#19: Ist neoliberale Politik schuld? Das Erstarken der Rechten | Teil 1
Shownotes
Es gibt viele Erklärungen für das Erstarken der Rechten. Vor allem Sparmaßnahmen des Staates, aber auch andere ökonomische Krisenerscheinungen, wie Inflation, stehen in jüngster Zeit stärker im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Studien zeigen: Die Folgen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik begünstigen den Zulauf zu rechten Parteien. Wir stellen einige Studien kurz vor, diskutieren widersprüchliche Beobachtungen und steigen ein in weitergehende Erklärungen. Das setzen wir in einem zweiten Teil fort. Wir vertiefen in der Septemberfolge die Frage, warum rechte Ideologien in allen gesellschaftlichen Schichten greifen und was uns das über unsere Wirtschaft erzählt.
Schreibt uns an: armutszeugnis@rosalux.org
Shownotes:
Lia Becker: Sozialer Antifaschismus. Neoliberale Faschisierung und das Momentum der Linken in Zeitschrift LuXemburg
Hans-Jürgen Bieling: Austerity-induced populism: the rise and transformation of the new right, in: Hrsg.: Stephen McBride, Stephan/ Evans, Bryan/ Plehwe, Dieter: The Changing Politics and Policy of Austerity , S. 213 - 229, Bristol University Press 2021.
Dossier der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Kampf gegen Rechts
Maxine Fowé, Isabella Weber: Mietenstopp gegen rechts, in: Surplus – Das Wirtschaftsmagazin, 24. April 2025
Robert Gold, Lehr, Jakob Lehr: Paying Off Populism: EU-Regionalpolitik verringert Unterstützung populistischer Parteien. April 2024, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW)
Jana Hensel: Geld schützt nicht vor Radikalen. Im Osten werden vielerorts Milliardensummen in neue Fabriken investiert – auch dank großzügiger Subventionen der Ampelregierung. Trotzdem ist die AfD so stark wie nie. Wie kann das sein? Aus der ZEIT Nr. 18/2024
Fred Heussner: Antifaschistische Ökonomik? Naklar! Aber was heißt das? Exploring Economics, 2024, und Fred Heussner (2025): Ist antifaschistische Wirtschaftspolitik die Lösung? Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Von Tech-Oligarchie bis antifaschistische Wirtschaftspolitik: Aktuelle wirtschaftspolitische Paradigmen und Debatten“, Plurale Ökonomik, Universität Siegen
Stephan Kaufmann: Macht sparen rechts? Und warum?, in: Politik & Ökonomie, Beiträge zur politischen Ökonomie, 10. Februar 2024
Thomas Laschyk, Sophie Scheingraber: Lindner „glaubt“ nicht daran, dass Sparpolitik die AfD stärkt – das sagt die Wissenschaft | Mai 27, 2024 | Faktencheck
Thorsten Mense, Goetz, Judith (Hrsg.): Rechts, wo die Mitte ist. Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus. Unrast 2024.
Daniel Mullis: Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten. Reclam 2024. Berlin Summit Declaration (2024): Winning back the people. Berlin Summit Declaration May 2024 - Forum for a New Economy
Weber, Isabella: Fünf antifaschistische Wirtschaftsvorschläge, um den Rechtsruck zu stoppen. Interview im Freitag (Online), 2024.
Alle Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung: www.rosalux.de/podcasts
Du möchtest keine Podcast-Folge mehr verpassen? Abonniere unseren monatlichen Newsletter.
Transkript anzeigen
Eva Völpel: Hallo und herzlich willkommen zu unserer 19. Folge des Podcasts Armutszeugnis,
Eva Völpel: dem Wirtschaftspodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hallo Sabine.
Sabine Nuss: Hallo Eva.
Eva Völpel: Ich freue mich, dass wir heute hier zusammensitzen, denn wir wollen ein Thema
Eva Völpel: aufgreifen, was wir öfter schon mal angerissen haben, den Zusammenhang des Erstarkens
Eva Völpel: der Rechten mit ökonomischen Fragen. Also was haben ökonomische Fragen mit dem Rechtsruck zu tun?
Eva Völpel: Das Thema hat ja Konjunktur, unter anderem auch unter dem Schlagwort,
Eva Völpel: dass wir eine antifaschistische Wirtschaftspolitik brauchen,
Eva Völpel: um ebenso einen weiteren Rechtsruck zu verhindern.
Eva Völpel: Aber wir wollen heute erstmal fragen, was ist überhaupt dran,
Eva Völpel: dass die Sparpolitik einer Regierung oder eben wirtschaftliche Abstiegsängste,
Eva Völpel: dass die dazu führen, dass die Leute eher rechts wählen.
Eva Völpel: Das wollen wir uns heute genauer anschauen und das hast du vor allen Dingen getan, Sabine.
Eva Völpel: Und kleiner Hinweis, wir nehmen heute am 29.
Eva Völpel: Juli auf und zwar machen wir direkt eine Doppelfolge. Wir werden uns in einem
Eva Völpel: zweiten Teil noch dann dem Thema widmen,
Eva Völpel: wie und woran genau rechte Parteien bei ihrer Mobilisierung eigentlich so erfolgreich
Eva Völpel: andocken können und was uns das erzählt über unsere Wirtschaftsweise.
Eva Völpel: Das heißt, ihr habt eine lange Sommerpause hoffentlich vor euch und damit auch
Eva Völpel: viel Zeit, euch in dieses total spannende Thema reinzuhören,
Eva Völpel: was wir unbedingt jetzt in zwei Folgen machen müssen, weil es sehr, sehr viele Aspekte hat.
Eva Völpel: Sabine, du hast die Bühne. Leg los.
Sabine Nuss: Gut, also dieser Zusammenhang zwischen ökonomischen Krisenerscheinungen und
Sabine Nuss: staatlicher Sparpolitik und dem Erstarken der Rechten,
Sabine Nuss: der ist eigentlich erst wieder so richtig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
Sabine Nuss: geraten durch den Diskurs antifaschistische Wirtschaftspolitik.
Sabine Nuss: Da wollen wir jetzt nicht näher eingehen, nur ganz kurz so viel vorweg.
Sabine Nuss: Das war im November nach der Wahl von Trump, hat die Ökonomin Isabella Weber
Sabine Nuss: getwittert, jetzt ist es an der Zeit,
Sabine Nuss: endlich eine antifaschistische Wirtschaftspolitik zu machen, sinngemäß.
Sabine Nuss: Und daraufhin sind die Hintergründe dann nochmal mehr ins Bewusstsein geraten,
Sabine Nuss: nämlich dass es einen Zusammenhang gibt zwischen, wie gesagt,
Sabine Nuss: dem Erstarken der Rechten und ökonomischen sozialen Krisenerscheinungen.
Sabine Nuss: Und das Erstarken der Rechten hat aber natürlich eine längere Geschichte.
Sabine Nuss: Das ist jetzt keine neue Erscheinung und es ist ja übrigens auch nicht nur in
Sabine Nuss: den USA tatsächlich so, dass die Zustimmung zu rechten Ideologien zunimmt,
Sabine Nuss: sondern es ist eine weltweite Erscheinung, auch in Europa.
Sabine Nuss: In Deutschland ist ja bekannt, da wurde die AfD bei der Bundestagswahl 2025
Sabine Nuss: in vielen Landkreisen stärkste Partei und im Bundestag stellt sie mittlerweile
Sabine Nuss: mit 20,8 Prozent der Zweitstimmen und mit 152 Abgeordneten die zweitgrößte Fraktion.
Sabine Nuss: Das ist also Anlass des Diskurses, den Weber ausgelöst hat, ist also nicht neu.
Eva Völpel: Ja, es gibt da seit einigen Jahren deutlich mehr Forschung zu der Frage,
Eva Völpel: welche sozialökonomischen Bedingungen für das Erstarken der Rechten eine Erklärung bieten.
Eva Völpel: Und da kommt man sicherlich mittlerweile zu recht eindeutigen Ergebnissen, oder?
Sabine Nuss: Absolut, wobei man vorwegnehmend nochmal ganz kurz sagen muss,
Sabine Nuss: dass eigentlich fast alle Studien, mit denen ich mich beschäftigt habe,
Sabine Nuss: darauf komme ich ja gleich jetzt zu sprechen, immer einräumen.
Sabine Nuss: Es gibt natürlich noch andere Gründe. Es geht jetzt nicht rein in diesen nur
Sabine Nuss: ökonomischen Ründen auf.
Sabine Nuss: Auf die wird dann in der Regel gar nicht so stark eingegangen,
Sabine Nuss: aber das muss man fairerweise sagen, dass das immer auch noch dazu erwähnt wird,
Sabine Nuss: dass das nicht so ökonomistisch verstanden werden kann.
Sabine Nuss: Ich bike mal ein kurz in diese Vielzahl der Studien, die ich mir angeguckt habe.
Sabine Nuss: Ich werde natürlich nicht jede einzelne Studie ausführlich darlegen.
Sabine Nuss: Das wäre viel, viel zu viel Stoff und wir werden natürlich wie immer in den Shownotes verlinken.
Sabine Nuss: Aber dankenswerterweise gab es in der jüngsten Zeit zwei Zusammenfassungen oder
Sabine Nuss: Auswertungen von Studien, an denen ich mich jetzt ein bisschen orientieren konnte.
Sabine Nuss: Einmal hat Stefan Kaufmann auf dem Blog Politik und Ökonomie eine Analyse von sechs Studien gemacht.
Sabine Nuss: Das war im Februar 2024 und kurze Zeit später im Mai 2024 hat das Portal die
Sabine Nuss: Volksverpetzer auch acht Studien ausgewertet,
Sabine Nuss: die sich teilweise ein bisschen decken mit denen, die Stefan Kaufmann ausgewertet hat.
Sabine Nuss: Und das Interessante ist, dass der Volksverpetzer mit seiner Auswertung von
Sabine Nuss: acht Studien, das war eigentlich ein Faktencheck in Reaktion auf Christian Lindner,
Sabine Nuss: der mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in einem Interview mit diesen Zusammenhängen konfrontiert wurde.
Sabine Nuss: Also er, der ja ganz klar für Sparpolitik steht, wurde eben konfrontiert mit,
Sabine Nuss: das macht die Rechten stark und er hat geantwortet, daran glaube ich nicht.
Eva Völpel: Ja, so viel zur Wissenschaftsverleugnung bei führenden Regierungsmitgliedern.
Sabine Nuss: Genau.
Eva Völpel: Damals führenden Regierungsmitgliedern.
Sabine Nuss: Damals, genau, zum Glück damals. Und deshalb hat der Volksverpetzer da nochmal
Sabine Nuss: einen Faktencheck gemacht.
Sabine Nuss: Also an diesen Studien orientiere ich mich ein bisschen. Die eine oder andere
Sabine Nuss: habe ich noch dazu gebracht.
Sabine Nuss: Und ich habe nur die verschiedenen interessanten Aspekte herausgearbeitet,
Sabine Nuss: die ich jetzt kurz vorstelle. Eine der Studien ging ein auf Kommunen in verschiedenen
Sabine Nuss: europäischen Regionen.
Sabine Nuss: Zum Beispiel wurde bei italienischen Gemeinden, die weniger als 5000 Einwohner
Sabine Nuss: haben, untersucht, wie sich die kommunale Kürzung, also bei öffentlichen Dienstleistungen,
Sabine Nuss: ausgewirkt hat auf das Wahlverhalten.
Sabine Nuss: Und da kam raus, also kommunale Kürzung war in dem Sinn so gemeint,
Sabine Nuss: da gab es eine Verwaltungsreform im Jahr 2010, die von der EU aufoktriniert
Sabine Nuss: wurde und die kennen wir ja alle, haben wir vier Dörfer,
Sabine Nuss: die hatten bislang alle eine Poststelle und da wird jetzt in drei gestrichen
Sabine Nuss: und alle aus allen vier Dörfern müssen jetzt in dieses eine Dorf,
Sabine Nuss: wo jetzt nur noch die Post ist.
Sabine Nuss: Also sowas kennt man ja aus der Vergangenheit durchaus.
Sabine Nuss: Verwaltungsreform bedeutet ja oft Synergieeffekte nutzen, in Anführungsstrichen Ressourcen sparen.
Sabine Nuss: Das bedeutet natürlich, dass sich die Wegzeiten für die Leute dann auch verlängern,
Sabine Nuss: dass die wesentlich länger irgendwo hin brauchen.
Sabine Nuss: Das ist ein Aspekt und die haben eben diesen einen Aspekt mal genauer untersucht
Sabine Nuss: und festgestellt, dass da, wo die Leute tatsächlich dann Nachteile erlitten haben,
Sabine Nuss: die rechten Stimmanteile hochgegangen sind und sich gegenüber den Einwanderinnen
Sabine Nuss: dann auch eine negative Haltung entwickelt hat.
Eva Völpel: Kurze Rückfrage, ging das nur in Anführungszeichen um die Verwaltungsreform
Eva Völpel: und so längere Wege oder wurde auch ganz klar gekürzt an Leistungen wie jetzt
Eva Völpel: Krankenhaus, Pflege, Bildung, Soziales?
Sabine Nuss: Letzteres. Also es ging generell, also es heißt Einschränkung vom Zugang zu
Sabine Nuss: öffentlichen Dienstleistungen.
Sabine Nuss: Da wurde eben auch das Stichwort hier öffentliche Verkehrsmittel,
Sabine Nuss: nämlich auch an Buslinien gestrichen oder sowas in der Richtung,
Sabine Nuss: was wir eben alles auch von hier kennen.
Sabine Nuss: Und interessant ist eben, dass sich die Haltung gegenüber den Einwanderern dann
Sabine Nuss: negativ entwickelt hat.
Sabine Nuss: Also eigentlich was, was wir auch hier beobachten können. Es werden Ressourcen
Sabine Nuss: auf der kommunalen Ebene gespart und Schuld ist da nicht diejenigen,
Sabine Nuss: die die Sparmaßnahmen durchgesetzt haben, sondern die Einwanderer.
Sabine Nuss: Was auch noch interessant ist bei dieser einen Studie, dass die Ergebnisse auch
Sabine Nuss: nahegelegt haben, dass diese Verringerung der öffentlichen Dienste gar nicht
Sabine Nuss: unbedingt den sogenannten Umverteilungsparteien zugute kam.
Eva Völpel: Das ist vielleicht auch gar nicht so erstaunlich, wenn du jetzt schon beschrieben
Eva Völpel: hast, dass es diese verschärfte Ressourcenkonkurrenz gibt,
Eva Völpel: politisch herbeigeführt und die wird aber nicht als Konflikt mit oben gedeutet,
Eva Völpel: sondern ja eigentlich wie so eine weitere Entsolidarisierung nach unten.
Eva Völpel: Also gegen Geflüchtete, gegen Bürgergeldempfängerinnen. Und ich finde wichtig
Eva Völpel: dabei ist auch nochmal sich so klar zu machen, ja maßgeblich dafür ist eigentlich
Eva Völpel: auch immer so eine politische Elite, die das bis bald ins bürgerliche Lager
Eva Völpel: hinein gerade mitbefeuert.
Sabine Nuss: Genau, richtig, ja.
Sabine Nuss: Ich mache mal weiter. Es gibt noch ein anderes Studienergebnis,
Sabine Nuss: was ich erwähnenswert fand, nämlich man hat nochmal ganz gesondert untersucht,
Sabine Nuss: wie sich der Stimmenanteil bei rechten Parteien nach einer Wirtschaftskrise entwickelt hat.
Sabine Nuss: Und zwar genau da, wo man Folgen von Wirtschaftskrisen gespürt hat und die Regierung
Sabine Nuss: zusätzlich auch noch staatliche Leistungen gekürzt hat. Und dort gibt es jetzt
Sabine Nuss: eine sehr deutliche Zahl, die möchte ich mal ganz kurz ausnahmsweise nennen.
Sabine Nuss: Da schreiben die Forschenden, im Durchschnitt hat eine Reduzierung der regionalen
Sabine Nuss: öffentlichen Ausgaben um ein Prozent zu einem Anstieg des Stimmenanteils extremer
Sabine Nuss: Parteien um drei Prozentpunkte geführt.
Sabine Nuss: Also das ist bei vielen Studien der Fall, dass sie das immer so ausrechnen,
Sabine Nuss: wie viel Prozent Kürzung ergab, wie viel Prozent Stimmen Zuwachs der Rechten.
Sabine Nuss: Und eine andere Studie kam zum Schluss, das finde ich auch erwähnenswert,
Sabine Nuss: dass besonders dann in bestimmten Regionen rechts gewählt wurde,
Sabine Nuss: wenn Parteien, die eigentlich für Soziales stehen,
Sabine Nuss: die Sparmaßnahmen, sobald sie in der Regierung sind, eben mit unterstützen.
Eva Völpel: Ja, das ist irgendwie auch, finde ich, total verständlich, dass man dann so
Eva Völpel: reagiert, weil man sich einfach denkt, wollt ihr uns eigentlich verarschen oder was?
Eva Völpel: Also ich meine diese Enttäuschung als so ein gut verständliches Motiv.
Eva Völpel: Und ich glaube, das gibt uns auch nochmal einen ganz guten Hinweis auf einen
Eva Völpel: Punkt, den du später nochmal vertiefen willst, Sabine, nämlich Rolle und Wandel
Eva Völpel: vor allem auch der Sozialdemokratie, wie sie ArbeiterInneninteressen vertreten
Eva Völpel: hat oder nicht mehr vertritt.
Sabine Nuss: Ja, genau. Eine andere Studie, und da lege ich jetzt eigentlich eher ein bisschen
Sabine Nuss: Wert darauf auf die Formulierung, da schreiben die Forschenden,
Sabine Nuss: sie untersuchen in bereits eh schon wirtschaftlich schwachen Regionen,
Sabine Nuss: wenn dann dort Sparmaßnahmen durchgeführt werden, also jetzt nicht nach einer
Sabine Nuss: Krise, sondern eh schon strukturschwache Regionen.
Sabine Nuss: Dass in diesen strukturschwachen Regionen dann nach dem Durchführen der Sparmaßnahme
Sabine Nuss: rechtsradikale Parteien, ich zitiere, deutlich stärker an Stimmen gewannen als
Sabine Nuss: linksradikale Parteien. Da kommen wir später auch nochmal drauf zu sprechen.
Sabine Nuss: Finde ich natürlich schwierig, dieser Vergleich zwischen links und rechts radikal,
Sabine Nuss: weil das eben insinuiert, dass es so eine gute Mitte gibt.
Sabine Nuss: Und wir werden später sehen, dass das nicht so ist, diese Mär von der guten Mitte.
Sabine Nuss: Aber was sie betonen, es ist nämlich auch umgekehrt der Fall.
Sabine Nuss: Man konnte auch beobachten...
Sabine Nuss: Dass die rechten Stimmanteile wieder zurückgehen, sobald der Staat Geld für
Sabine Nuss: Soziales ausgibt oder für Infrastruktur.
Sabine Nuss: Und genau zu diesem Schluss kommt auch das Institut für Weltwirtschaft Kiel.
Sabine Nuss: Die haben nämlich auch mal untersucht, es gibt ja irgendwie,
Sabine Nuss: wenn du mal durch Brandenburg fährst mit dem Fahrrad, dann sieht man ja manchmal
Sabine Nuss: bei den Fahrradwegen solche blauen Schilder mit dem gelben Stern EU gefördert.
Sabine Nuss: Also aus dem EU-Förderfonds weißt du dann, ah okay, das hat jetzt irgendwie
Sabine Nuss: die EU finanziert, dass wir hier einen schönen Fahrradweg haben.
Sabine Nuss: Und genau solche europäische Regionalförderung wurden ja in den Mitgliedstaaten,
Sabine Nuss: gerade bei den sogenannten schwächeren Mitgliedstaaten, ausgeschüttet.
Sabine Nuss: Und das wurde untersucht. Was hatte das für eine Auswirkung auf die Wahlergebnisse?
Sabine Nuss: Sie sagen also konkret, haben sie beobachtet,
Sabine Nuss: 100 Euro EU-Regionalförderung pro Kopf in einer Region haben zu einem Rückgang
Sabine Nuss: des Stimmenanteils von rechten Parteien um etwa 0,5 Prozentpunkte geführt.
Sabine Nuss: Also du kannst eigentlich sagen, wenn wir jetzt in eine Region,
Sabine Nuss: wo viele Rechte sind, pro Kopf 500 Euro ausgeben, dann gehen die Stimmenanteile ganz stark zurück.
Eva Völpel: Aber das ist mir jetzt so ein bisschen zu eindeutig, dieser Zusammenhang,
Eva Völpel: so wie es jetzt dargestellt wird. Aber das ist schon so der Tenor.
Sabine Nuss: Das ist ein bisschen der Tenor.
Eva Völpel: Aber es wird schon auch noch mal relativiert ein Stück weit.
Eva Völpel: Das ist auch bei denen, die sagen dann auch, es gibt noch andere Faktoren.
Sabine Nuss: Genau, genau. Das mit den Zahlen ist, glaube ich, einfach nur eine Illustration.
Sabine Nuss: Empirisch wird es schon so sein, aber das wird schon auch so sein,
Sabine Nuss: dass dann noch ganz andere viele Gründe eine Rolle spielen.
Eva Völpel: Ja, beziehungsweise, dass die das auch sehen, dass die eine Rolle spielen.
Eva Völpel: Das hat mich jetzt immer interessiert, ja.
Eva Völpel: Ja, mir fällt da ja auch nochmal ein Text zu ein, eine Leseempfehlung also an dieser Stelle.
Eva Völpel: Jana Hänsel hatte in der Zeit, allerdings auch schon im Jahr 2024,
Eva Völpel: einen Text mal geschrieben, Geld schützt nicht vor Radikalen.
Eva Völpel: Und dann guckt sie sich mal ein bisschen genauer an, dass es so einfach daneben
Eva Völpel: auch nicht ist. Also wenn man nur Geld ausschüttet über eine Region,
Eva Völpel: dass dann die AfD-Stimmenanteile zurückgehen, weil sie sagt natürlich zu Recht,
Eva Völpel: da gehören mehrere Faktoren dazu.
Eva Völpel: Sie nennt es dann auch weichere Faktoren und kann nur empfehlen,
Eva Völpel: sich diesen Text gerne mal durchzulesen.
Eva Völpel: Der bringt in relativer Kürze sehr viele wichtige Gedanken dazu nochmal auf
Eva Völpel: den Punkt. Ein paar Dinge haben sich verändert, also zum Beispiel ein paar dieser
Eva Völpel: großen Subventionsprojekte, die da erwähnt werden, wo der Bund Geld ausschüttet über dem Osten.
Eva Völpel: Die sind jetzt eh gescheitert, weil kommen gar nicht an den Start,
Eva Völpel: Intel Fabrik in Magdeburg.
Eva Völpel: Aber ansonsten ist da sehr viel aktuell geblieben und war für mich auch nochmal
Eva Völpel: so ein Merker, dass man sich eigentlich mal diese Subventionspolitik im großen
Eva Völpel: Stil und deren regionale Auswirkungen nochmal genauer angucken müsste.
Eva Völpel: Das wäre total interessant.
Sabine Nuss: Genau. Und es ist natürlich widersprüchlich, dass man eben auch gegenläufige
Sabine Nuss: Phänomene feststellen kann, die darauf verweisen, dass man da nochmal genauer
Sabine Nuss: hingucken muss, was die Gründe sind für die Wahlrechterparteien.
Sabine Nuss: Ja, es ist widersprüchlicher als die Studien, die ich bislang kurz dargelegt habe, nahelegen.
Sabine Nuss: Aber ich möchte trotzdem nochmal was, was das unterstützt, den Zusammenhang
Sabine Nuss: sagen, nämlich auf den Brexit, wo im Jahr 2016 die britische Bevölkerung dafür
Sabine Nuss: gestimmt hat, mehrheitlich, dass sie aus der EU austreten wollen.
Sabine Nuss: Oder gibt es einen Wirtschaftswissenschaftler, der eben auch den Zusammenhang
Sabine Nuss: setzt zum Sparprogramm der britischen Regierung, die 2010 begonnen hat?
Sabine Nuss: Und dieses Sparprogramm, so sagt er, führte eben dazu, dass soziale Sicherung
Sabine Nuss: und Wohlfahrt pro Kopf der Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien real um
Sabine Nuss: 16 Prozent gesunken war.
Eva Völpel: Das ist eine irre Zahl, finde ich.
Sabine Nuss: Total. Und er sagt, also in Regionen, die besonders von diesen Kürzungen betroffen
Sabine Nuss: war, hat die Partei UKIP, was die rechte Partei Großbritanniens ist,
Sabine Nuss: besonders hohe Zugewinne abermals bekommen.
Sabine Nuss: Und die UKIP-Wähler waren auch die, die überwiegend für den EU-Austritt waren.
Sabine Nuss: Und der Wirtschaftswissenschaftler heißt Fetzer, dessen Studie legt eben nahe,
Sabine Nuss: dass ohne diese Sparpolitik wahrscheinlich das Remain-Lager,
Sabine Nuss: also die Leute, die für den Verbleib in der EU waren, gewonnen hätten.
Sabine Nuss: Also der unterstützt diesen Zusammenhang insofern auch nochmal sehr stark.
Eva Völpel: Ja, das finde ich jetzt total spannend, weil man daran sieht,
Eva Völpel: welche direkten politischen krassen Auswirkungen das dann haben kann.
Eva Völpel: Aber das jetzt nicht ganz so optimistisch stimmt.
Eva Völpel: Du hast aber auch Beispiele gefunden, wo es so ein bisschen positive Zukunftshoffnung gibt.
Sabine Nuss: Ja, also ein bisschen so ähnlich wie vorhin, wo eben auch die EU-Regionalförderung
Sabine Nuss: stellenweise zu stagnierenden oder zurückgehenden Stimmen für die Rechte gewirkt
Sabine Nuss: haben oder geführt haben.
Sabine Nuss: Aber auch die bereits erwähnte Isabella Weber erwähnt immer mal wieder solche
Sabine Nuss: Beispiele, wo es eben andersrum ist.
Sabine Nuss: Alpi, sie hat zusammen mit dem Ökonom Tom Krebs, über den wir hier ja auch schon
Sabine Nuss: in der Folge gesprochen haben, mal in der letzten oder vorletzten,
Sabine Nuss: weiß ich gar nicht mehr, egal.
Sabine Nuss: Also Isabella Weber war ja maßgeblich beteiligt an der Gaspreisbremse in Deutschland,
Sabine Nuss: die im Jahr 2023 gegolten hat, wo also viele Menschen wirklich an ihrem Geldbeutel
Sabine Nuss: gemerkt haben, dass sie nicht so viel zahlen müssen, obwohl die Gaspreise gestiegen sind.
Sabine Nuss: Und da sind offensichtlich Weber und Krebs zufolge die Zustimmungswerte zur AfD stagniert.
Sabine Nuss: Und dann gibt es noch ein anderes Beispiel, da verweist sie gerne auf Spanien.
Sabine Nuss: In Spanien, die ja auch die Krise hatten und Inflation und so weiter,
Sabine Nuss: die haben ein ganz umfassendes Maßnahmenpaket umgesetzt, die haben nämlich Mietpreiskontrollen
Sabine Nuss: umgesetzt, die haben die Gaspreise auch gedeckelt, die haben Mehrwertsteuer
Sabine Nuss: abgesenkt auf Grundnahrungsmittel und die haben auch Übergewinnsteuern für Banken
Sabine Nuss: eingeführt, also so Isabella Weber.
Sabine Nuss: Und sie sagt eben, die rechtsextreme Partei in Spanien, die hat nämlich dadurch,
Sabine Nuss: so stellt sie den Zusammenhang her, bei der dann vorgezogenen Wahl im Jahr 2023
Sabine Nuss: erheblich an Boden verloren.
Eva Völpel: Das ist sehr interessant, ja, dieser Zusammenhang auch nochmal.
Eva Völpel: Gut, wir haben ja jetzt einiges schon von dir gehört zu diesem Zusammenhang
Eva Völpel: von staatlicher Wirtschaftspolitik, also Sparen oder Fördern und der Wahlrechte der Parteien.
Eva Völpel: Aber es gibt ja auch noch andere ökonomische Gründe, die genannt werden,
Eva Völpel: also wo der Staat jetzt weniger direkt irgendwie verursachend ist,
Eva Völpel: sondern eher vielleicht die Frage, wie er dann reagiert im Nachgang.
Eva Völpel: Also Stichwort wäre die Inflation, ausgelöst durch die Eskalation und den Krieg
Eva Völpel: Russlands gegen die Ukraine und die auch von vielen Unternehmen genutzt wurde,
Eva Völpel: um die Profite ein bisschen hoch zu treiben.
Sabine Nuss: Genau, also Inflation ist relativ einhellig.
Sabine Nuss: Beispielhaft gibt es diese Studie vom Institut für Weltwirtschaft wieder Kiel,
Sabine Nuss: die eben auch ganz klar gesagt haben, nach dem Inflationsschock steigt der Stimmenanteil
Sabine Nuss: populistischer und extremistischer Parteien.
Sabine Nuss: Und auch bei Mieten, also wenn die Mieten steigen,
Sabine Nuss: das ist auch von Isabella Weber zitiert worden, eine Studie,
Sabine Nuss: die ausgerechnet hat, die Erhöhung der Miete um ein Euro sorgt für ein Wachsen
Sabine Nuss: des Stimmenanteils der AfD bei Geringverdienenden um bis zu vier Prozentpunkte.
Eva Völpel: Okay, kommen wir nochmal zu einer anderen Facette, die ja auch ein wichtiger Punkt ist.
Eva Völpel: Es gibt ja auch sozusagen die Gemengelagen, da geht es eher um gefühlte Abstiegsängste,
Eva Völpel: also wo Leute noch gar nicht sozusagen individuell materielle Einbußen zu verkraften haben.
Eva Völpel: Dazu gibt es ja mittlerweile auch Studien oder das ist auch ein wichtiger Punkt, wo angesetzt wird.
Sabine Nuss: Genau, das sind einfach solche Situationen. Das wird eben auch in einigen Studien
Sabine Nuss: gesagt, wo die Leute merken, das finde ich auch ganz einleuchtend,
Sabine Nuss: um mich rum wird alles schlechter, Da in der Nachbarschaft steigt überall die
Sabine Nuss: Miete, wird mich das auch treffen.
Sabine Nuss: Also da geht es eher um so eine Art vorweggenommene Angst. Es geht um Kontrollverlust.
Sabine Nuss: Es geht auch um Angst vor Statusverlust.
Sabine Nuss: Also wenn jetzt zum Beispiel deine Miete du nicht mehr bezahlen kannst und du
Sabine Nuss: musst ausziehen in eine Wohnung, du findest keine und so weiter.
Sabine Nuss: Das kennen wir alle, was da für Ängste losgehen.
Sabine Nuss: Und da gibt es offensichtlich auch die Tendenz, dass dann da eher tendenziell
Sabine Nuss: die Rechten gewählt werden, obwohl man unmittelbar selbst jetzt gar nicht direkt
Sabine Nuss: von materiellen Einbußen betroffen ist. die reine Angst davor.
Sabine Nuss: Und dann gibt es noch einen anderen interessanten Aspekt.
Sabine Nuss: Nämlich eine relative, also das Gefühl von einer relativen Verschlechterung.
Sabine Nuss: Das heißt, mir selber geht es gar nicht so schlecht, aber meine Situation finanziell
Sabine Nuss: zum Beispiel verschlechtert sich nicht.
Sabine Nuss: Ich bleibe gleich, aber um mich rum werden bestimmte Gruppen immer reicher.
Sabine Nuss: Und ich frage mich so ein bisschen, ich streng mich ja auch total an,
Sabine Nuss: wieso passiert bei mir nichts, wieso bleibt es bei mir und andere ziehen an mir vorbei.
Sabine Nuss: Also das haben wir natürlich ganz besonders der Fall, wenn die soziale Ungleichheit
Sabine Nuss: so stark auseinander driftet, solche relativen Abwertungsgefühle.
Sabine Nuss: Und einen Statusverlust gibt es auch in dem Sinne, dass wir beobachten können,
Sabine Nuss: in dem Moment, wo neue Technologien eingeführt werden, wie zum Beispiel jetzt
Sabine Nuss: die KI, dann werden alte Berufsbilder abqualifiziert.
Sabine Nuss: Die sind dann nicht mehr so wichtig, schlägt sich auch nieder dann in perspektivisch
Sabine Nuss: niedrigere Löhne. Dafür werden andere Berufe, Neuberufsbilder hochqualifiziert.
Sabine Nuss: Das heißt, du bist ständig in so einem Ab- und Aufwärtsspiel durch diese Dynamik
Sabine Nuss: der kapitalistischen Vergesellschaftung, wo du dann immer wieder mit Abwertungsgefühlen
Sabine Nuss: und Statusverlustängsten konfrontiert wirst.
Sabine Nuss: Und auch das führt eben dazu, dass die Leute tendenziell eher rechts wählen
Sabine Nuss: und dass sie nicht so sehr die Umverteilungsparteien, wie das immer genannt wird,
Sabine Nuss: wählen, weil sie Angst haben, wenn ich jetzt noch was abgeben muss von dem wenigen,
Sabine Nuss: was ich habe, wenn ich jetzt noch verliere an diesem bisschen Status, um den ich eh fürchte,
Sabine Nuss: dann rutsche ich noch weiter ab. Deshalb wähle ich nicht die Linke.
Eva Völpel: Ja, das finde ich auf jeden Fall auch einen wichtigen Aspekt und vielleicht
Eva Völpel: auch als Linke sich da anzugucken, warum haben wir es da so schwer,
Eva Völpel: also dass man diese Facetten oder diese sozialpsychologischen Reaktionen da
Eva Völpel: drauf irgendwie nochmal ein bisschen stärker mit in den Blick nimmt,
Eva Völpel: wenn man sich damit beschäftigt.
Eva Völpel: Ja, wir haben jetzt von dir schon total viel gehört und viele Zusammenhänge,
Eva Völpel: die du so dargestellt hast, aber es gibt ja auch noch zu Recht anderen Einwand,
Eva Völpel: wenn man sich mit solchen Studien beschäftigt und das ist der Einwand, dass Leute sagen, naja,
Eva Völpel: ist ja alles schön und gut, da ist vielleicht auch was dran,
Eva Völpel: aber es gibt eben auch einen Kern von Menschen, die haben einfach ein verfestigtes
Eva Völpel: rechtsextremes Weltbild,
Eva Völpel: eine rechtsextreme Einstellung und die wählen halt die AfD aus ganz anderen
Eva Völpel: Gründen, nicht aus irgendwie ökonomischen.
Eva Völpel: Und da spielt dann eben auch mit rein, dass es sehr festgefügte Ideologien oder
Eva Völpel: anders gesagt auch menschenfeindliche Einstellungen gibt, also rassistische
Eva Völpel: Einstellungen, antisemitische, islamfeindliche und so weiter.
Eva Völpel: Und dass eben so ein auch marktradikal oder sozialdarwinistisch geprägtes Menschenbild
Eva Völpel: und so Solidarisierungserfahrungen im neoliberalen Kapitalismus eine Rolle spielen,
Eva Völpel: wenn man auf dieses Thema guckt. Da ist ja auch total viel dran.
Eva Völpel: Wie würdest du das einordnen oder so in Beziehung setzen zu den Studien,
Eva Völpel: die du jetzt erwähnt hast?
Sabine Nuss: Ja, das ist eine große Frage. Ich glaube, da widmen wir uns dann schrittweise.
Sabine Nuss: Vielleicht steige ich erstmal ein mit. Es gibt tatsächlich mittlerweile einen breiten Konsens unter,
Sabine Nuss: ich nenne das jetzt mal die progressiven Ökonominnen und Ökonomen,
Sabine Nuss: die tatsächlich das auch so ganz deutlich sagen, dass es die neoliberale Wirtschaftspolitik
Sabine Nuss: der letzten Jahrzehnte sei,
Sabine Nuss: die den Auftrieb rechter Parteien stark befördert hat.
Sabine Nuss: Und da meinen die natürlich genau das, was wir ja eigentlich auch immer hier
Sabine Nuss: kritisieren, die neoliberale Praxis,
Sabine Nuss: Privatisierung, Marktgläubigkeit, die Ablehnung von staatlicher Interventionsmöglichkeit
Sabine Nuss: zugunsten aller Menschen, der Mehrheit der Menschen.
Sabine Nuss: Das wird als wichtige Ursache für die Rechtsverschiebung betrachtet und vielleicht
Sabine Nuss: um ein Beispiel zu nennen.
Sabine Nuss: Es gibt ein Autor, Fred Heusner heißt der, der kommt von der pluralen Ökonomik.
Sabine Nuss: Also die plurale Ökonomik ist so eine alternative Strömung in den Wirtschaftswissenschaften,
Sabine Nuss: die sich von der herrschenden VWL zu Recht, wie ich finde, abgrenzen.
Sabine Nuss: Und der hat relativ schnell, wenn man als Isabella diesen Tweet über antifaschistische
Sabine Nuss: Wirtschaftspolitik rausgehauen hat, reagiert mit, wie ich finde,
Sabine Nuss: einem sehr langen und guten Artikel.
Sabine Nuss: Und dort verweist er eben genau auf das, was ich gerade gesagt habe.
Sabine Nuss: Es gibt progressive Ökonomin, die haben sich organisiert im Forum New Economy.
Sabine Nuss: Das ist noch relativ neu, wurde 2019 gegründet. Die machen eine Tagung,
Sabine Nuss: ich glaube, ich weiß gar nicht, ob jedes Jahr, aber im Jahr 2024 haben sie auf
Sabine Nuss: jeden Fall auf so einer Tagung auch eine Erklärung verabschiedet,
Sabine Nuss: der Berlin Summit Declaration oder Berliner Erklärung.
Sabine Nuss: Und da plädieren sie also eindeutig, das ist sowieso das Leitbild ihrer Plattform,
Sabine Nuss: ihrer neuen, dass sie für ein neues Leitbild in der Wirtschaftspolitik sind
Sabine Nuss: und das beschleunigen wollen.
Sabine Nuss: Und in dieser Erklärung, die heißt Winning Back the People, also die Leute zurückgewinnen,
Sabine Nuss: da sagen sie sehr klar, dass es zahlreiche Belege dafür gibt,
Sabine Nuss: dass die Unzufriedenheit der Menschen, die sich dann eben den rechten oder den
Sabine Nuss: rechtspopulistischen Parteien zuwenden,
Sabine Nuss: dass das zurückzuführen ist auf die marktgläubige, staatskritische.
Sabine Nuss: Neoliberale Logik, die Austeritätspolitik, das Vertrauen in die Selbstregulierung
Sabine Nuss: der Märkte und so weiter.
Sabine Nuss: Und durch diese Neoliberale oder Neoliberalisierung des Kapitalismus hat dann
Sabine Nuss: die Fähigkeit der Regierung auch verloren, wirksam auf Krisen zu reagieren.
Sabine Nuss: Das war so im Grunde genommen die Erklärung.
Eva Völpel: Mhm.
Eva Völpel: Ja, vielleicht nochmal kurz hinterher geschoben, diese Erklärung,
Eva Völpel: die ist ja von ziemlich namhaften Ökonominnen und Ökonomen unterstützt worden.
Eva Völpel: Also ich glaube ungefähr 50 Namen stehen da drauf, darunter so bekannte Leute
Eva Völpel: wie die Ökonomin Mariana Mazzucato oder der Wirtschaftshistoriker Adam Toos
Eva Völpel: oder die Ungleichheitsforscher Branko Milanovic oder Thomas Piketty,
Eva Völpel: aber auch der frühere IWF-Chefökonom Olivier Blanchard und aus Deutschland Jens
Eva Völpel: Südekum von der Düsseldorfer Universität.
Eva Völpel: Und ja, hier schon häufiger erwähnt, die Ökonomin Isabella Weber,
Eva Völpel: aber zum Beispiel auch die Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel,
Eva Völpel: die haben das unterzeichnet.
Sabine Nuss: Genau, das meint ja auch mit einem relativ breiter Konsens, sehr prominent vertreten,
Sabine Nuss: dass, ich spitze jetzt mal zu, der Neoliberalismus ist schuld am Aufstieg der Rechten.
Sabine Nuss: Und es gibt ganz viele andere Studien, ich will jetzt da gar nicht mehr weiter
Sabine Nuss: drauf eingehen, nur ein Punkt,
Sabine Nuss: es gibt irgendwie in einer Publikation wird auf die Parallelität hingewiesen
Sabine Nuss: von dem Deregulierungsprozess und Neoliberalierungsprozess auf der Ebene der EU,
Sabine Nuss: die Ende der 70er Jahre begonnen hat und sich dann in den ganzen Mitgliedstaaten weiter verstärkt hat.
Sabine Nuss: Und einem anderen Prozess, der quasi zeitgleich entstanden ist,
Sabine Nuss: nämlich das Erstarken von Rechtspopulismus in den Mitgliedstaaten der EU.
Sabine Nuss: Es begann also fast zeitgleich und die Autoren dieser Publikation argumentieren,
Sabine Nuss: dass die Sparpolitik der EU, die sich dann runterdekliniert hat in die Länder,
Sabine Nuss: jetzt nicht direkt zu einem Machtgewinn der rechten Parteien geführt hat,
Sabine Nuss: aber zu wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die dann das Umfeld geschaffen
Sabine Nuss: haben, warum Leute rechts wählen.
Sabine Nuss: Und diese rechten Parteien, die da entstanden sind, die konnten sich eben als
Sabine Nuss: Alternative positionieren, indem sie dann die Themen wie Nationalismus,
Sabine Nuss: also eurokritisch, Fremdenfeindlichkeit und so weiter und eben sehr kritisch
Sabine Nuss: gegenüber der europäischen sogenannten Integration gezeigt haben.
Eva Völpel: So ist ja auch die AfD ursprünglich entstanden.
Sabine Nuss: Genau, genau, als eurokritische Partei.
Eva Völpel: Ja.
Eva Völpel: Aber noch einmal zurück zum Thema. Wenn man sich jetzt diese Studien anguckt,
Eva Völpel: dann kann man doch mit Fug und Recht sagen, man stolpert auch über so gegenläufige
Eva Völpel: Trends oder Entwicklungen oder Sachen, die vielleicht erstmal irgendwie nicht
Eva Völpel: so einfach erklärbar erscheinen.
Eva Völpel: Nämlich zum Beispiel, dass jetzt auch in wohlhabenden Regionen,
Eva Völpel: also in Baden-Württemberg jetzt meinetwegen, wo man denkt, da ist eine starke
Eva Völpel: Wirtschaft, da gibt es noch viel Industrie, dass auch da die AfD mehr und mehr gewählt wird.
Sabine Nuss: Ja, du musst jetzt ein bisschen lachen, das ist meine Hut. Also ich komme ja
Sabine Nuss: aus Baden-Württemberg. Und wenn ich dann da unten bin, denke ich immer,
Sabine Nuss: sag mal, habt ihr sie noch alle?
Sabine Nuss: Ich meine, das ist wirklich so ein reiches Bundesland. Ja, was wählt ihr, die AfD?
Sabine Nuss: Aber in der Tat wird es auch so erklärt von WissenschaftlerInnen.
Sabine Nuss: Da haben die halt eben Angst, dass dieser Status nicht mehr erhalten bleibt.
Sabine Nuss: Die haben also die Erzählung von der Deindustrialisierung Deutschlands.
Sabine Nuss: Die haben dort insbesondere, in Baden-Württemberg ist ja auch die Automobilindustrie
Sabine Nuss: sehr stark. Und jetzt hören wir überall Deindustrialisierung rauf und runter
Sabine Nuss: und es gibt auch negative Reflexe, wenn man da nur das Wort Transformation hört.
Sabine Nuss: Energiewende, Mobilitätswende wird natürlich sofort verbunden mit Jobverlust
Sabine Nuss: oder mit, da kommen wir da nicht mehr mit und so weiter.
Eva Völpel: Da können wir an der Stelle nochmal auf unser Interview mit Rondor Koch in der
Eva Völpel: letzten Folge zum Thema Krise der Automobilindustrie verweisen.
Sabine Nuss: Genau, das tolle Interview, genau. Richtig. Also es ist insofern auch erklärbar,
Sabine Nuss: warum eben auch in solchen Regionen dann AfD gewählt wird.
Sabine Nuss: Und die Zusammensetzung der AfD-Wählerschaft hat sich ja auch seit ihrer Gründung
Sabine Nuss: verändert, eben von dieser bürgerlichen Anti-Euro-Partei, ist sie dann doch
Sabine Nuss: heute zu einer Partei geworden, die unter den ArbeiterInnen und Arbeitslosen
Sabine Nuss: dann doch die meistgewählte Partei ist.
Sabine Nuss: Ja, und ich finde natürlich auch, es wird natürlich auch von Angestellten gewählt,
Sabine Nuss: von Menschen aus der Mitte, wie es so schön heißt.
Sabine Nuss: Aber was ich natürlich auch ein widersprüchliches Phänomen finde,
Sabine Nuss: jetzt nochmal auf diese Studien zurückzukommen, ist,
Sabine Nuss: dass wir natürlich jetzt gerade sehen, wie Leute wie Elon Musk oder Peter Thiel,
Sabine Nuss: also die super, super Reichen, auch super rechtsradikal sind und die gehören
Sabine Nuss: jetzt wirklich nicht zu den Abgehängten.
Eva Völpel: Ja, ein total wichtiger Punkt. Also einerseits dieses, wir müssen den Blick weiten.
Eva Völpel: Ich meine, bei der letzten Bundestagswahl haben ja ungefähr zehn Millionen Menschen die AfD gewählt.
Eva Völpel: Das natürlich mittlerweile wirklich aus allen unterschiedlichen sozialen Schichten oder Klassen.
Eva Völpel: Und jetzt nochmal dein Stichwort Musk und Thiel. Das finde ich auch wichtig.
Eva Völpel: Du hattest ja schon Frederik Heussner erwähnt, der sich ja auch mit der antifaschistischen
Eva Völpel: Wirtschaftspolitik auseinandergesetzt hat.
Eva Völpel: Und der macht dazu ja auch nochmal eine wichtige Ergänzung, finde ich.
Eva Völpel: Der sagt, Teile der Menschen, die jetzt die antifaschistische Wirtschaftspolitik
Eva Völpel: stärken wollen, die gucken für ihn so ein bisschen zu stark auf die Rolle der
Eva Völpel: unteren Klassen als Treiber der Faschisierung und zu wenig auf die treibende
Eva Völpel: Rolle der ökonomischen Eliten.
Eva Völpel: Das ist jetzt auch nicht nur seine Meinung, sondern die wird auch von anderen Leuten vertreten.
Eva Völpel: Und das heißt, es ist schon wichtig, sich auch so Leute anzugucken wie jetzt
Eva Völpel: Musk und Thiel, die ganz klar zu diesen bei Thiel jetzt libertären,
Eva Völpel: antidemokratischen Rechten gehören.
Eva Völpel: Aber er sagt vor allem auch nochmal, man muss den gesamten Epochenbruch in den
Eva Völpel: Blick nehmen, also dass wir gerade eine neue radikalisierte Form von Klassenherrschaft erleben.
Eva Völpel: Und da fand ich interessant, dass er sagt, das kann man halt auf so einen Punkt
Eva Völpel: bringen, dass der gemeinsame Kern dieses Bruchs oder diese Entwicklung in diese
Eva Völpel: Richtung ist, dass wir eben eine sehr offene Affirmation mittlerweile von Ungleichheit da erleben,
Eva Völpel: mehr Herrschaft und Gewalt und eben die schranken- und rücksichtslose Akkumulation von Kapital.
Eva Völpel: Das finde ich auf jeden Fall einen total wichtigen Aspekt in der ganzen Debatte,
Eva Völpel: den wir heute hier haben und da verlinken wir gerne nochmal auf seinen Vortrag,
Eva Völpel: den er an der Universität Siegen zu dem Thema gehalten hat.
Eva Völpel: Genau, das heißt, man muss auf jeden Fall nach oben gucken.
Eva Völpel: Das ist das, was Friedrich Heußner auch als wichtigen Impuls so mitgibt in die Debatte.
Eva Völpel: Und das zeigt uns eben auch nochmal, dass das Bild von den ausschließlich armen
Eva Völpel: abgehängten rechten Wählerinnen, dass das also einfach nicht stimmt.
Sabine Nuss: Nee, das geht also darin nicht auf. Trotzdem ist, ich habe natürlich dann auch
Sabine Nuss: nochmal geguckt nach irgendwelchen Studien, warum wählen eigentlich Reiche rechts,
Sabine Nuss: also wirklich wohlhabende Leute und das ist dann, führt auf eine ganz paradoxe
Sabine Nuss: Antwort, weil es ist jetzt eigentlich ganz klar, weil die rechten Parteien haben,
Sabine Nuss: also insbesondere jetzt schauen wir uns mal die AfD in Deutschland an,
Sabine Nuss: ein urstneoliberales Programm, wo die Reichen eindeutig begünstigt werden.
Sabine Nuss: Reiche sind per se erstmal, wenn ich jetzt mal Textminau ausblende gegen Vermögensteuer,
Sabine Nuss: überhaupt gegen irgendwelche Steuer, alles, was sie in irgendeiner Form belastet, sind sie dagegen.
Sabine Nuss: Insofern ist das jetzt nicht so eine Überraschung, finde ich,
Sabine Nuss: warum Reiche rechts wählen, weil sie da begünstigt werden.
Sabine Nuss: Sieht man ja in den USA, was du jetzt ja auch schon gesagt hast.
Sabine Nuss: Aber das Paradoxe ist, jetzt wird in diesen Studien der Zusammenhang hergestellt,
Sabine Nuss: dass Leute, die von Sparpolitik und von neoliberaler Politik benachteiligt sind,
Sabine Nuss: ausgerechnet eine Partei wählen, die gegen ihre eigenen Interessen Politik macht.
Sabine Nuss: Das ist ja wirklich erklärungsbedürftig.
Eva Völpel: Ja, das stimmt.
Sabine Nuss: Genau. Und wenn wir uns das AfD-Grundsatzprogramm angucken, dann findest du
Sabine Nuss: das alles wieder. Je mehr Wettbewerb, desto besser.
Sabine Nuss: Der Staat muss sparen und Ausgaben kürzen, sind natürlich auch Sozialausgaben gemeint.
Sabine Nuss: Die AfD ist gegen die Vermögensteuer, sie will die Erbschaftssteuer abschaffen,
Sabine Nuss: sie will die Schuldenbremse beibehalten und und und.
Sabine Nuss: Also man könnte mal sagen, ganz normales neoliberales Wirtschaftsprogramm.
Eva Völpel: Aber was ist es dann genau, dass die Leute trotzdem die AfD wählen?
Eva Völpel: Also auch die Menschen, die ganz klar davon sozial extrem benachteiligt sein werden?
Sabine Nuss: Also es ist ja wirklich, wenn man sich jetzt überlegt, in meiner Wahrnehmung
Sabine Nuss: ist die Linke derzeit die einzige Partei, die wirklich ein ausgesprochen soziales Profil hat.
Sabine Nuss: Und gut, die hatte jetzt auch relativ viel Erfolg bei der letzten Wahl.
Sabine Nuss: Aber wenn man jetzt sich die Zeit davor anguckt, konnte sie jetzt mit diesem
Sabine Nuss: sozialen Profil interessanterweise nicht bei den Leuten punkten,
Sabine Nuss: die aufgrund wirtschaftlicher Benachteiligung oder schlechten Folgen und so
Sabine Nuss: weiter dann eben dann doch eher die Rechte gewählt haben.
Sabine Nuss: Vorhin haben wir ja schon mal so einen Grund angedeutet, nämlich bei der Umverteilung
Sabine Nuss: haben halt viele auch Angst, dass sie jetzt noch was abgeben müssen von dem, was sie haben.
Sabine Nuss: Da müsste man sich jetzt wahrscheinlich auch noch genau die Einkommen stichten,
Sabine Nuss: die das wirklich betrifft, angucken.
Sabine Nuss: Aber was natürlich noch dazu kommt, ist, dass Neoliberalismus auch eine Ideologie
Sabine Nuss: ist, die jeden solidarischen Gedanken zunichte macht, in diesem starken Betonen
Sabine Nuss: von jeder muss für sich gucken.
Sabine Nuss: Es gibt allerdings schon sehr viel ältere Debatten und Erklärungen,
Sabine Nuss: die das ganz anders nochmal, als wir es bisher besprochen haben,
Sabine Nuss: versuchen zu erklären und diese Debatten reichen zurück vor die erste Amtszeit von Donald Trump.
Sabine Nuss: Und beispielhaft vielleicht mal nenne ich Sebastian Friedrich.
Sabine Nuss: Der ist Journalist, arbeitet unter anderem für den Norddeutschen Rundfunk und
Sabine Nuss: der hat in einem Buch jetzt jüngst gerade einen Text veröffentlicht,
Sabine Nuss: wo er schreibt, also das Buch heißt Rechts, wo die Mitte ist,
Sabine Nuss: die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus.
Sabine Nuss: Und da schreibt Sebastian Friedrich, dass das Jahr 2016 als das Jahr gilt,
Sabine Nuss: wo das Bürgertum, ich verkürze es jetzt mal, die Arbeiterinnenklasse wieder entdeckt hat.
Sabine Nuss: Der öffentliche Diskurs auch und das bürgerliche Filntor auch.
Sabine Nuss: Also die Arbeiterinnenklasse war plötzlich wieder im öffentlichen Interesse. Warum?
Sabine Nuss: Weil zu jener Zeit im März 2016 drei Landtagswahlen waren und Baden-Württemberg
Sabine Nuss: und Sachsen-Anhalt war dann die AfD jeweils die stärkste Partei unter den Arbeiterinnen
Sabine Nuss: und Arbeitslosen. So und da sind dann plötzlich alle aufgeschreckt.
Sabine Nuss: Dazu gab es außerdem natürlich dann auch diese Trump-Wahl 2016 ja schon,
Sabine Nuss: dann gab es das Brexit-Votum und dann ist auch in dieser Zeit ungefähr das Buch
Sabine Nuss: erschienen, die Rückkehr nach Rhin von Didier Eribon.
Sabine Nuss: Didier Erebon ist ein ganz bekannter französischer Soziologe,
Sabine Nuss: der durch ein, wie soll ich sagen, sehr stark biografisch geleitetes Buch,
Sabine Nuss: nämlich die Rückkehr nach Rhin, berühmt geworden ist.
Sabine Nuss: Erst in Frankreich mit etwas Zeitverzögerung, dann auch in Deutschland,
Sabine Nuss: wo er thematisiert, wie seine eigene Familie früher Kommunisten,
Sabine Nuss: dann später Front National gewählt haben.
Sabine Nuss: Und er zeichnet diesen Weg quasi anhand seiner eigenen Biografie nach.
Sabine Nuss: Und Eribon sieht eben die Verantwortung für diesen Wandel bei der französischen
Sabine Nuss: Linken, insbesondere bei der Sozialdemokratie und bei den Intellektuellen.
Sabine Nuss: Er sagt nämlich, dass die Linke den Klassenbegriff und die Interessen der Arbeiterschaft
Sabine Nuss: vernachlässigt hat. Und dadurch, dass sie quasi nicht mehr auf die Klasse geguckt
Sabine Nuss: hat, sondern auf andere, da komme ich jetzt gleich dazu, sind rechte Parteien
Sabine Nuss: in diese Lücke gesprungen.
Sabine Nuss: Und es gibt noch eine andere Person, die das ähnlich sagt, nämlich Nancy Fraser.
Sabine Nuss: Das ist eine US-amerikanische Philosophin.
Sabine Nuss: Eine feministische Theoretikerin. Da versteht man dann nochmal besser,
Sabine Nuss: was Didier Eribon eigentlich meint.
Sabine Nuss: Sie spricht von einem progressiven Neoliberalismus, der Schuld daran ist,
Sabine Nuss: dass die Rechten erstarken konnten.
Sabine Nuss: Und mit progressiver Neoliberalismus meint sie im Grunde genommen,
Sabine Nuss: dass die Linksliberalen kulturell progressiv auch Geländegewinne kriegen konnten.
Sabine Nuss: Also sagen wir mal so, es gab sowas in Deutschland wie zum Beispiel die Einführung
Sabine Nuss: der Lebenspartnerschaft.
Sabine Nuss: Also 2001 war das glaube ich, dass die unter der damaligen Regierung konnten,
Sabine Nuss: die dann homosexuelle, eine eheähnliche Partnerschaft eingehen,
Sabine Nuss: bestimmte Rechte kriegen, die sie vorher nicht hatten und so weiter.
Sabine Nuss: Gleichzeitig wurde aber der Spitzensteuersatz gesenkt. Also die Reichen wurden begünstigt.
Sabine Nuss: Also nur um das mal zu bebildern, was das bedeutet, der progressive Neoliberalismus.
Sabine Nuss: Du kannst es eigentlich zuspitzen auf.
Sabine Nuss: Okay, ihr dürft eure sexuelle Freiheit ausleben. Dafür müsst ihr mehr arbeiten,
Sabine Nuss: bekommt weniger Geld und müsst mit mehr sozialer Ungleichheit leben.
Eva Völpel: Sehr schön zusammengefasst.
Sabine Nuss: Das ist der progressive Neoliberalismus. Die Linksliberalen haben sich gefreut.
Sabine Nuss: Juru, wir sind jetzt gleichgestellt auf verschiedenen Bereichen.
Sabine Nuss: Aber über Klasse wurde nicht mehr nachgedacht.
Sabine Nuss: Es ist im Grunde die alte Debatte zwischen diesem Auseinanderspielen von Klasse
Sabine Nuss: versus Identität, die hier als Grund genannt wird, also in diesen alten Debatten,
Sabine Nuss: warum die Rechte und nicht die Linke gewählt wird. Was sagst du dazu, Eva?
Eva Völpel: Ja, ich finde das einen total wichtigen Punkt und Blick da drauf.
Eva Völpel: Und ich habe nur immer so ein bisschen meine Probleme damit,
Eva Völpel: wenn das dann so arg verengt interpretiert wird. Oder so Geisterdebatten irgendwie
Eva Völpel: um diesen Widerspruch geführt werden.
Eva Völpel: Also dass man dann irgendwie auf so Pappkameraden eintrischt,
Eva Völpel: die eigentlich überhaupt nicht existieren innerhalb der Linken.
Eva Völpel: Also irgendwie dann Vorwürfe aufmacht, da habt ihr die Klasse verraten,
Eva Völpel: wo ich sagen würde, nee, ihr versteht jetzt gerade nicht, was Klasse verraten
Eva Völpel: dann bedeutet. Weil das ist nicht das Ausspielen gegen die Identitätspolitik.
Eva Völpel: Aber das ist so ein bisschen jetzt am Rande.
Eva Völpel: Ich finde dieses analytische Gerüst, was Fraser da bietet, das finde ich total überzeugend.
Sabine Nuss: Finde ich auch. Ich denke noch das Gleiche wie du. Ich finde,
Sabine Nuss: das war ja damals auch, was Wagenknechten der Partei Die Linke damals vorgeworfen
Sabine Nuss: hat, dass sie genau das machen würde.
Sabine Nuss: Und ich finde, Wagenknecht hatte die falsche Zielgruppe, weil für eine bestimmte
Sabine Nuss: Zielgruppe stimmt das schon.
Sabine Nuss: Die würde ich dann eher in so ein grünes Milieu packen, die so ein bisschen
Sabine Nuss: progressiv tatsächlich sind, aber auch die Klasse nicht mehr so richtig auf dem Schirm haben.
Sabine Nuss: Also grünes Milieu meine ich jetzt gar nicht mit parteiförmig,
Sabine Nuss: sondern eher tatsächlich Milieu, gutbürgerlich und so weiter.
Sabine Nuss: Das stimmt, aber es ist, glaube ich, schwierig zu sagen, genau das ist jetzt der Grund.
Sabine Nuss: Wahrscheinlich ist es aber schon ein Einflussfaktor gewesen fürs Erstarken der
Sabine Nuss: Rechten, das würde ich schon auch denken.
Eva Völpel: Ja, auf jeden Fall. Also ich finde diese Frage von der ArbeiterInnenklasse,
Eva Völpel: die ja auch natürlich gedacht werden muss als eine, keine monolithische ArbeiterInnenklasse,
Eva Völpel: die auch immer diverser, migrantischer, weiblich geprägter geworden ist über
Eva Völpel: die Jahre und Jahrzehnte,
Eva Völpel: dass der sozusagen die politische Repräsentation flöten geht,
Eva Völpel: beziehungsweise sie ihre ehemals verbündeten Partei, jetzt mal platt gesagt,
Eva Völpel: als Gegner dann vor sich stehen hat, weil die die krassesten Sozialkürzungen
Eva Völpel: Hallo Rot-Grün durchsetzen.
Eva Völpel: Das ist natürlich ein total wichtiger Grund.
Sabine Nuss: Absolut, genau.
Eva Völpel: Ja, Sabine, vielen Dank. Diese ganzen Studien, um jetzt mal eine Bilanz zu ziehen,
Eva Völpel: die verweisen ja auf einen sehr klaren Zusammenhang, was sozialökonomische Gründe
Eva Völpel: und einen Rechtsruck angeht.
Eva Völpel: Und vor diesem Hintergrund finde ich es auch nochmal allzu verständlich,
Eva Völpel: dass die Forderung nach einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik laut wird
Eva Völpel: oder wie das Lia Becker in einem neuen Text genannt hat bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung,
Eva Völpel: Forderung nach einem sozialen Antifaschismus.
Eva Völpel: Also an dieser Stelle auch nochmal eine ganz herzliche Leseempfehlung auf die
Eva Völpel: neue Ausgabe der Zeitschrift Luxemburg mit dem Titel Gegen die Zerstörung der Zukunft.
Eva Völpel: Da findet man den Text drin und viele weitere interessante Texte,
Eva Völpel: aber auch nochmal eine Leseempfehlung für das Dossier Kampf gegen Rechts der
Eva Völpel: Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Eva Völpel: Da ist ein kleiner Werbeblock einschub. Genau. Also ich finde es total einleuchtend.
Eva Völpel: Und ich glaube, das geht vielen Leuten so.
Eva Völpel: Sozialer Antifaschismus, darüber müssen wir eigentlich jetzt sprechen.
Eva Völpel: Oder eben über antifaschistische Wirtschaftspolitik, oder?
Sabine Nuss: Genau, das ist zumindest mal der Auslöser gewesen, auch für diesen Diskurs.
Sabine Nuss: Und eine dann daraufhin vielleicht auch recht plausible Reaktion.
Sabine Nuss: Ich möchte aber jetzt noch mal ganz kurz, bevor wir so ganz langsam zum Ende
Sabine Nuss: der ersten Folge, auf das Ende der ersten Folge zusteuern, noch mal sagen,
Sabine Nuss: Es gab ja verschiedene Kritiken auch in diesem Text von Stefan Kaufmann an diesen
Sabine Nuss: ganzen verschiedenen Studien und zwar gar nicht unbedingt an den Ergebnissen,
Sabine Nuss: sondern an der Art der Fragestellung.
Sabine Nuss: Und auf ein paar gehen wir in der nächsten Folge ein. Einen möchte ich gerne
Sabine Nuss: jetzt schon hervorheben.
Sabine Nuss: Da richtet sich die Kritik daran, dass die Forschenden davon ausgehen,
Sabine Nuss: indem sie formulieren, die Regierung hat es verpasst, die Verlierer des Strukturwandels zu schützen.
Sabine Nuss: Die Regierung hat sich nicht gekümmert um die, die da halt jetzt verlieren durch die Sparmaßnahmen.
Sabine Nuss: Es heißt irgendwie, dadurch nimmt das Vertrauen in die Regierung ab.
Sabine Nuss: So sind da die Formulierungen.
Eva Völpel: Dahinter steht so die Idee, wir müssen uns nur besser erklären.
Sabine Nuss: Genau, genau, genau. Es kommt zu einem Gefühl der Trennung von den etablierten politischen Parteien.
Sabine Nuss: Also das hat zum einen, das ist jetzt eher mein Punkt, was sehr paternalistisches.
Sabine Nuss: Ja, also wir müssen die armen Verlierer schützen, wo ich manchmal denke,
Sabine Nuss: der gedenkt doch mal über das nach, was ihr macht, warum es Verlierer gibt.
Sabine Nuss: Und das zweite ist, und das ist eben das Kaufmann-Argument, es ist halt latent parteiisch.
Sabine Nuss: Es wird eben, wie du sagst, die Notwendigkeit des Strukturwandels gar nicht
Sabine Nuss: hinterfragt, sondern es wird nur gesagt, halt schlecht erklärt worden und auch
Sabine Nuss: schlecht aufgefangen worden.
Sabine Nuss: Okay, das muss man auch sagen. Also auf jeden Fall darf man nicht vergessen,
Sabine Nuss: das sind wirklich ganz gezielte Verschlechterungen der Lage der Menschen,
Sabine Nuss: die von den jeweiligen Regierungen durchgeführt werden. Punkt.
Sabine Nuss: Das fand ich einen guten Punkt und das war aber, wie ich schon gesagt habe, nicht die ganze Kritik.
Sabine Nuss: Es gibt noch mehr kritischen Blick auf diesen beobachteten Zusammenhang und
Sabine Nuss: da möchte ich vielleicht ganz kurz was jetzt schon so ein bisschen als Cliffhanger
Sabine Nuss: für die nächste Folge sagen.
Sabine Nuss: Man muss natürlich berücksichtigen, dass es immer einen Unterschied gibt zwischen
Sabine Nuss: Korrelation und Kausalität.
Sabine Nuss: Also Korrelation, genau, das versuche ich gerade, Korrelation ist,
Sabine Nuss: ich beobachte zum Beispiel,
Sabine Nuss: dass Leute irgendwo in irgendeinem Garten, es scheint die Sonne,
Sabine Nuss: den Tisch decken und einem Baum, der um die Ecke steht, nistet irgendwie,
Sabine Nuss: keine Ahnung, ein Vogel und der kommt angeflogen.
Sabine Nuss: Kommt der Vogel jetzt angeflogen, weil die Leute den Tisch gedeckt haben?
Sabine Nuss: Also es ist quasi, es wird etwas beobachtet, was zeitgleich oder nacheinander
Sabine Nuss: in diesem Fall jetzt bei den Studien stattfindet.
Sabine Nuss: Und eigentlich müsste man sagen, dass es jetzt noch keine Kausalität ist.
Sabine Nuss: Es ist noch nicht gesagt, dass die Leute wirklich die AfD wählen,
Sabine Nuss: weil in ihrem Ort kein Bus mehr fährt.
Sabine Nuss: Es ist aber sehr naheliegend, dass das der Fall ist. Also man muss also tatsächlich
Sabine Nuss: auch nochmal ein paar Schritte tiefer gehen, um dem Futter zu geben,
Sabine Nuss: dem was man da beobachtet hat.
Sabine Nuss: Also die Kausalität, warum tun sie es denn und nicht, dass es zu beobachten ist, dass sie es tun.
Sabine Nuss: Und das wird eben Thema der nächsten Folge werden, dass wir das versuchen zu unterfüttern.
Sabine Nuss: Und wir haben ja schon ein paar Erklärungen jetzt in dieser Folge gehabt,
Sabine Nuss: hast du ja auch gesagt, aber die Sozialdemokratie,
Sabine Nuss: wie wir das eben besprochen haben, da ihre Vertretung der Arbeiterklasse sträflich
Sabine Nuss: vernachlässigt hat, bis hin zu aufgegeben hat und so weiter und so fort.
Sabine Nuss: Aber es geht eben auch noch sehr viel weiter.
Sabine Nuss: Es muss nämlich auch berücksichtigt werden, auf was für ein vorhandenes,
Sabine Nuss: tiefer verankertes Denkmuster, auf welche Prägung des Alltagsverständnisses
Sabine Nuss: im Neoliberalismus stößt diese Sparpolitik.
Sabine Nuss: Das erklärt dann nochmal viel, viel mehr.
Sabine Nuss: Aber das ist dann nächste Folge dran. Da muss ich dich also noch etwas vertrösten
Sabine Nuss: mit den Antworten zu dieser Frage, die du gestellt hast mit dem sozialdarwinistischen
Sabine Nuss: geprägten Menschenbild und so weiter und so fort.
Eva Völpel: Ja, vielen Dank. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf die Fortsetzung.
Eva Völpel: Und damit sind wir für die heutige Folge am Ende. Wir hoffen,
Eva Völpel: es hat euch Spaß gemacht.
Eva Völpel: Anregungen und Kritik könnt ihr uns wie immer schicken an armutszeugnis-at-rosalux.org.
Eva Völpel: Und damit sage ich schon mal Tschüss, bis zum nächsten Mal.
Sabine Nuss: Tschüss, auf Wiederhören.
Neuer Kommentar