, Judith Goetz (Hrsg.): Rechts, wo die Mitte ist: die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus, Münster 2024.
Andreas Zick, Beate Küpper, Nico Mokros: (Hrsg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland, 2022/23.
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Eva Völpel: Ja, hallo alle miteinander und herzlich willkommen zur 20.
Eva Völpel: Folge von Armutszeugnis, dem Wirtschaftspodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hallo Sabine.
Sabine Nuss: Hallo Eva.
Eva Völpel: Wir haben hier heute die zweite Folge unserer Doppelfolge, wo wir uns näher
Eva Völpel: befassen mit dem Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Krisen und dem Erstarken der Rechten.
Eva Völpel: Und vielleicht nochmal vorweggeschickt, wir haben beide Folgen Ende Juli aufgezeichnet.
Eva Völpel: Im ersten Teil haben wir uns mehrere Studien angeschaut, die beobachtet haben,
Eva Völpel: wie nach staatlichen Kürzungen oder aufgrund von steigenden Lebenshaltungskosten
Eva Völpel: oder aufgrund auch von wirtschaftlichen Abstiegsängsten insgesamt und besonders
Eva Völpel: auch nochmal in vom Strukturwandel betroffenen Regionen,
Eva Völpel: wie deswegen Rechte oder Rechtsextreme an Stimmen dazugewinnen können.
Eva Völpel: Wir haben natürlich auch ein bisschen was Widersprüchliches gesehen,
Eva Völpel: als wir uns diese Studien angeschaut haben.
Sabine Nuss: Genau, also zum Beispiel haben wir auch gesehen, dass auch wohlhabendere Regionen,
Sabine Nuss: dass es da einen starken Stimmenzuwachs gab, jetzt in Deutschland für die AfD.
Sabine Nuss: Wir haben auch thematisiert, dass es durchaus auch wohlhabende und reiche gibt,
Sabine Nuss: die rechts wählen, dass es natürlich auch rechtsradikale Regimes gibt,
Sabine Nuss: da haben wir auch kurz über die USA gesprochen.
Sabine Nuss: Also es ist widersprüchlichere Lage, als diese Studien erstmal nahelegen würden.
Eva Völpel: Genau, beziehungsweise man muss einfach ergänzend noch andere Dinge mit dazu
Eva Völpel: denken, ganz unbedingt.
Eva Völpel: Und wir sind in der letzten Folge ja auch schon auf die Frage eingegangen,
Eva Völpel: warum die Leute nicht links wählen, wenn doch das Soziale der Grund sein soll,
Eva Völpel: dass es so einen Rechtsruck gibt.
Eva Völpel: Da steht ja die Frage im Raum, warum wählen die Leute dann nicht eher links,
Eva Völpel: wenn irgendwie gekürzt wird und sie mit weniger Geld auskommen müssen.
Eva Völpel: Und da sind wir unter anderem auch auf die Debatte gestoßen,
Eva Völpel: wo gesagt wird, ja, die Sozialdemokratie, auch ein Teil der Intellektuellen
Eva Völpel: und der Linken in verschiedenen Ländern,
Eva Völpel: die haben eben die Arbeiterklasse im Stich gelassen, beziehungsweise Zugespitzter,
Eva Völpel: gegen deren sozialen und ökonomische Interessen ja sogar Politik gemacht.
Eva Völpel: Also Stichwort in Deutschland zum Beispiel Agenda 2010 unter Rot-Grün.
Eva Völpel: Und das ist natürlich auch ein sehr wichtiger Punkt, da haben wir eben die mangelnde
Eva Völpel: politische Repräsentation,
Eva Völpel: das Gefühl verlassen und verkauft worden zu sein quasi von Parteien,
Eva Völpel: die ehemals eigentlich die Parteien waren, die die Arbeit der Innenklasse vertreten
Eva Völpel: haben oder sich das zumindest auf die Fahnen geschrieben hatten.
Eva Völpel: Das haben wir uns alles schon mal angeschaut und heute wollen wir noch mal vertiefend
Eva Völpel: reingehen, denn das ist nötig bei dem Thema.
Eva Völpel: Aber wir widmen uns heute genauer der Frage, woran rechte Parteien bei ihrer
Eva Völpel: Mobilisierung eigentlich unter anderem so im Alltagsverstand andocken können
Eva Völpel: und was uns das eigentlich alles über unsere Wirtschaft erzählt.
Eva Völpel: Und Sabine, du hast dich dafür wieder umgetan und ich bin sehr gespannt,
Eva Völpel: was du uns heute mitgebracht hast.
Sabine Nuss: Wir haben tatsächlich auch letztes Mal schon so angekündigt,
Sabine Nuss: dass wir uns diesen Fragen immer so ein bisschen schrittweise entwickelnd nähern.
Sabine Nuss: Und ich möchte jetzt genau in diesem Sinne auch erst noch mal ganz kurz darauf
Sabine Nuss: hinweisen, dass diese Studien, über die wir letztes Mal gesprochen haben,
Sabine Nuss: so ein bisschen auch nahelegen, dass wir es mit einem relativ plötzlich aufgetretenen
Sabine Nuss: Phänomen des Erstarkens der Rechten zu tun haben.
Sabine Nuss: Sieht auch ja auch erstmal so aus, Zunahme von rechten Parteien,
Sabine Nuss: Zunahme von Zustimmungswerten und so weiter.
Sabine Nuss: Auch dieser Begriff Rechtsruck, der ja oft verwendet wird, legt es auch ein
Sabine Nuss: bisschen nahe, als sei jetzt plötzlich die ganzen Gesellschaften plötzlich nach rechts gerückt.
Sabine Nuss: Und da wären wir schon mal bei einem ersten wichtigen Aspekt,
Sabine Nuss: den man hier noch dazu erwähnen muss bei dieser ganzen Thematik.
Sabine Nuss: Nämlich wir wissen aus der Forschung, dass rechte Ideologien schon sehr,
Sabine Nuss: sehr viel länger, um es mal so zu sagen, in den Köpfen der Menschen verankert sind.
Eva Völpel: Und genau dazu wirst du uns heute etwas erzählen und du beziehst dich da vor
Eva Völpel: allen Dingen auf einen Forscher, nämlich Wilhelm Heidmeier und man muss auch
Eva Völpel: fairerweise dazu sagen auf sein Team und die Arbeit aus seinem Team.
Eva Völpel: Und warum gerade Wilhelm Heidmeier bzw. was hat er und was hat sein Team erforscht?
Sabine Nuss: Genau, Heidmeier ist ganz bekannt. Er ist Soziologe, Konfliktforscher,
Sabine Nuss: Bielefelder und er hat sein ganzes Wissenschaftlerleben lang sich mit den Einstellungen
Sabine Nuss: und den Denkmustern beschäftigt,
Sabine Nuss: in denen Menschen bestimmte Gruppen zugerechnet werden und diese Gruppen werden dann abgewertet.
Sabine Nuss: Und Heidmeier hat schon 1987, das muss man sich mal vorstellen,
Sabine Nuss: vor fast 40 Jahren, hat er eine Studie veröffentlicht, die hieß Rechtsextremistische
Sabine Nuss: Orientierungen bei Jugendlichen.
Sabine Nuss: Und er kam da schon zum Ergebnis, dass rechtsextreme Einstellungen unter Jugendlichen
Sabine Nuss: kein Randphänomen sind, sondern dass die in allen gesellschaftlichen Schichten
Sabine Nuss: und Milieus verbreitet sind.
Sabine Nuss: Allgemein kann man sagen, das gibt so ein bisschen die Literatur her,
Sabine Nuss: die Studienlage her, war in den alten Bundesländern schon zu Beginn der 80er
Sabine Nuss: Jahre bei mehr als 10 Prozent der westdeutschen Bevölkerung nachweisbar,
Sabine Nuss: dass sie eben solche menschenfeindliche, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Sabine Nuss: denken, dass das schon in ihrem Denkmuster vorhanden ist.
Sabine Nuss: Das wurde aber zu der Zeit noch überhaupt nicht in so einer spektakulären Weise öffentlich sichtbar.
Sabine Nuss: Es war sogar so, dass es teilweise überhaupt nicht ernst genommen wurde,
Sabine Nuss: was Heidmeier da veröffentlicht hat.
Eva Völpel: Ein Stichwort, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Was ist das genau?
Sabine Nuss: Das ist ein Konzept, was tatsächlich auch auf ihn und sein Team zurückgeht,
Sabine Nuss: worauf sich auch sehr viele beziehen.
Sabine Nuss: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bedeutet, ich hatte es gerade ganz kurz
Sabine Nuss: gesagt, es werden Gruppen konstruiert und die werden dann abgewertet und zwar
Sabine Nuss: mittels den Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Sabine Nuss: Das sind alles wirklich so sperrige Begriffe, die Heidemeyer aber selber als sperrig bezeichnet.
Sabine Nuss: Also Ideologien der Ungleichwertigkeit, das gibt die Legitimation,
Sabine Nuss: das ist die Ideologie der Rechtfertigung, dass man andere Menschen abwerten
Sabine Nuss: kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen.
Sabine Nuss: Und diese Gruppen, da gibt es ganz viele verschiedene Gruppen,
Sabine Nuss: die er da aufzählt und auch untersucht hat, die oftmals gebündelt auftreten,
Sabine Nuss: also wo dann gleich mehrere Gruppen abgewertet werden und die sich aber historisch
Sabine Nuss: auch verändern können, je nach historischer Situation.
Sabine Nuss: Und ich nenne mal nur ein paar, also dazu gehört Antisemitismus, Rassismus,
Sabine Nuss: die Abwertung von Obdachlosen, die Abwertung von Sinti und Roma oder von Menschen,
Sabine Nuss: von Flüchtenden oder die Abwertung von Langzeitarbeitslosen,
Sabine Nuss: von Transmenschen, von Homosexuellen und so weiter und so fort.
Sabine Nuss: Und Heidmeier hat eben in Langzeitstudien über Jahre hinweg immer wieder Befragungen
Sabine Nuss: gemacht, um rauszufinden, wie diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in
Sabine Nuss: der Gesellschaft verankert ist.
Sabine Nuss: Das ist bei Surkamp erschienen, das sind jetzt schon relativ viele Bücher,
Sabine Nuss: die heißen Deutsche Zustände kennt bestimmt der ein oder andere.
Sabine Nuss: Was ich wichtig finde hervorzuheben, dass er eben immer wieder darauf verwiesen
Sabine Nuss: hat und immer wieder belegen konnte, dass diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Sabine Nuss: kein Randphänomen ist, sondern eben aus der Mitte kommt.
Sabine Nuss: Ich will da jetzt gar nicht so ins Detail darauf eingehen.
Sabine Nuss: Mir war jetzt nur wichtig, darauf hinzuweisen, dass das eben schon sehr lange
Sabine Nuss: ein Muster in der Bevölkerung ist.
Sabine Nuss: Und was aber tatsächlich seit einigen Jahren neu ist, das hatten wir auch in
Sabine Nuss: der letzten Folge schon, ist, dass durch dieses Entstehen von Parteien,
Sabine Nuss: die rechts oder rechtsextrem sind.
Sabine Nuss: Dieses verankerte Denken einen Anker gefunden hat. Also das nennt Heidmeier auch so.
Sabine Nuss: Also es gibt plötzlich ein politisches Angebot und Heidmeier nennt dieses Vorhandensein,
Sabine Nuss: dieser Denkmuster in den Köpfen der Menschen übrigens, einen gesellschaftlichen Vorrat.
Sabine Nuss: Und es gibt andere, die sprechen ganz analog dazu, ein bisschen drastischer
Sabine Nuss: von einem faschistischen Potenzial, was diesen kapitalistischen Gesellschaften inneliegt.
Eva Völpel: Und wo verortet Heidmeier die Gründe für diese Ideologie? Also kann man das
Eva Völpel: überhaupt in wenigen Sätzen mal so prägnant erklären?
Sabine Nuss: Ganz schwer, weil das ist ein sehr umfassendes Konzept, was er und sein Team
Sabine Nuss: da über die Jahre entwickelt haben.
Sabine Nuss: Ich versuche es mal verboten verkürzt zu erklären.
Sabine Nuss: Also er nennt vor allen Dingen als ganz zentralen Grund eine soziale Desintegration
Sabine Nuss: als Grund. Also das bedeutet, Menschen erleben
Sabine Nuss: Durch einen äußeren Einfluss wie ökonomische Krisen, die Auswirkungen haben
Sabine Nuss: auf das Soziale, erleben zum Beispiel Verluste von stabilen sozialen Bindungen,
Sabine Nuss: von gesellschaftlicher Teilhabe, von Zugehörigkeit.
Sabine Nuss: Also allein schon, wenn du zum Beispiel deinen Job verlierst,
Sabine Nuss: verlierst du ein gewohntes Umfeld, bist einfach raus, hast die Kollegin nicht
Sabine Nuss: mehr, bist dann arbeitslos. Das ist jetzt nur ein Beispiel, das er auch nennt,
Sabine Nuss: also Beispiel durch Arbeitslosigkeit, auch durch Ausgrenzung.
Sabine Nuss: Dann das Thema Statusverlust ist sehr wichtig. Das hatten wir in der letzten Folge nochmal,
Sabine Nuss: dass man aus verschiedenen Gründen Angst hat, im Status zu verlieren oder ihn
Sabine Nuss: auch tatsächlich verliert, gerade wenn man in die Arbeitslosigkeit rutscht oder
Sabine Nuss: sogar in Bürgergeld oder wie das früher hieß, Hartz IV.
Sabine Nuss: Es kommt damit zu einer Entsicherung aus der sozialen, gesellschaftlichen Aufgehobenheit, sage ich jetzt mal.
Sabine Nuss: Und damit zu einer Verunsicherung, also Entsicherung und Verunsicherung.
Sabine Nuss: Und es kommt zu, und das fand ich ganz wichtig und interessant,
Sabine Nuss: er nennt es Anerkennungsverletzungen.
Sabine Nuss: Also wenn jetzt zum Beispiel, das ist wirklich nur ein Beispiel,
Sabine Nuss: in deinem Ort alles zurückgebaut wird, es fährt kein Bus mehr,
Sabine Nuss: der Einkaufsladen macht dicht, die Post wird zugemacht.
Sabine Nuss: Du erfährst da quasi von, du bist hier nicht mehr wichtig.
Sabine Nuss: Wie du hier zu leben hast, ist scheißegal. Du bleibst zurück,
Sabine Nuss: die Leute ziehen alle weg, also die, die es können.
Sabine Nuss: Jetzt sage ich mal so, die Frauen machen jetzt auch noch Karriere.
Sabine Nuss: Es ist, wie man es drehen und wenden
Sabine Nuss: will, finden auf verschiedenen Ebenen Anerkennungsverletzungen statt.
Sabine Nuss: Und ich möchte nur mal, das ist jetzt mein eigenes Wort, darauf hinweisen,
Sabine Nuss: dass das auch etwas ist, was ja schon in der Schule beginnt,
Sabine Nuss: weil wir in dieser Gesellschaft eine starke Selektionsgewalt haben, die sehr früh anfängt,
Sabine Nuss: dass du schon in der Konkurrenz um welche weiterführende Schule kannst du besuchen,
Sabine Nuss: wie wirst du von zu Hause gefördert, können dir deine Eltern die Klassenfahrt
Sabine Nuss: leisten, kannst du die Markenklamotten anziehen, die deine Mitschülerinnen.
Sabine Nuss: Tausend solche Sachen in dieser sehr, sehr stark Selektionsgesellschaft führen
Sabine Nuss: zu diesen Anerkennungsverletzungen, wenn sich da was zum Negativen dann auch
Sabine Nuss: noch zusätzlich verändert.
Sabine Nuss: Um diese Unsicherheit zu kompensieren, diese Verunsicherung,
Sabine Nuss: diese Entsicherung, so erklärt Heidmeier, dann suchen Menschen nach neuen Bedeutungen,
Sabine Nuss: nach neuen Zugehörigkeiten und vor allem nach neuen Anerkennungsquellen.
Sabine Nuss: Also das kann sich dann auch in abwertenden Einstellungen gegenüber Schwächeren
Sabine Nuss: äußern, weil das ist ja das Wesentliche an Abwertung.
Sabine Nuss: Wenn du jemanden abwertest, wertest du dich selbst automatisch auf.
Sabine Nuss: Ja, und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder sogar, wenn Gewalt ins Spiel
Sabine Nuss: kommt oder Extremismus sind Erscheinungsformen dieser Abwertung,
Sabine Nuss: die dann zur eigenen Aufwertung führt.
Sabine Nuss: Und Gewalt, das fand ich auch nochmal einen interessanten Punkt,
Sabine Nuss: Gewalt ist wirklich ein sehr probates Mittel, um Anerkennung zu finden.
Sabine Nuss: Also wenn du leise bist und still dich zurückziehst, dann sieht dich keiner.
Sabine Nuss: Aber wenn du gewalttätig wirst, dann kriegst du alle Aufmerksamkeit der Welt
Sabine Nuss: und in bestimmten Gruppen dann eben auch eine Anerkennung.
Sabine Nuss: Das ist jetzt wirklich eine sehr verkürzte Darstellung, aber so ungefähr in
Sabine Nuss: die Richtung kann man das glaube ich so zusammenfassen.
Eva Völpel: Du hattest ja gerade schon was gesagt über so Settings, sag ich mal,
Eva Völpel: Alltagsmomente, die sowas begünstigen, so ein Gefühl von Entsicherung.
Eva Völpel: Aber gibt es da noch andere Punkte, die wichtig drin sind?
Sabine Nuss: Ja, also was ich ganz jetzt nochmal beim Nachlesen interessant fand,
Sabine Nuss: Heidmeier guckt sich an drei verschiedene Bereiche, nämlich einmal natürlich
Sabine Nuss: die kapitalistische Ökonomie, in der wir leben.
Sabine Nuss: Dann guckt er sich an, wie sozial integriert sind die Menschen in diesen Ökonomien
Sabine Nuss: und wie ist da die Demokratie beschaffen.
Sabine Nuss: Und diese drei Bereiche, die Ökonomie, die Integration und die Demokratie,
Sabine Nuss: die haben Wechselwirkung untereinander, ja.
Sabine Nuss: Und unter dem Aspekt dieser Wechselwirkung, wie wirkt was auf das andere,
Sabine Nuss: also um mal ein Beispiel zu nennen, die kapitalistische Ökonomie,
Sabine Nuss: wie die sich entwickelt, wie krisenhaft oder nicht, wirkt sich natürlich auf
Sabine Nuss: die soziale Integration aus, logischerweise.
Sabine Nuss: Und das hat dann auch Auswirkungen auf die Demokratieakzeptanz.
Sabine Nuss: Und er guckt sich halt an, wie hat sich dieses Wechselverhältnis verändert über
Sabine Nuss: die Jahre im Zeitalter der Globalisierung und das fand ich einen ganz spannenden Punkt.
Sabine Nuss: Er hat sich angeguckt, wie beeinflusste die Globalisierung die soziale Integration nach innen,
Sabine Nuss: innerhalb der einzelnen Länder und damit wiederum die Demokratie und wie haben
Sabine Nuss: das Menschen in den jeweiligen Ländern individuell verarbeitet, diese Entwicklung.
Sabine Nuss: Und da sagt er eben ganz klar, Globalisierung des Kapitalismus bedeutet,
Sabine Nuss: die nationalen Standorte stehen verstärkt zueinander in Konkurrenz.
Sabine Nuss: Und im Ergebnis kommt er dann darauf, dass durch die Globalisierung im Ergebnis
Sabine Nuss: die Verschärfung der Weltmarktkonkurrenz zu einem autoritären Kapitalismus geführt hat.
Sabine Nuss: Dieser autoritäre Kapitalismus hat nach innen zu einer sozialen Desintegration
Sabine Nuss: geführt und das dann wiederum ging einher mit einer Demokratieentleerung.
Sabine Nuss: Dafür gibt es jetzt unglaublich viele Beispiele, die er da nennt,
Sabine Nuss: da will ich gar nicht drauf eingehen, aber ich glaube, man kann mit den Begrifflichkeiten
Sabine Nuss: schon ungefähr was anfangen.
Eva Völpel: Hm, auf jeden Fall. Und ich glaube, viele Leute können damit ja auch was anfangen,
Eva Völpel: weil wir hier auch häufiger schon mal darüber gesprochen haben,
Eva Völpel: wie so im Zuge des neoliberalen Zeitgeistes als so eine Ausformung eines autoritären Kapitalismus,
Eva Völpel: dann eben auch die ganzen Punkte von Marktlogik, steht hoch im Kurs,
Eva Völpel: Austeritätspolitik, also Sparpolitik, Wettbewerbsideologie und so weiter.
Eva Völpel: Also, dass das sozusagen bei vielen Leuten ja schon präsent ist,
Eva Völpel: das haben wir ja oft auch erwähnt, dass das eine Rolle da mit drin spielt.
Eva Völpel: Aber ich fand jetzt auch nochmal interessant, dass du sagst,
Eva Völpel: er setzt das vor allen Dingen nochmal im Zusammenhang mit der Globalisierung an.
Sabine Nuss: Genau. Wie du sagst, wir haben das in dieser Doppelfolge zur internationalen
Sabine Nuss: Wettbewerbsfähigkeit auch nochmal erklärt.
Sabine Nuss: Da haben wir ja gesagt, Kapital vergleicht sich auf dem Weltmarkt über solche
Sabine Nuss: Fragen wie, wo kann das Kapital am günstigsten produzieren? Wo sind die Löhne am niedrigsten?
Sabine Nuss: Wo ist die Produktivität am höchsten? Wo sind die Umweltauflagen niedrig?
Sabine Nuss: Wo sind die Steuern fürs Kapital niedrig?
Sabine Nuss: Wo ist die Bürokratie schlank und so weiter? Wo gehen die Sozialausgaben runter?
Sabine Nuss: Ist immer alles gut fürs Kapital?
Sabine Nuss: Und insofern ist es auch ganz logisch, dass genau das natürlich enorm viele
Sabine Nuss: Auswirkungen hat auf die innere Verfasstheit der jeweiligen Nationalstaaten.
Eva Völpel: Ja, und das geht ja dann auch immer einher. Wir sehen es ja gerade auch wieder
Eva Völpel: ganz aktuell mit so einer Anrufung und Aufforderung an uns alle,
Eva Völpel: dass wir uns jetzt super anstrengen müssen, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
Eva Völpel: Also wir müssen alle den Gürtel enger schnallen. Gemeint sind natürlich immer nicht alle.
Eva Völpel: Wir sollen länger und schneller und billiger arbeiten zum Beispiel.
Sabine Nuss: Genau. Und was damit auch einhergeht, ist eine wirklich sehr viel stärkere Betonung
Sabine Nuss: der Eigenverantwortung.
Sabine Nuss: Ja, ihr könnt euch jetzt nicht mehr auf den Sozialstaat verlassen.
Sabine Nuss: Jeder ist seines Glückes Schmied.
Sabine Nuss: Und eben dieses ganze neoliberale Mindset, was schon seit ein paar Jahrzehnten
Sabine Nuss: rumspuckt, geht damit natürlich auch einher.
Eva Völpel: Das haben wir in vielen Folgen ja immer wieder mal zum Thema gemacht.
Sabine Nuss: Richtig. Und der autoritäre Kapitalismus, den er da so nennt,
Sabine Nuss: der bedeutet, um es nochmal ganz kurz auf den Punkt zu bringen,
Sabine Nuss: das ist ein Zustand, in dem eben die Normen der Marktwirtschaft die ganze Gesellschaft durchdringen,
Sabine Nuss: in dem die soziale Sicherheit schwindet und in dem natürlich auch die Repression dann steigt.
Sabine Nuss: Und das macht ja auch Sinn, wenn ich die soziale Sicherheit zurückfahre,
Sabine Nuss: dann wird natürlich nicht umsonst gleichzeitig der Polizeiapparat gestärkt und so weiter.
Sabine Nuss: Kriminalität und Armut hängt eng miteinander zusammen. Und Menschen erleiden
Sabine Nuss: eben diesen berühmten Kontrollverlust und werden dann empfänglich für autoritäre,
Sabine Nuss: für demokratiefeindliche und diskriminierende Angebote.
Eva Völpel: Da werden aber vielleicht einige HörerInnen trotzdem fragen,
Eva Völpel: naja gut, aber so eins zu eins als automatische Folge ist ja vielleicht nicht direkt einsichtig,
Eva Völpel: warum die Leute dann rechts wählen und warum sie nicht eher links wählen,
Eva Völpel: also eher Parteien, die wieder für mehr Umverteilung, für eine größere Solidarität und so weiter stehen.
Sabine Nuss: Was wir schon thematisiert hatten, wo wir ja auch gesagt haben,
Sabine Nuss: als ein Grund wird eben genannt, dass die Sozialdemokratie, ich sage jetzt mal, verkackt hat.
Sabine Nuss: Ja, aber es kommt noch ein ganz anderer interessanter Grund dazu,
Sabine Nuss: wie ich finde, nämlich es hat sich über die Jahre,
Sabine Nuss: das ist auch was, was die Forschung ergibt oder gezeigt hat,
Sabine Nuss: ein bestimmtes Denken oder bestimmte Haltung durchgesetzt in den Köpfen der
Sabine Nuss: Menschen, die diese neoliberale Wettbewerbspolitik und die Individualisierung
Sabine Nuss: wirklich tatsächlich verinnerlicht haben, ganz fest als Überzeugung.
Sabine Nuss: Und da kann man als Beispiel die Mitte-Studie von 2022-23 nennen.
Eva Völpel: Vielleicht ganz kurz die Mitte-Studie. Das ist ja, wenn ich mich recht erinnere,
Eva Völpel: eine regelmäßig durchgeführte sozialwissenschaftliche Untersuchung.
Eva Völpel: Friedrich-Ebert-Stiftung, glaube ich, ist sozusagen Initiator dieser Studie.
Eva Völpel: Und die erforschen, wie verbreitet rechtsextreme, menschenfeindliche und autoritäre
Eva Völpel: Einstellungen in der eben sogenannten Mitte in der deutschen Gesellschaft sind.
Eva Völpel: Und die wird, glaube ich, seit Anfang der 2000er Jahre regelmäßig durchgeführt.
Sabine Nuss: Richtig, danke. Und dort steht zum Beispiel, und ich zitiere jetzt mal ganz
Sabine Nuss: langsam, da sind jetzt ein paar wichtige Begriffe drin,
Sabine Nuss: die schreiben, die neoliberalen Anrufungen des marktförmigen Leitbildes drücken
Sabine Nuss: sich in den Einstellungen von Menschen als relevante Normen aus.
Sabine Nuss: Das heißt, im Grunde genommen, das marktförmige Leitbild ist bei vielen Menschen
Sabine Nuss: stark verinnerlicht worden.
Sabine Nuss: Und vor knapp zehn Jahren haben noch mehr als jede zweite Person in Deutschland
Sabine Nuss: diesen Werten zugestimmt.
Sabine Nuss: Also mehr Wettbewerb, mehr Individualisierung, mehr Eigenverantwortung. Jede zweite Person.
Sabine Nuss: Da sind schon beachtlich viele. Da gab es natürlich dann auch nochmal in den
Sabine Nuss: letzten Jahren, je nach in der Corona-Krise ist es ein bisschen zurückgegangen,
Sabine Nuss: weil dann mehr solidarische Praktiken und so weiter. Egal.
Eva Völpel: Ah ja, okay, das hätte mich nämlich jetzt interessiert, weil du gesagt hast,
Eva Völpel: noch vor zehn Jahren. Was hat sich seither getan?
Sabine Nuss: Genau, aber wenn ich das jetzt richtig in Erinnerung habe, ist es dann jetzt
Sabine Nuss: auch wieder gestiegen. Da gibt es also keine Linearität.
Sabine Nuss: Und sie schreiben auch, dass damit stark zusammenhängt, dass diese neoliberale
Sabine Nuss: Leistungsgesellschaft, die sich sehr durchgesetzt hat in den Köpfen,
Sabine Nuss: ich würde ja sagen, trotz aller Brüche ist sie immer noch sehr dominant,
Sabine Nuss: ein Versprechen gegeben hat, nämlich
Sabine Nuss: das Versprechen, wenn du dich nur anstrengst, kannst du es schaffen.
Sabine Nuss: Das ist ein ganz wirkmächtiges Versprechen und man hat in dem Moment,
Sabine Nuss: wo dann Krisen kommen und die Leute stellen fest, das stimmt ja gar nicht,
Sabine Nuss: ich strenge mich an und trotzdem habe ich hier Verluste, Status,
Sabine Nuss: Kontrollverlust und so weiter.
Sabine Nuss: Da sagen die quasi, der implizite Gesellschaftsvertrag von Leistungsgesellschaften,
Sabine Nuss: die eben das Recht auf Selbstverwirklichung geben, auf steigenden Wohlstand
Sabine Nuss: und so weiter, dieser Gesellschaftsvertrag ist brüchig geworden.
Sabine Nuss: Und wenn solche Personen, die das jetzt stark verinnerlicht haben,
Sabine Nuss: dann in die Krise geraten, dann sind genau die ganz besonders enttäuscht und
Sabine Nuss: zornig. Und das sind nicht wenige.
Sabine Nuss: Und was ich ganz interessant finde, die Mitte-Studie, die wir da jetzt hier
Sabine Nuss: gerade am Wickel haben, die nennt diese Menschen unter der Kategorie,
Sabine Nuss: fasst sie die zusammen, die entsichert Marktförmigen.
Sabine Nuss: Also es gibt auch die gesichert Marktförmigen. Die entsichert Marktförmigen
Sabine Nuss: sind eben die, die das neoliberale Mindset verinnerlicht haben,
Sabine Nuss: aber gleichzeitig betroffen sind von den Folgen von verschiedenen Krisenerscheinungen.
Sabine Nuss: Und da schreiben die dann, es zeigt sich, dass entsichert Marktförmige nicht
Sabine Nuss: nur für libertär-autoritäre Einstellungen besonders empfänglich sind,
Sabine Nuss: sondern auch für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit,
Sabine Nuss: für Demokratiefeindlichkeit und für rechtsextreme Ideologien.
Sabine Nuss: Also sie nennen diese Kategorie der Leute, die das neoliberale Mindset verinnerlicht
Sabine Nuss: haben, die Erfolgs- und Leistungsidentifizierten.
Sabine Nuss: Und sie sagen, dass von diesen Erfolgs- und Leistungsidentifizierten,
Sabine Nuss: die sich da ins Autoritäre und ins Illiberale driften lassen,
Sabine Nuss: wenn sie entsichert marktförmig sind, da sagen sie, das sind insgesamt knapp
Sabine Nuss: 20 Prozent der deutschen Bevölkerung.
Eva Völpel: Das ist schon mal ganz schön viel.
Sabine Nuss: Die nennen sie eine rabiat marktförmige libertäre Gruppe. Das ist sehr viel.
Sabine Nuss: Und diese betreffenden Personen zeigen in den Befragungen, die sie durchgeführt
Sabine Nuss: haben, wenig Solidarität mit genau denen, die in diesen neoliberalen Erfolgsanrufungen
Sabine Nuss: verlieren, die dem nicht entsprechen.
Sabine Nuss: Und das ist natürlich krass, finde ich, weil es zeigt sich, dass der Neoliberalismus
Sabine Nuss: sich in den letzten Jahrzehnten auch seine neoliberalen Subjekte geschaffen
Sabine Nuss: hat. Und die kommen direkt aus der Mitte.
Sabine Nuss: Die sind in der Mitte. Sie werden also nicht erst durch die Sparpolitik rechts,
Sabine Nuss: sondern sie wählen rechts, weil das, also diese autoritäre rechte Krisenlösungsmodus,
Sabine Nuss: wenn man das überhaupt als Lösung bezeichnen möchte, das ist eine Art von Krisenverarbeitung,
Sabine Nuss: die ihrem Weltbild entspricht.
Sabine Nuss: Und sie sozusagen in diesen Krisen wird genau entsprechend ihrer Subjektivität reagiert.
Sabine Nuss: Konkurrenz, jeder gegen jeden, Abwertung. Passt also total gut zusammen.
Eva Völpel: Passt total gut zusammen und ja, zeigt eben auch nochmal, dass das nicht nur
Eva Völpel: am Rande stattfindet, sondern gerade wie du betont hast, wirklich ja in der
Eva Völpel: Mitte der Gesellschaft verankert ist.
Sabine Nuss: Genau. Und da fällt mir jetzt gerade ein, ich habe ja immer mal wieder Diskussionen
Sabine Nuss: mit Leuten, die nicht im linken Spektrum entstammen, ja, also wenn ich irgendwie
Sabine Nuss: mal auf einer Party bin oder was weiß ich.
Sabine Nuss: Und da hatte ich vor ein paar Wochen auf einer Geburtstagsfeier,
Sabine Nuss: saß ich neben einer Frau, die ich nicht kannte.
Sabine Nuss: Wir sind relativ schnell auf eine politische Diskussion gekommen und ich habe
Sabine Nuss: sofort gedacht, krass, das ist jetzt echt die absolute Personifizierung einer
Sabine Nuss: Angehörigen dieser Gruppe, der entsichert marktförmigen.
Sabine Nuss: Die hat mir über ihre harte Arbeit erzählt, wie sie sich stundenlang abkackert,
Sabine Nuss: tief in die Nacht rein arbeitet und dann geschimpft auf Leute,
Sabine Nuss: die nicht arbeiten und trotzdem Geld kriegen, dem Staat auf der Tasche liegen.
Sabine Nuss: Sie von ihren Steuergeldern muss das alles finanzieren. Da gehören natürlich
Sabine Nuss: die berühmten Geflüchteten dazu, die Bürgergeldempfänger.
Sabine Nuss: Der absolute Klassiker und sie hat original genauso argumentiert,
Sabine Nuss: wie ich es aus diesen Mitte-Studien kannte.
Sabine Nuss: Und dann gab es noch eine andere Person, die mir gegenüber gesagt hat,
Sabine Nuss: wie du wählst die Linke, die ist mir zu sozial. Und das finde ich so bezeichnend.
Sabine Nuss: Man merkt also, die Linke mit ihren Idealen der Solidarität passt nicht zu den
Sabine Nuss: Subjekten, die marktförmig denken, ob sie jetzt entsichert sind oder nicht.
Eva Völpel: Total wichtiger Punkt. Und gleichzeitig gibt es ja eben trotzdem die Menschen,
Eva Völpel: die irgendwie in den Krisen auch in solidarischen Bewegungen mitwirken,
Eva Völpel: die mit aufbauen, die dafür empfänglich sind für solidarische Gedanken, ne?
Eva Völpel: Wie würdest du das einordnen?
Sabine Nuss: Also auf jeden Fall und das finde ich ist auch ein Hoffnungsschimmer.
Sabine Nuss: Die Menschen reagieren immer nur so in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen.
Sabine Nuss: Da komme ich vielleicht ganz am Schluss nochmal darauf zu sprechen.
Sabine Nuss: Das ist gut, dass du den Punkt ansprichst, das ist wichtig. Aber nichtsdestotrotz,
Sabine Nuss: die Rechten vertreten halt derzeit besonders auch Werte, Haltung,
Sabine Nuss: Überzeugung, die bereits in der Mitte vorliegen.
Sabine Nuss: Und da kommt nochmal, finde ich, jetzt ein zentraler weitergehender Punkt rein.
Sabine Nuss: Sie sind halt nicht das ganz andere, als das die gerne in der Öffentlichkeit
Sabine Nuss: immer dargestellt werden.
Sabine Nuss: Viele Positionen der Rechten werden auch von den sogenannten Mitte-Parteien vertreten.
Eva Völpel: Mach nochmal ein Beispiel.
Sabine Nuss: Ich mache mal ein Beispiel mit nochmal Kaufmann, der eine dieser Artikel geschrieben
Sabine Nuss: hat, wo er diese Studien zusammengefasst hat, hatten wir in der letzten Folge
Sabine Nuss: ausführlicher, Stefan Kaufmann.
Sabine Nuss: Der hat gesagt, dass auffällig war laut einer dieser Studien,
Sabine Nuss: dass parallel zum Erfolg von den rechtspopulistischen Parteien sich in den Einstellungen
Sabine Nuss: der Menschen eine kleine Nuancenverschiebung ergeben hat.
Sabine Nuss: Nämlich sie haben eindeutig angefangen zu unterscheiden zwischen den ökonomisch
Sabine Nuss: nützlichen und den ökonomisch weniger nützlichen Einwanderern.
Sabine Nuss: Also auch die AfD sagt nicht in ihren Programmen alle Ausländer raus,
Sabine Nuss: auch wenn es natürlich Vertreter von rechts gibt, die das tun.
Sabine Nuss: Aber die parteiförmigen Rechten, die sagen, die nützlichen Migranten, die sollen da sein.
Sabine Nuss: Die, die das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands und damit den Standort Deutschland
Sabine Nuss: befördern, die Fleißigen, die dürfen hierbleiben.
Eva Völpel: Das ist auf jeden Fall weit bis ins bürgerliche Lager hinein verbreitete Haltung auch.
Sabine Nuss: Ja, das ist eine Haltung, mit der die AfD gerade nicht alleine steht.
Sabine Nuss: Fast alle etablierten Parteien propagieren, dass die Einwanderer,
Sabine Nuss: Einwandererinnen, die zum deutschen BIP beitragen, zum deutschen Wachstum,
Sabine Nuss: dass die willkommen sind, die anderen halt eben nicht.
Eva Völpel: Mhm.
Eva Völpel: Und ich meine, wir sehen das ja gerade total aktuell, wie an allen Ecken versucht
Eva Völpel: wird, Grenzregimes und Einwanderungsregimes da irgendwie zu verschärfen.
Sabine Nuss: Genau, also um das nochmal auf den Punkt zu bringen. Also Kaufmann schreibt,
Sabine Nuss: es gibt ja von rechter Seite immer diesen Spruch, Wirtschaftsflüchtlinge raus.
Sabine Nuss: Also Menschen, die herkommen, weil sie in ihren Ländern zu arm sind.
Sabine Nuss: Die sollen raus aus Deutschland.
Sabine Nuss: Und die Mitte, aus der Mitte hören wir oft den Ruf, Deutschlands Wirtschaft
Sabine Nuss: braucht Migration. Und er sagt
Sabine Nuss: eben, eigentlich liegen beiden Sprüchen die gleichen Maßstäbe zugrunde.
Sabine Nuss: Man betrachtet Menschen mit Migrationshintergrund einzig nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit.
Sabine Nuss: Da ist die AfD und die Mitte nicht einfach nur nah beieinander, da sind sie identisch.
Sabine Nuss: Und ein weiteres Beispiel, was jetzt zu dieser Rechts- und die Mitte ist jetzt
Sabine Nuss: nicht so weit voneinander entfernt, ich sage jetzt mal die konservative Mitte
Sabine Nuss: vor allen Dingen auch, ist das Thema Nationalismus.
Sabine Nuss: Also rechte Parteien beschwören ja in der Regel eine schwere Krise der Heimat.
Sabine Nuss: Heimat wird ja oft identisch mit dem jeweiligen Nationalstaat verstanden und
Sabine Nuss: die Nation gilt dann, wenn Deutschland im internationalen Wettbewerb absteigt,
Sabine Nuss: als existenziell bedroht.
Sabine Nuss: Und da kommen dann eben oft solche Formulierungen wie, unser Wohlstand ist in
Sabine Nuss: Gefahr, Deutschland droht Deindustrialisierung.
Sabine Nuss: Das sind alles Sprüche, die jetzt nicht nur von der AfD kommen.
Sabine Nuss: Das ist also eine starke Identifizierung mit Deutschland.
Sabine Nuss: Und das ist auch nicht allein die AfD, die breite bürgerliche Mitte denkt so.
Sabine Nuss: Und nur mal, um eine kleine Illustration zu geben, ich habe neulich auf Instagram
Sabine Nuss: Philipp Amthor gesehen, wie er… Den CDU-Politiker.
Sabine Nuss: Genau, wie er sein Kanzler, Friedrich Merz, also unser aller Kanzler,
Sabine Nuss: der ja bei Trump war vor ein paar Wochen und Amthor hat ihn dann gelobt auf Insta und hat gesagt,
Sabine Nuss: bei diesem Besuch, da haben die Leute gespürt, Deutschland ist wieder wer in
Sabine Nuss: der Welt, weil Merz sich da so gut verkauft hat, Amthor zufolge.
Sabine Nuss: Das heißt, an das Nationalbewusstsein nicht nur zu appellieren,
Sabine Nuss: sondern es stark verinnerlicht zu haben, das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten.
Sabine Nuss: Das heißt, all diese ganzen Maßstäbe, die die rechten Parteien anlegen,
Sabine Nuss: die müssen sie gar nicht neu erfinden, sondern die liegen bereits vor.
Sabine Nuss: Die werden nur noch radikaler angewandt. Ja, und das gilt übrigens nicht nur
Sabine Nuss: für Nationalismus oder für die Bewertung von Menschen nach Nützlichkeit.
Sabine Nuss: Ja, übrigens nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund werden nach Nützlichkeitskriterien
Sabine Nuss: bewertet, sondern eben auch Obdachlose und so weiter, Erwerbslose und so weiter und so fort.
Sabine Nuss: Also es geht ja breit, ist ja ein relativer breiter Blick, sondern auch die
Sabine Nuss: ganze Wettbewerbslogik und eben dieser Kampf des Stärkeren in der Konkurrenz,
Sabine Nuss: was AfD-Wirtschaftsprogramm stark verankert ist, was du genauso findest.
Sabine Nuss: Das ganze Wirtschaftsprogramm von FDP, CDU und AfD müsste man mal nebeneinander
Sabine Nuss: legen. Da sind nicht ganz so...
Eva Völpel: Sehr große Überschneidungen.
Sabine Nuss: Große Überschneidungen, genau. Daher ist mir das auch manchmal schleierhaft,
Sabine Nuss: wieso immer so von Brandmauer geredet soll. Ich frage mich, wo ist denn diese Brandmauer?
Sabine Nuss: Ja, es ist auch, finde ich, überhaupt nicht verwunderlich, dass es CDUler gibt,
Sabine Nuss: die ohne Manschetten über Koalition mit der AfD nachdenken, gerade auf Landesebene.
Sabine Nuss: Da gibt es jetzt nicht mehr so richtig viel Brandmauer.
Sabine Nuss: Ja, und um jetzt mal eine Bilanz zu ziehen, also eine Zwischenbilanz,
Sabine Nuss: das kann man eigentlich sagen, dass diese krisenanfälligen, neoliberalisierten,
Sabine Nuss: kapitalistischen Gesellschaften, in denen dann nichts mehr sicher zu sein scheint.
Sabine Nuss: Weder der Job, noch die Zukunft, noch dein Geld auf dem Konto,
Sabine Nuss: noch die sozialen Zusammenhänge, das Geschlecht, die Sprache,
Sabine Nuss: alles gerät irgendwie ins Wanken und da scheinen dann diese rechten,
Sabine Nuss: autoritären Krisenverarbeitungsstrategien einfach näher zu liegen, weil sie,
Sabine Nuss: das ist auch nochmal ein wichtiger Punkt, ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit vermitteln.
Sabine Nuss: Und zwar in der Zugehörigkeit zu festen, unverrückbaren, unverrückbaren,
Sabine Nuss: vertrauten Gemeinschaften und Gewissheiten wie unter anderem die Nation.
Sabine Nuss: Aber eben auch das klassische Familienbild, die klare Geschlechterrollenverteilung.
Sabine Nuss: Es gibt halt Mann und Frau.
Sabine Nuss: Und dazu gibt es in dem Buch, was ich in der ersten Folge schon erwähnt hatte,
Sabine Nuss: mit dem schönen Titel Rechts, wo die Mitte ist, auch in Anlehnung an Bini Adamczak,
Sabine Nuss: die wir auch schon in der Folge erwähnt hatten, die Autorin auch des Buches
Sabine Nuss: Kommunismus für Kinder und beziehungsweise Revolution.
Sabine Nuss: Also in diesem Buch wird gesagt, dass die Zugehörigkeiten zu diesen als quasi
Sabine Nuss: naturgegeben wahrgenommenen Kollektiven, die gilt halt nicht als verhandelbar,
Sabine Nuss: weil sie den Mitgliedern qua Geburt zusteht.
Sabine Nuss: Das heißt, Heidnaya nennt das Identitätsanker. Sie geben den Menschen Halt.
Sabine Nuss: Und das bedeutet natürlich, dass im Konkurrenzkampf dann natürlich genau danach
Sabine Nuss: selektiert wird, wer rausfällt und wer nicht.
Sabine Nuss: Nämlich die, die eben qua Geburt zu diesen jeweiligen Gruppen dazugehören,
Sabine Nuss: um es jetzt mal so ganz grob zu schildern.
Sabine Nuss: Ja, also wer da anders lebt, wer an diesen festgegebenen, unverrückbaren,
Sabine Nuss: imaginierten Gemeinschaften oder Geschlechterrollen rüttelt,
Sabine Nuss: der bedroht das und der wird, also daher kommt vermutlich auch der Hass auf
Sabine Nuss: Queers, auf Feminismus und so weiter und so fort.
Eva Völpel: Also sehr naheliegend, dass man in diesem Gefühl von so viel geht verloren,
Eva Völpel: so viel Kontrollverlust ist da und Entsicherung, dass die Leute dann umso härter
Eva Völpel: irgendwie das verteidigen, von dem sie glauben, das gibt mir gerade Halt. Exakt, genau.
Sabine Nuss: Und quer dazu liegt dann aber wieder die Leistungsideologie,
Sabine Nuss: wo dann andere, die nicht zur Nation gehören, dann geduldet sind,
Sabine Nuss: wenn sie dazu beitragen, die Nation groß zu machen, was dann einen selbst wieder aufwertet.
Sabine Nuss: Und die Quintessenz davon ist aber, ich habe das jetzt wirklich sehr verkürzt
Sabine Nuss: alles dargestellt, aber ich glaube, der Punkt ist klar und die Quintessenz für
Sabine Nuss: mich ist aber, dass wir, wenn wir uns die Studien nochmal angucken,
Sabine Nuss: manche zumindest dieser Studien,
Sabine Nuss: ich habe das in der letzten Folge eingangs schon erwähnt, dass manche eben von
Sabine Nuss: rechtsradikal und linksradikal wählen und damit insinuieren,
Sabine Nuss: es gibt so eine gute Mitte, so eine demokratische Mitte, dass das auch hoch
Sabine Nuss: ideologisch ist, weil genau aus dieser Mitte, wie wir jetzt gelernt haben,
Sabine Nuss: eigentlich schon angelegt sind diese rechten Ideologien.
Eva Völpel: Man muss es immer wieder betonen. Genau.
Sabine Nuss: Der linke Publizist und Theatermann Thomas Ebermann, der spitzt das nochmal
Sabine Nuss: anders zu und ich betone jetzt auch, er spitzt das wirklich zu.
Sabine Nuss: Der tourt übrigens derzeit mit einem Theaterstück und noch mit anderen Leuten durch Deutschland.
Sabine Nuss: Das Theaterstück heißt Normal, eine Besichtigung des Wahns.
Sabine Nuss: Und Ebermann wurde zu diesem Performance-Stück interviewt und da sagt er in
Sabine Nuss: diesem Interview, gegenwärtig haben wir es eher mit einem Weg der reaktionären
Sabine Nuss: Ausprägung der Demokratie zu tun, als mit der faschistischen Abschaffung der Demokratie.
Sabine Nuss: Also das ist schon nochmal eine sehr deutliche Zuspitzung.
Eva Völpel: Übrigens ganz kurz, am 27. November kann man das Stück sich auch anschauen in
Eva Völpel: der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Man kann sich da auch schon für anmelden,
Eva Völpel: also macht das sehr gerne.
Eva Völpel: Aber nochmal zurück, wenn ich dich richtig verstehe, würdest du also sagen,
Eva Völpel: rechte Weltanschauungen, die bieten sich halt eher an, weil sie aus der hiesigen
Eva Völpel: Gesellschaft herrühren, also sozusagen aus der neoliberalen, globalisierten Welt?
Sabine Nuss: Ja, also ich würde die Betonung eigentlich eher auf kapitalistisch globalisierte
Sabine Nuss: Welt legen, weil natürlich,
Sabine Nuss: ich vermute auch, dass die neoliberale Variante des Konkurrenzkapitalismus bestimmt
Sabine Nuss: menschenfeindliche Haltungen nochmal näher legt, weil sie die Konkurrenz verschärft
Sabine Nuss: hat und die Individualisierung und die soziale Unsicherheit verstärkt hat.
Sabine Nuss: Als wenn du das jetzt vergleichst mit dem Kapitalismus, dessen soziale Verwerfungen
Sabine Nuss: aufgefangen werden, jetzt also zum Beispiel von einem starken Sozialstaat.
Sabine Nuss: Aber die Konkurrenz, die ist ja in jeder Art von Kapitalismus schon mal per
Sabine Nuss: se vorhanden. Sie gehört eigentlich zu den Grundstrukturen.
Sabine Nuss: Und ganz genauso wie der Umstand, dass die Mehrheit der Menschen eigentlich
Sabine Nuss: eigentumslos, denn das hatten wir ja auch schon mal in einer der letzten Folgen,
Sabine Nuss: und die Mehrheit für die Minderheit der Eigentümer an den Produktionsmitteln
Sabine Nuss: arbeiten muss, das ändert sich.
Sabine Nuss: Also das liegt einfach eh schon
Sabine Nuss: immer vor, soweit man eben in einer kapitalistischen Gesellschaft lebt.
Sabine Nuss: Und da liegt meines Erachtens ein tiefer liegender Grund, warum solche rechten
Sabine Nuss: Ideologien einfach anschlussfähiger sind.
Eva Völpel: Vielleicht sagst du dazu nochmal ein bisschen mehr, also die ganze Frage von
Eva Völpel: der Eigentumsfreiheit.
Sabine Nuss: Ja, genau. Das ist meines Erachtens ein Punkt, der da gar nicht so oft thematisiert
Sabine Nuss: wird in diesen ganzen Erklärungen, warum Leute rechts wählen und wie der Zusammenhang zu Ökonom ist.
Sabine Nuss: Wir hatten ja in einer Folge auch mal das Thema Privateigentum und da habe ich
Sabine Nuss: auch schon mal versucht zu erklären, dass diese Ideologie, jeder ist seines
Sabine Nuss: Glückes Schmied und die andere heißt ohne Fleiß kein Preis.
Sabine Nuss: Also es sind diese Sprüche, die diese Ideologie ausdrücken oder versinnbildlichen,
Sabine Nuss: dass das sehr stark verinnerlicht ist, auch in diesen genau entsicherten Marktförmigen.
Sabine Nuss: Meines Erachtens muss man da einfach nochmal dran erinnern, wir verstehen ja
Sabine Nuss: unter Ausbeutung immer schlechte Arbeitsverhältnisse, aber mit Marx ist Ausbeutung
Sabine Nuss: ja ein ganz grundsätzliches, jenseits von einer normativen Bewertung,
Sabine Nuss: soziales Verhältnis, was eben bedeutet, wir als Beschäftigte in kapitalistischen
Sabine Nuss: Unternehmen, das sind einfach auch sehr viele Menschen, bekommen einen Lohn
Sabine Nuss: und denken, Mit diesem Lohn ist jetzt schon unsere Arbeit bezahlt und es geht
Sabine Nuss: alles mit rechten Dingen zu.
Sabine Nuss: Das stimmt aber nicht. Bezahlt bekommen wir ja nur die Arbeitskraft.
Sabine Nuss: Und der Wert dieser Arbeitskraft liegt immer unter dem, was wir tatsächlich gearbeitet haben.
Sabine Nuss: Sonst gibt es gar keinen Gewinn, keinen Mehrwert und so.
Sabine Nuss: Das sehen wir aber nicht, weil wir eben den Lohn kriegen und denken,
Sabine Nuss: damit ist schon alles abgeglichen.
Sabine Nuss: Und genau deshalb, weil wir das nicht sehen, glauben wir ganz einfach oder nicht
Sabine Nuss: zwangsläufig, aber es liegt sehr nahe zu glauben, dass das eben stimmt,
Sabine Nuss: dass die eigene Arbeit Eigentum begründet.
Sabine Nuss: Jetzt ist es aber tatsächlich so, dass das eine glatte Verkehrung ist.
Sabine Nuss: Also es sieht so aus, als würde eigene Arbeit Eigentum begründen.
Sabine Nuss: Dabei ist es nicht so, weil die Mehrheit der Menschen eigentumslos ist und die
Sabine Nuss: Arbeit der Mehrheit das Eigentum, den Reichtum der wenigen begründet.
Sabine Nuss: Und diese Verkehrung, da sagte Marx eben, dass darauf die Mystifizierung der
Sabine Nuss: bürgerlichen Gesellschaft beruht.
Sabine Nuss: Mystifizierung bedeutet ja so ein bisschen was wie Verschleierung.
Sabine Nuss: Also wir nehmen tatsächlich die Verhältnisse nicht wahr, wie sie wirklich sind.
Sabine Nuss: Oder anders gesagt, Kapitalismus stellt sich uns anders dar, als er tatsächlich ist.
Eva Völpel: Also sehr wichtiger Punkt mit der Eigentumslosigkeit.
Sabine Nuss: Wir haben alle den Eindruck, wir sind alle freie, gleiche, berechtigte Marktsubjekte
Sabine Nuss: und haben alle die Freiheit tun und zu lassen, was wir wollen.
Sabine Nuss: Das ist ja die bürgerliche Freiheit, die dir das sozusagen sagt.
Sabine Nuss: Das heißt, wir haben eine Eigentumsfreiheit, aber was halt nicht stimmt,
Sabine Nuss: ist, dass diese Eigentumsfreiheit es jedem ermöglicht, es zu etwas zu bringen,
Sabine Nuss: wenn er sich nur anstrengt. Das ist die Ideologie.
Sabine Nuss: Und dann, wenn es dann tatsächlich so ist, du nimmst es gar nicht wahr,
Sabine Nuss: dass du grundsätzlich erstmal eigentumslos bist und dich eh abrackerst umsonst,
Sabine Nuss: du ausgeliefert bist, so sehr du dich anstrengst, diesen Krisen.
Sabine Nuss: Und dann wirst du getroffen von den Krisen, verlierst deinen Job,
Sabine Nuss: alles wird immer teurer, der Staat baut alles zurück in den Dorf,
Sabine Nuss: wo du lebst und, und, und, und.
Sabine Nuss: Du hast ja nichts, was dich auffängt, gerade weil du eigentumslos bist.
Sabine Nuss: Dann ist es aber, wenn du nicht siehst, woher das wirklich kommt,
Sabine Nuss: nämlich aus diesen grundsätzlichen Strukturen, liegt es sehr nahe,
Sabine Nuss: andere dafür verantwortlich zu machen, anderen die Schuld zu geben.
Sabine Nuss: Da kommt dann diese Projektionsleistung.
Sabine Nuss: Und wem gibst du die Schuld?
Sabine Nuss: Jemand, von dem du denkst, der strengt sich nicht an und kriegt trotzdem was.
Sabine Nuss: Oder der so blöd und strengt sich irgendwie total an und kriegt trotzdem was
Sabine Nuss: und ich streng mich an und muss jetzt irgendwie um mein Eigentum kämpfen.
Sabine Nuss: Deshalb wird das ja auch immer mit aller Gewalt verteidigt, das bisschen,
Sabine Nuss: was die Leute sich da erarbeitet haben unter diesen genannten Bedingungen.
Sabine Nuss: Und warum sie dann nicht so sehr die Reichen angehen, weil es ja immer heißt,
Sabine Nuss: dass die Rechten sich Sündenböcke und einfache Erklärungen suchen.
Sabine Nuss: Ich finde es eigentlich relativ naheliegend, dass sie gar nicht so sehr dann
Sabine Nuss: die Superreichen angreifen und sagen hier, das ist doch alles sozial ungleich,
Sabine Nuss: weil die haben sich sehr verdient.
Sabine Nuss: Die waren entweder besonders clever oder eben nicht so blöd wie man selber,
Sabine Nuss: haben ein paar krumme Dinge gemacht, was weiß ich.
Sabine Nuss: Auf jeden Fall finde ich es gar nicht so schwer zu erklären,
Sabine Nuss: warum sie eben eher nach unten und nicht nach oben treten.
Eva Völpel: Das finde ich auf jeden Fall einen total wichtigen Punkt, den du da machst.
Eva Völpel: Es scheint so, als hätten die Reichen sich das halt besonders verdient.
Eva Völpel: Das passt sozusagen in diese ideologische Alltagswahrnehmung.
Eva Völpel: Aber ich finde, ein weiterer Aspekt ist halt auch einfach, dass ich glaube,
Eva Völpel: viele Leute, die es vielleicht doch anders sehen,
Eva Völpel: sind aber im Grunde ihres Herzens total demotiviert, weil sie sich denken,
Eva Völpel: seit Jahren und Jahrzehnten versucht man daran, was zu ändern und vielleicht
Eva Völpel: eine Vermögenssteuer mal wieder irgendwie zu erheben und so weiter und wir kriegen
Eva Völpel: es halt einfach nicht durchgesetzt.
Eva Völpel: Also es fehlen ja auch irgendwie so ein bisschen die motivierenden Beispiele,
Eva Völpel: wo wir da was gewinnen können.
Sabine Nuss: Ja, das ist auf jeden Fall auch ein wichtiger Punkt.
Sabine Nuss: Ich wollte nochmal drauf auf diese
Sabine Nuss: verkehrte Wahrnehmung, auf diese Undurchsichtigkeit der Verhältnisse.
Sabine Nuss: Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum Verschwörungstheorien blühen können.
Sabine Nuss: Also wenn du deine eigenen Verhältnisse nicht durchschaust, weil sie mystifiziert
Sabine Nuss: sind, dann neigt man natürlich auch dazu, fremde Mächte verantwortlich zu machen
Sabine Nuss: für das Elend oder irgendwelche Verschwörungen, sich auszudenken.
Sabine Nuss: Genau, weil im Grunde genommen, das ist, wenn wir über das Erstarken der Rechten
Sabine Nuss: reden wollen, da komme ich jetzt wieder auf den Punkt,
Sabine Nuss: dann glaube ich, müssen wir eben auch über diese tieferen Strukturen des Kapitalismus
Sabine Nuss: reden und nicht nur seine neoliberale Variante, sondern darüber,
Sabine Nuss: wie sich der Kapitalismus den Menschen darstellt und wie er wirklich ist.
Sabine Nuss: Weil in der tiefen Struktur siehst du, dass sowieso immer jeder für sich gucken
Sabine Nuss: muss, in dieser Individualisierung.
Sabine Nuss: Und die Gemeinschaften, die dann angeboten werden, die werden ja nicht von rechts
Sabine Nuss: angeboten, sondern manchmal auch von links, dass man betont,
Sabine Nuss: ja, wir hatten früher auch viel mehr sozialen Zusammenhalt, Gewerkschaften waren
Sabine Nuss: stärker und, und, und, und.
Sabine Nuss: Das ist ja dann, oder den Sozialstaat, der dann für mehr sozialen Ausgleich
Sabine Nuss: sorgt, der ist eigentlich nur ein Kit für diese, jeder guckt auf seins,
Sabine Nuss: der löst diese Trennung nicht, diese nicht vorhandene Verbundenheit.
Sabine Nuss: Deshalb ist der auch so brüchig immer wieder. Mhm, ja.
Eva Völpel: Und trotzdem jetzt nochmal daran anschließend die Gretchenfrage, wie kommen wir da raus?
Eva Völpel: Also was wären dann für dich, wenn du das jetzt alles so siehst,
Eva Völpel: was wären für dich Strategien gegen rechts?
Sabine Nuss: Also erstmal würde ich natürlich jetzt sofort zu allem ja sagen,
Sabine Nuss: was da auch aus diesen Studien gefolgt wird.
Sabine Nuss: Also auch was die von dem New Economic Forum fordern, was wir in der ersten
Sabine Nuss: Folge schon mal erwähnt haben, dass sie eben sagen, es braucht sehr viel stärkere
Sabine Nuss: Ressourcen auch in der Fläche.
Sabine Nuss: Die öffentliche Daseinsvorsorge muss ausgebaut werden, vor allen Dingen in den
Sabine Nuss: Kommunen und so weiter, würde ich allem sagen unbedingt Vermögensteuer und so weiter.
Sabine Nuss: Nur, da wir ja wissen, dass dieses Denken sehr tief verankert ist und auch diese
Sabine Nuss: Errungenschaften im Kapitalismus, solange der sich nicht verändert,
Sabine Nuss: immer wieder zur Disposition stehen, bei der nächsten Krise wird das alles wieder zurückgebaut.
Sabine Nuss: Ich glaube, ich muss man zusätzlich zu diesen Maßnahmen auch immer noch an anderen Schrauben drehen.
Sabine Nuss: Vor allen Dingen, indem man sich wechselseitig diskutiert untereinander,
Sabine Nuss: also innerhalb der Linken nochmal sehr viel mehr darüber diskutiert,
Sabine Nuss: in welcher Gesellschaft leben wir eigentlich.
Sabine Nuss: Weil ich finde, also so nehme ich das zumindest wahr, dass wir seit 150 Jahren
Sabine Nuss: in der breiten Linken, wenn ich es jetzt mal so nennen darf,
Sabine Nuss: noch kein gemeinsam geteiltes Verständnis davon haben, was Kapitalismus eigentlich
Sabine Nuss: ist, um es mal so zu sagen.
Sabine Nuss: Und ich will jetzt aber auch noch was dazu sagen, was mir total wichtig ist.
Sabine Nuss: Ich würde nicht sagen, dass aus dem Kapitalismus heraus zwangsläufig rechte
Sabine Nuss: Weltanschauungen entstehen. Also so einen Determinismus gibt es nicht.
Sabine Nuss: Es wäre auch durchaus denkbar, dass historisch die linke Bewegung als Massenbewegung
Sabine Nuss: neu aufersteht, als Krisenlösungsstrategie.
Sabine Nuss: Und über die Bedingungen, über die das möglich wäre, die das begünstigen würde,
Sabine Nuss: über die würde ich mich eigentlich viel lieber unterhalten.
Sabine Nuss: Und genau das wäre dann eben für mich wahrscheinlich auch automatisch eine Strategie gegen rechts.
Sabine Nuss: Dass man da auf diese Bedingungen käme, die man einführen müsste,
Sabine Nuss: um die Leute für soziale, solidarische Alternativen zu begeistern.
Sabine Nuss: Okay, und da würde ich jetzt zum Beispiel, um einen konkreteren Punkt zu nennen,
Sabine Nuss: sagen, schon beim Nationalismus würde ich denken, muss man unbedingt abrüsten
Sabine Nuss: und zwar in jeder Hinsicht.
Sabine Nuss: Als Linke, finde ich, sollte man zum Beispiel keine Standortpolitik für die
Sabine Nuss: nationale Wirtschaft betreiben wollen, sondern
Sabine Nuss: man muss unbedingt wieder internationalistischer denken und werden.
Sabine Nuss: Also ihr kennt bestimmt den alten Spruch an der Hauswand in Kreuzberg,
Sabine Nuss: Berlin, wo drauf steht, die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Nationen,
Sabine Nuss: sondern zwischen oben und unten.
Sabine Nuss: Ich weiß, platte Nummer, aber da ist einfach was dran.
Sabine Nuss: Wir müssen insgesamt, finde ich, raus aus diesen imaginierten Gemeinschaften,
Sabine Nuss: wie eben Nation das eine ist. Wir müssen bei allen Konflikten,
Sabine Nuss: auch bei kriegischen Konflikten, nicht in diesen Kategorien der Nation denken.
Sabine Nuss: Wir dürfen uns selbst nicht identifizieren. Das erinnert mich an was,
Sabine Nuss: was, als ich noch Politik studiert habe, hat mein Prof Wolf-Dieter Nah,
Sabine Nuss: lebt leider nicht mehr, mal gesagt in einem Seminar, sobald wir merken,
Sabine Nuss: dass wir anfangen, uns zu identifizieren mit Nationen, mit was auch immer für
Sabine Nuss: einer Gruppierung, Kopf ab. Und das habe ich mir gemerkt.
Eva Völpel: Kopf ab, okay.
Sabine Nuss: Und seinen eigenen.
Eva Völpel: Ja, Kopf kurz mal abnehmen, zurechtsschuddeln und wieder draufschrauben und
Eva Völpel: anders weiterdenken. Genau.
Sabine Nuss: Aber Eva, sag du, hast du noch irgendwas zu ergänzen an Strategien,
Sabine Nuss: die dir jetzt vor diesem ganzen Hintergrund dann auch noch einfallen würden?
Eva Völpel: Naja, ich habe jetzt nochmal so gedacht, es wäre total lohnenswert,
Eva Völpel: in einer Sendung nochmal stärker darauf einzugehen, was wären so Bedingungen,
Eva Völpel: Voraussetzungen dafür, dass eine Linke mit einem solidarischen Projekt irgendwie
Eva Völpel: wieder mehr Stärke erfährt.
Eva Völpel: Und wir haben ja in der letzten Folge das auch kurz angerissen und verwiesen
Eva Völpel: auf einen Text zum Beispiel von Lia Becker unter dem Schlagwort sozialer Antifaschismus,
Eva Völpel: dass wir da einen starken gesellschaftlichen linken Pool schaffen müssen.
Eva Völpel: Und es wäre sicherlich interessant, sich das genauer anzugucken.
Eva Völpel: Was kann das eigentlich heißen unter den Bedingungen, die wir gerade erleben?
Eva Völpel: Aber das nehmen wir uns mal mit auf den Zettel.
Sabine Nuss: Sehr gute Idee. Ja, finde ich total gut. So als Fortsetzung, genau.
Eva Völpel: Ich habe wieder wahnsinnig viel gelernt und möchte mich sehr bedanken bei dir.
Eva Völpel: Und ich fand, das sind zwei irgendwie super Folgen, auch um die über den Sommer
Eva Völpel: vielleicht auch nochmal in Ruhe zuzuhören, wenn man nicht alles jetzt in einem
Eva Völpel: Wusch, in einem Schwung durchhören kann.
Eva Völpel: Genau, und jetzt bleibt mir eigentlich nur noch zu fragen, Sabine,
Eva Völpel: hast du noch ein Mitbringsel?
Sabine Nuss: Muss echt passen.
Eva Völpel: Ich habe auch keins, aber das macht doch überhaupt nichts.
Sabine Nuss: Das ist eh schon zu viel.
Eva Völpel: Ja, genau. Ich habe den Eindruck, hier steckt sowieso total viel drin an Shownotes,
Eva Völpel: die wir noch nachliefern auf jeden Fall und an weiteren Zweigen,
Eva Völpel: die man sich anschauen kann.
Eva Völpel: In diesem Sinne wünschen wir euch jetzt eine gute Zeit, hoffen,
Eva Völpel: es hat euch wieder Spaß gemacht und meldet euch gerne unter armutszeugnis-at-rosalux.org,
Eva Völpel: wenn ihr uns was mitteilen wollt. Macht es gut. Bis bald.
Sabine Nuss: Auf Wiederhören.
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