#17: Wachstumswahn: Im Bann des BIP

Shownotes

Alle drei Monate blicken Politik und Wirtschaft gebannt auf das Bruttoinlandsprodukt – das BIP. Diese Zahl ist das Maß aller Dinge, Indikator für wirtschaftliche Leistung, Wohlstand, Fortschritt und Glück. Steigt das BIP, wird gejubelt: Die Wirtschaft wächst! Sinkt es, droht der Untergang. Das BIP scheint Teil eines religiösen Glaubenssystems, das Wachstum der Fetisch auf dem Altar. Doch am Wachstum scheiden sich die Geister. Für die einen ist es Garant für Wohlstand, für die anderen Grund für Umweltzerstörung. Aber was überhaupt ist Wachstum? Was genau wächst, wenn das BIP steigt? Wie wird Wirtschaftsleistung gemessen, was wird dazu gezählt, was nicht, wieso ist genau das das Problem und wie konnte das BIP zur «mächtigsten Zahl der Menschheitsgeschichte» (Philipp Lepenies) werden?

Schreibt uns an: armutszeugnis@rosalux.org

Shownotes

Gechert, Sebastian/Heimberger, Philipp: Do corporate tax cuts boost economic growth? IMK Working Paper Nr. 210, Düsseldorf, 2021

Kaufmann, Stephan: Angetreten zum Dienst am Wachstum. Worum es der Politik in der Debatte um längere Arbeitszeiten tatsächlich geht, 30.05.2025

Lepenies, Philipp: Die Macht der einen Zahl. Eine politische Geschichte des Bruttoinlandsprodukts. 2. Auflage, Originalausgabe. edition suhrkamp 2673. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2023.

Schlaudt, Oliver: Die politischen Zahlen. Über Quantifizierung im Neoliberalismus. Originalausgabe. Klostermann Rote Reihe 102. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann GmbH, 2018.

Schüle, Christian: Obsession oder Notwendigkeit: Was ist Wachstum? Kulturleben, Bayern 2., 10.04.2018.

Theine, Hendrik, Verita, Carlotta und Gartiser, Moritz: Über Reichtum berichten. Der "Gute Rat für Rückverteilung" in den Medien, Erscheinungsdatum 15.05.2025, OBS-Arbeitspapier 79

Alle Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung: www.rosalux.de/podcasts

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Transkript anzeigen

Eva Völpel: Hallo alle zusammen und herzlich willkommen zu unserer Folge Nummer 17 von Armutszeugnis,

Eva Völpel: dem Wirtschaftspodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hallo Sabine.

Sabine Nuss: Hallo Eva.

Eva Völpel: Wir wollen heute endlich mal, wir haben es ja jede Folge angekündigt,

Eva Völpel: so quasi als Running Gag, über das Thema Wachstum sprechen.

Sabine Nuss: Yeah!

Eva Völpel: Yeah! Und zwar über einen bestimmten Aspekt dieses Themas Wachstum.

Eva Völpel: Wir werden also heute noch nicht auf die ganze Debatte um Degrowth oder Postwachstum schauen.

Eva Völpel: Sondern wir wollen erstmal uns angucken, wie wird Wachstum überhaupt gemessen

Eva Völpel: und was ist daran so problematisch beziehungsweise was ist an dieser Auffassung

Eva Völpel: problematisch, dass alle immer davon reden, wir brauchen Wachstum,

Eva Völpel: wir brauchen Arbeitsplätze, wir brauchen deswegen des Wohlstandes und so weiter.

Eva Völpel: Auch manche linke Ökonominnen sind ja dieser Meinung beziehungsweise sagen auch

Eva Völpel: sehr oft, jetzt muss das Wachstum wieder angekurbelt werden.

Eva Völpel: Und da wollen wir jetzt erstmal ein bisschen genauer auf das BIP,

Eva Völpel: also das Bruttoinlandsprodukt, schauen, das ja das Wachstum misst.

Eva Völpel: Und Sabine, du hast uns einiges dazu mitgebracht. Ich bin sehr gespannt,

Eva Völpel: denn du vertrittst dabei auch eine These.

Eva Völpel: Und die lautet, das BIP, also das Bruttoinlandsprodukt, das ist sowas wie die Religion der Moderne.

Eva Völpel: Also lege bitte los. Ich bin gespannt, was ich heute über die Religion der Moderne lernen kann.

Sabine Nuss: Das ist natürlich eine zugespitzte These, die ich allerdings nicht allein vertrete.

Sabine Nuss: Es gibt durchaus die einen oder anderen,

Sabine Nuss: insbesondere aus der Wirtschaftsphilosophie, die das auch so sehen.

Sabine Nuss: Und zur Illustration und zur Einstimmung in diese Folge habe ich euch einen

Sabine Nuss: kleinen Trailer mitgebracht. Der stammt von einer Sendung, die sich auch,

Sabine Nuss: also aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die sich auch beschäftigt mit dem BIP.

Sabine Nuss: Da spricht ein Philosoph über das religiöse Glaubenssystem des BIP.

Sabine Nuss: Und der Trailer ist ein ganz netter Einstieg und auch eine nette Einstimmung

Sabine Nuss: in diese Folge. Und das spiele ich euch jetzt mal kurz vor.

Einspieler: Die Bundesregierung jedenfalls geht davon aus, dass sich ein Haushalt ohne neue

Einspieler: Schulden, die berühmte schwarze Null, mit den jetzt prognostizierten Wachstumszahlen von 1,2 Prozent.

Einspieler: Davon 1,9 Prozent geht die Bundesregierung

Einspieler: nun von 2,4 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr aus.

Einspieler: Wir prognostizieren Wachstumsraten von 2,0 Prozent für dieses Jahr und 2,2 für

Einspieler: das kommende. Von 1,5 Prozent Wachstum in diesem und im kommenden Jahr spricht das IFO-Institut.

Einspieler: Nun, haben sich die Forscher also wieder mal geirrt? Ja, das sind Schwankungen,

Einspieler: die wir immer mal wieder bekommen.

Einspieler: Wichtigste Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum ist Vertrauen.

Einspieler: 1,5 oder 1,8? Spüren Sie es?

Einspieler: Spüren Sie die Spannung, die Nervosität, die Verheißung, die in der deutschen Luft liegt?

Einspieler: Welche Zahl hinterm Komma wird es werden? Wird es die 5? Die 8? Gar die 9?

Einspieler: Spüren Sie diese existenzielle Aura der Erwartung, um wie viel Prozent höher

Einspieler: das Wirtschaftswachstum dieses Jahr im Vergleich zum Vergangenen liegen wird?

Einspieler: Fühlen Sie die Erlösung einer 1,8, mit der wir uns, aller Sorgen und Ängste

Einspieler: entledigt, zurücklehnen, durchatmen, die Welt bejahen können?

Einspieler: Oder geht mit einer 1,3 quasi alles zu Ende?

Einspieler: Das Land, der soziale Friede, Wohlstand, Gottvertrauen und die Zukunft?

Eva Völpel: Ja, das fand ich jetzt wirklich eine sehr schöne Einstimmung auf unserem Thema.

Eva Völpel: Und die Religiosität tritt deutlich hervor oder dieses, ja, fast schon wie so,

Eva Völpel: wir umtanzen das goldene Kalten.

Sabine Nuss: Genau, das sphärische, das sphärische Umtanzen. Ja, das Stück ist übrigens von

Sabine Nuss: dem Philosophen Christian Schüle und wir packen den Link dahin auch in die Shownotes natürlich.

Eva Völpel: Aber Sabine, wenn wir jetzt mal ganz sozusagen basic anfangen,

Eva Völpel: ja, also was genau ist das BIP bzw. was misst es?

Sabine Nuss: Genau, das BIP ist eigentlich sehr schnell erklärt, obgleich sich dahinter eine

Sabine Nuss: ziemlich krasse Komplexität verbirgt.

Sabine Nuss: Also das BIP ist der Wert aller hergestellten Waren und Dienstleistungen in

Sabine Nuss: einer bestimmten Zeitperiode.

Sabine Nuss: Also, um es nochmal mit einfachen Worten zu sagen, alles, was die Menschen in

Sabine Nuss: Deutschland in einem Jahr oder in drei Monaten, das sind die zwei Zeiträume,

Sabine Nuss: die hier gemessen werden,

Sabine Nuss: produziert haben oder über eine Dienstleistung hergestellt haben,

Sabine Nuss: dessen Wert in einer einzigen Zahl gepackt, ist das BIP.

Sabine Nuss: Also sagen wir mal so, wenn wir jetzt eine Volkswirtschaft wären,

Sabine Nuss: die nur ein Fahrrad produziert und sonst gar nichts und dieses Fahrrad kostet

Sabine Nuss: 10 Euro, dann war das BIP 10 Euro.

Sabine Nuss: Um mal die Größenordnung aufzuzeigen, das BIP im ersten Quartal 2025 war zum

Sabine Nuss: Beispiel 1.086 Milliarden Euro.

Sabine Nuss: Das heißt, die Deutschen haben in den ersten drei Monaten diesen Jahres Dinge

Sabine Nuss: hergestellt, eine Dienstleistung erbracht, insgesamt im Wert von 1.086 Milliarden Euro.

Sabine Nuss: So, das ist schon mal jetzt ganz einfach erstmal nur das BIP.

Sabine Nuss: Und wie das jetzt mit dem Wachstum zusammenhängt, das ist auch relativ einfach.

Sabine Nuss: Je nachdem, wie sich das entwickelt, ob wir mehr oder weniger Wert produziert

Sabine Nuss: und hergestellt und angeboten haben, ist das dann der Ausdruck des Wachstums.

Sabine Nuss: Also die Veränderung des BIPs gibt die Wachstumsrate an, ob eine Wirtschaft

Sabine Nuss: gewachsen ist oder eben geschrumpft ist. Und dahinter liegen,

Sabine Nuss: hinter diesem Bib liegen unglaublich viele komplizierte Berechnungen.

Sabine Nuss: Also zum einen wird natürlich, wenn ich jetzt beim Beispiel Fahrrad bleibe,

Sabine Nuss: die Fahrradlampe, nehme ich jetzt mal an, wurde nicht produziert vom Fahrradhersteller,

Sabine Nuss: die wurde eingekauft und wenn der jetzt quasi die Kosten des Fahrrads angibt

Sabine Nuss: oder den Preis des Fahrrads,

Sabine Nuss: dann wäre die Lampe doppelt gezählt, weil der Lampenhersteller gibt ja auch die Lampe an.

Sabine Nuss: Deshalb wird quasi die Vorprodukte werden rausgerechnet.

Eva Völpel: Alles klar. Und dann heißt es ja immer auch so schön, diese veröffentlichten

Eva Völpel: Veränderungsraten, also die Wachstumsraten, die sind Preis-,

Eva Völpel: Saison- und Kalenderbereinigt. Was steckt denn dahinter?

Sabine Nuss: Ja, das ist eben auch der Versuch, eine möglichst einheitliche Vergleichsbasis herzustellen.

Sabine Nuss: Also jeder Monat hat ja nicht die gleiche Anzahl von Tagen. Der eine hat 29

Sabine Nuss: Tage, der Februar manchmal.

Sabine Nuss: Der andere hat 31 Tage, da wird es eben so gerechnet, dass jeder Monat im Schnitt

Sabine Nuss: dann die gleichen Tage hat.

Sabine Nuss: Oder bei der Saisonbereinigung, da geht es darum, dass zum Beispiel im Winter

Sabine Nuss: weniger gebaut wird, wetterbedingt.

Sabine Nuss: Das heißt, da wird dann auch kompensiert und ausgeglichen, dass wir also auf

Sabine Nuss: eine gleiche Vergleichsbasis kommen.

Sabine Nuss: Und natürlich auch bei der Inflation, wenn irgendwas einfach wegen der Inflation

Sabine Nuss: sehr viel teurer wird, wird es auch rausgerechnet.

Eva Völpel: Mhm. Und du hast jetzt gesprochen von der Wirtschaftsleistung,

Eva Völpel: die damit gemessen wird und wir hatten das ja in einer der letzten Folgen auch

Eva Völpel: schon mal angesprochen, dass hier aber nicht alles einfließt in diese Berechnung.

Eva Völpel: Also was gilt zum Beispiel nicht als Wirtschaftsleistung?

Eva Völpel: Das sind ja auch relativ viele Sachen, zum Beispiel Care-Arbeit,

Eva Völpel: unbezahlte Care-Arbeit oder auch, dass Naturressourcen vernutzt werden und vielleicht

Eva Völpel: auch überhaupt nicht mehr ersetzt werden können.

Eva Völpel: Oder zum Beispiel auch so Dinge wie, wir haben eine Naturkatastrophe,

Eva Völpel: vielleicht klimawandelbedingt und alles muss nach einer Überflutung wieder neu aufgebaut werden.

Eva Völpel: Das erscheint dann quasi auch als so eine positive Zahl, weil durch diese Bautätigkeiten

Eva Völpel: wird das Wachstum angekurbelt.

Eva Völpel: Aber eigentlich muss man zwangsläufig erstmal wieder so ein Status quo herstellen,

Eva Völpel: weil wir Menschen mit dazu beigetragen haben, das erstmal vorher zu zerstören.

Eva Völpel: Das ist ein bisschen absurd, oder?

Sabine Nuss: Genau, du steigst gleich ein mit dem Kernproblem des Ganzen und das wird auch kritisiert.

Sabine Nuss: Also es ist tatsächlich so, dass das Bild eine reine Quantität darstellt.

Sabine Nuss: Also da drin ist nicht aufgehoben, was du jetzt gerade gesagt hast,

Sabine Nuss: sowas wie unbezahlte Hausarbeit oder Naturressourcen, die unbezahlt ein,

Sabine Nuss: also vernutzt werden und so weiter und so fort.

Sabine Nuss: Und es ist eigentlich dadurch auch unsichtbar gemacht.

Sabine Nuss: Also was als Wirtschaftsleistung gilt und was da alles nicht einfließt,

Sabine Nuss: das ist natürlich eine gesellschaftliche Setzung.

Sabine Nuss: Und damit wird relativ viel, was ich jetzt als schon in die Wirtschaftsleistung

Sabine Nuss: einberechnen würde, unsichtbar.

Eva Völpel: Ja, das ist das eine. Und das andere, was ich auch problematisch finde,

Eva Völpel: ist, dass sich zum Beispiel ja überhaupt nicht ausdrückt im BIP,

Eva Völpel: an wen fließt letztendlich dieser Wohlstand?

Eva Völpel: Wer profitiert davon am meisten in der Gesellschaft?

Sabine Nuss: Ja, das ist der nächste Punkt.

Sabine Nuss: Gilt ja als Wohlstandsindikator. Also das BIP, wenn es wächst und wenn es hoch ist, auch im Vergleich,

Sabine Nuss: dann ist damit auch verbunden, dass in diesem Land mit einem hohen BIP oder

Sabine Nuss: mit einem hohen BIP-Wachstum Wohlstand, Fortschritt, Glück und so weiter vorhanden ist.

Sabine Nuss: Aber das BIP sagt eben überhaupt nichts darüber aus, wie der Reichtum,

Sabine Nuss: andere Begriffe für Wohlstand, verteilt ist, wird da drin nicht abgebildet.

Sabine Nuss: Das Einzige, was hier irgendwie gilt, Hauptsache die Wirtschaft wächst.

Sabine Nuss: Dann, so die Annahme, verteilt sich das irgendwie, das hat man schon auch oft,

Sabine Nuss: diesen Trickle-Down-Effekt, verteilt sich das irgendwie nach unten.

Sabine Nuss: Es gibt aber noch ein anderes Problem, was eben an dieser Quantität des BIPs liegt.

Sabine Nuss: Es wird auch überhaupt nicht abgebildet, das kam jetzt bei dir auch schon raus,

Sabine Nuss: wie umweltschädlich die Art und Weise, wie das Wachstum zustande kam ist.

Sabine Nuss: Und ganz genauso wird im BIP nicht abgebildet, wie die Arbeitsbedingungen sind.

Sabine Nuss: Also ob die Leute gute Arbeitsbedingungen haben, ob sie schlechte haben,

Sabine Nuss: all das spielt im BIP überhaupt keine Rolle.

Sabine Nuss: Das BIP ist eine nackte Zahl, wo es eigentlich nur darum geht,

Sabine Nuss: viel ist gut, wenig ist schlecht.

Eva Völpel: Jetzt gibt es ja an dieser ganzen Auffassung auch schon seit vielen Jahren Kritik.

Eva Völpel: Also ich glaube, das hat in den 60er Jahren angefangen, dass öffentlich hinterfragt

Eva Völpel: wurde, ob das BIP tatsächlich genau das misst, was das Leben eigentlich lebenswert macht.

Eva Völpel: Und ich glaube, so seit den 70er Jahren werden auch ganz konkrete Alternativen dazu diskutiert.

Eva Völpel: Also dass man andere Maßstäbe noch zum BIP zumindest dazunehmen müsste,

Eva Völpel: wenn man es nicht ganz ersetzen will, um soziale, ökologische oder verteilungspolitische

Eva Völpel: Aspekte besser abzubilden.

Eva Völpel: Und ein Schlagwort ist da zum Beispiel, sind die Beyond-GDP-Initiativen.

Eva Völpel: Also GDP ist dann der englische Ausdruck für das BIP. Aber ich frage mich immer,

Eva Völpel: also es gibt immer so eine Welle, habe ich das Gefühl, dass das mal wieder mehr

Eva Völpel: Thema wird, die Kritik am BIP.

Eva Völpel: Und dann werden auch diese alternativen Messungsgrundlagen so aufgeführt.

Eva Völpel: Aber man hat nicht das Gefühl, dass sich das letztlich durchsetzt, oder?

Sabine Nuss: Genau, so ist es. Das fand ich in der Vorrecherche auch nochmal sehr beeindruckend.

Sabine Nuss: Die Kritik am BIP ist ungefähr ziemlich so alt, wie es das BIP überhaupt gibt.

Sabine Nuss: Da komme ich später nochmal drauf zu sprechen, auf die Geschichte.

Sabine Nuss: Aber nochmal ganz kurz zurück, bevor ich nochmal auf diese Kritik näher eingehe,

Sabine Nuss: wegen dieses religiösen Charakters.

Sabine Nuss: Also es ist tatsächlich so, dass dieser Mythos, der mit dem BIP verbunden wird,

Sabine Nuss: es ist positiv, es steht für Wohlstand, es steht irgendwie dafür,

Sabine Nuss: dass es per se gut ist und alle akzeptieren diese Zahl als Gradmesser der Wirtschaft.

Sabine Nuss: Alle. Es ist unwidersprochen, sagen alle, oh, die Wirtschaft ist gewachsen,

Sabine Nuss: man sieht es am BIP. Das ist so ein bisschen, wie wir akzeptieren,

Sabine Nuss: dass Grad Celsius für das Messen von Wetter akzeptiert ist.

Sabine Nuss: Also das ist so ein bisschen auch dieser Fetisch, dieses Unhinterfragte,

Sabine Nuss: dieses Naturalisierte, was so ein bisschen den Charakter eben hat.

Sabine Nuss: Also habe ich mit Fetisch schon gesagt, mit diesem religiösen.

Sabine Nuss: Und auch, dass es eben mit diesen Mythen aufgeladen ist und wie ich es gerade schon gesagt habe.

Sabine Nuss: Und die Kritik, ich möchte nochmal gerne auch ein Zitat bringen von jemandem,

Sabine Nuss: der ein sehr wichtiger Denker in der ganzen Ökonominnenriege ist,

Sabine Nuss: nämlich Josef Schumpeter.

Sabine Nuss: Das ist ein österreichischer Ökonom, der gilt als einer der herausragendsten

Sabine Nuss: ökonomischen Denker des 20.

Sabine Nuss: Jahrhunderts, wird auch immer gerne zitiert.

Sabine Nuss: Und für ihn war das Bruttosozialprodukt, so hieß das früher,

Sabine Nuss: das war früher die Messgröße, Bruttosozialprodukt, davon sprechen wir heute nicht mehr.

Sabine Nuss: Also seit 1997, nur ganz kurz, kleiner Exkurs, wurde das Bruttosozialprodukt

Sabine Nuss: abgelöst und jetzt redet man nur noch vom Bruttoinlandsprodukt.

Sabine Nuss: Das ist eine andere Bemessungsgrundlage, ist jetzt nicht so wichtig.

Sabine Nuss: Aber Schumpeter hat wortwörtlich gesagt zum Bruttosozialprodukt,

Sabine Nuss: es ist ein Produkt der Einbildung.

Sabine Nuss: Und ich zitiere, wir stehen einem bedeutungslosen Haufen gegenüber.

Sabine Nuss: Also die Kritik geht so weit, dass überhaupt angezweifelt wird,

Sabine Nuss: was das BIP überhaupt tatsächlich realiter messen kann.

Sabine Nuss: Und ich möchte dabei auch in diesem Kontext hinweisen auf einen Autor,

Sabine Nuss: einen anderen Autor, das ist ein Wirtschaftsphilosoph, der heißt Oliver Schlaut,

Sabine Nuss: der übrigens, wie ich finde, hervorragende Texte und Bücher geschrieben hat

Sabine Nuss: zu genau dieser Frage Quantifizierung,

Sabine Nuss: insbesondere Quantifizierung im Neoliberalismus.

Sabine Nuss: Der hat ein Buch geschrieben, das hat den Titel Die politischen Zahlen über

Sabine Nuss: Quantifizierung im Neoliberalismus.

Sabine Nuss: Und natürlich musste der sich darin natürlich auch dann mit dem BIP beschäftigen.

Sabine Nuss: Da möchte ich auch mal was zitieren, was mir sehr gut gefallen hat und was das

Sabine Nuss: sehr schön illustriert.

Sabine Nuss: Also er schreit, das Bruttoinlandsprodukt befindet sich heute in der paradoxen

Sabine Nuss: Situation des steckbrieflich gesuchten Mafiabosses,

Sabine Nuss: der sich auf der Straße nicht mehr blicken lassen kann, aber aus dem schäbigen

Sabine Nuss: Hinterzimmer noch immer die Geschicke bestimmt.

Sabine Nuss: Also, das BIP ist der Mafia-Boss, den eigentlich keiner, der sich nirgendwo

Sabine Nuss: mehr blicken kann, der aber immer noch die Fäden zieht.

Sabine Nuss: Und das ist, finde ich, eine ganz nette Beschreibung des BIPs.

Sabine Nuss: Obwohl diese Zahl wirklich so diskreditiert ist in den Wissenschaften,

Sabine Nuss: ist sie immer noch die Zahl mit dieser großen, großen Macht.

Sabine Nuss: Also es gibt auch ein Buch, da komme ich nachher drauf zu sprechen,

Sabine Nuss: das heißt Die Macht der einen Zahl.

Sabine Nuss: Und Oliver Schlaut spricht davon, dass es eben auch eine Technologie des Regierens ist.

Eva Völpel: Ja, das finde ich sieht man in unseren Zeiten ja wieder ganz besonders deutlich,

Eva Völpel: weil ich meine, das BIP verzweifelt gesucht, könnte man da auch als Filmtitel drüber schreiben.

Eva Völpel: Das ist gerade in unseren Tagen und Monaten, wo wir, das haben wir auch schon

Eva Völpel: oft erwähnt, schon eine längere Strecke in der Wirtschaftsschwäche oder Wirtschaftsflaute stecken.

Eva Völpel: Und ich meine, man sieht ja allen Teilen, wie das genutzt wird als eine Begründung,

Eva Völpel: die Wirtschaft muss wieder wachsen.

Eva Völpel: Und dann wird das von Friedrich Merz, dem Bundeskanzler, so interpretiert, dass dann wir alle,

Eva Völpel: das sind natürlich nicht immer wir alle gemeint, aber wir müssen den Gürtel

Eva Völpel: enger schneiden und müssen mehr arbeiten, länger arbeiten, was die Zeiten angeht,

Eva Völpel: im Arbeitsalltag, aber auch über das Lebensalter hinaus.

Eva Völpel: Und es gibt ja auch diese ganze Debatte über die Leute sind zu faul,

Eva Völpel: hier wird zu wenig getan und die liegen alle in der Hängematte rum und da merkt

Eva Völpel: man natürlich, dass sozusagen das BIP irgendwie auch als so eine Peitsche funktioniert.

Eva Völpel: Ja, das BIP muss hoch und deswegen müssen jetzt alle sich mehr irgendwie sozusagen in die Riemen legen.

Sabine Nuss: Genau, das erinnert mich auch an eine Doppelfolge, die wir gemacht haben,

Sabine Nuss: mal zum Thema internationale Wettbewerbsfähigkeit. Da haben wir ja auch besprochen,

Sabine Nuss: dass das eigentlich erst in jüngster Zeit auch so ein Schlagwort geworden ist.

Sabine Nuss: Wir müssen international wettbewerbsfähig werden.

Sabine Nuss: Dafür müssen wir mehr arbeiten. Dafür müssen wir den Gürtel enger schneiden

Sabine Nuss: und so weiter. Das ist ja ein ganz verwandter Diskurs.

Sabine Nuss: Aber das BIP spielt genau da die wesentliche Rolle. Das wird eben am BIP gemessen,

Sabine Nuss: wie wettbewerbsfähig ist. Also die Nationalstaaten messen sich anhand des BIPs.

Sabine Nuss: Also vor allen Dingen, es gibt natürlich noch andere Messzahlen.

Sabine Nuss: Aber die Macht der einen Zahl, das ist ein Buchtitel von Lepenis,

Sabine Nuss: auch ein Prof, sage ich nachher was dazu, die Macht der einen Zahl,

Sabine Nuss: also die Macht des BIPs kann man an sehr vielen verschiedenen Sachen aufzeigen.

Sabine Nuss: Also so eine Entwicklung des BIPs, der BIP-Rate kann auch gerne mal zu Kursverlusten

Sabine Nuss: an den Börsen führen oder es kann die Kreditwürdigkeit eines Landes herabgestuft

Sabine Nuss: werden von den Ratingagenturen.

Sabine Nuss: Oder der IWF kann irgendeinem Land sagen, dein BIP ist so niedrig,

Sabine Nuss: führ mal Sparmaßnahmen ein, mach mal Sozialkürzungen und so weiter. Also das BIP.

Sabine Nuss: BIP legitimiert sehr viele Maßnahmen, die teilweise drastische Folgen haben

Sabine Nuss: für die Bevölkerung in den jeweiligen Ländern.

Eva Völpel: Ja, es begegnet uns eigentlich ständig, auch in diesen Tagen.

Eva Völpel: Also jetzt hören wir ja ständig wieder, wie hoch müssen wir die Militärausgaben

Eva Völpel: schrauben. Auch das wird ja am BIP gemessen.

Eva Völpel: Von 5 Prozent des BIP an Militärausgaben, die angeblich nötig sind,

Eva Völpel: ist ja jetzt schon mittlerweile die Rede.

Eva Völpel: Oder eben, du hast es ja auch schon erwähnt, wie viel Verschuldung hat ein Staat?

Eva Völpel: Auch das wird am BIP gemessen und auch das war ja dann oder ist immer noch auch

Eva Völpel: für manche der Anlass, große Warn- und Weckrufe auszustoßen.

Sabine Nuss: So ist es. Wenn man das jetzt alles mal so unterm Strich bilanzieren möchte,

Sabine Nuss: kann man sich an den eben von mir gerade ganz kurz schon erwähnten Lepenis,

Sabine Nuss: das ist der Ökonom Philipp Lepenis, der hat das Buch geschrieben,

Sabine Nuss: die macht der einen Zahl.

Sabine Nuss: Das verlinken wir natürlich wie alles auch in den Shownotes.

Sabine Nuss: Und das ist eine kleine politische Geschichte des BIP.

Sabine Nuss: Und er schreibt, dass das BIP die mächtigste Zahl der Menschheitsgeschichte

Sabine Nuss: ist. Also so weit würde er gehen.

Sabine Nuss: Und wenn man sich vor Augen führt, wie das BIP in der Öffentlichkeit,

Sabine Nuss: welche Rolle es spielt, immer wenn es veröffentlicht wird, reagieren ja immer alle drauf.

Sabine Nuss: Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Banken, Finanzmärkte, jeder Wirtschaftsforschungsinstitute, Medien.

Sabine Nuss: Alle gucken irgendwie auf dieses BIP und analysieren und rätseln und orakeln.

Sabine Nuss: Wieso ist es jetzt doch höher als erwartet?

Sabine Nuss: Was haben wir falsch vorhergesagt? Woran liegt das wohl? Wie wird es sich weiterentwickeln?

Sabine Nuss: Also es hat schon sowas, ja, manchmal reagiert die Politik total überrascht und so weiter.

Eva Völpel: Ja, und es ist ja auch etwas, was von sehr, sehr vielen Wirtschaftsinstituten prognostiziert wird.

Eva Völpel: Es gibt dann immer die berühmten Konjunkturprognosen diverser Institute,

Eva Völpel: die dann auch teilweise unterschiedlich ausfallen und wo man sich dann auch,

Eva Völpel: wenn man die Lust dazu hat, auch mal ein bisschen so einen Spaß erlauben kann,

Eva Völpel: sich anzugucken, wie oft haut denn welches Institut eigentlich daneben.

Eva Völpel: Genau, also es ist auf jeden Fall immer so eine magische Zahl,

Eva Völpel: auf die alle so ein bisschen starren.

Eva Völpel: Vor allem natürlich die Politik und der Wirtschaftsminister.

Sabine Nuss: Mich erinnert es jetzt auch an den ganz aktuellen Fall, dass wir jetzt bei der

Sabine Nuss: letzten Veröffentlichung des BIP, bei der jüngsten vom ersten Quartal 2025,

Sabine Nuss: da waren ja auch viele BeobachterInnen positiv überrascht, weil wir ein Wirtschaftswachstum,

Sabine Nuss: das sage ich auch schon wir, weil es ein Wirtschaftswachstum plus 0,2 Prozent

Sabine Nuss: gab zum Vorquartal, was deutlich stärker ausgefallen war als erwartet,

Sabine Nuss: wo man dann auch wild spekuliert hat, woran das lag.

Sabine Nuss: Und es ist, by the way, ich möchte jetzt nochmal auf dieses Religiöse zurückkommen,

Sabine Nuss: der Staat, der den Auftrag gibt, diese Zahl zu erheben.

Sabine Nuss: Es ist exakt festgelegt, wie die erhoben werden soll.

Sabine Nuss: Es ist auch exakt festgelegt, dass das alle drei Monate passieren soll und einmal im Jahr.

Sabine Nuss: Regelmäßig kommt also diese Zahl und daraufhin gibt es dieses vielstimmige Rauschen,

Sabine Nuss: was wir jetzt gerade da hatten.

Sabine Nuss: Und das ist im Grunde genommen eine Ritualisierung, also es hat was Ritualhaftes.

Sabine Nuss: Und auch dieses Ritualhafte, das hat ja im Glauben die Rolle der Festigung des Glaubens, die Rituale.

Sabine Nuss: Und in dem Fall hat das eben auch diese Art des Ritualhaften so ein bisschen

Sabine Nuss: die Rolle, so könnte man das zuspitzen, dass wir weiterhin daran glauben,

Sabine Nuss: dass dieses BIP, die und die und die und die Mythen damit eben verbunden sind.

Eva Völpel: Wobei ich mich jetzt schon nochmal frage, in der Wirtschaft,

Eva Völpel: die kapitalistisch funktioniert und wo sozusagen Profitgenerierung an erster

Eva Völpel: Stelle steht und wir auch in der Wirtschaft leben, wo klar ist,

Eva Völpel: es wird sozusagen, die Wirtschaft muss angeblich wachsen,

Eva Völpel: weil wir alle nicht nach unseren Bedürfnissen produzieren und unseren Fähigkeiten

Eva Völpel: und dann eben die Sachen unter uns im Guten verteilen, sondern weil eben Profite

Eva Völpel: generiert werden müssen, frage ich mich,

Eva Völpel: nicht einfach sozusagen der unabänderliche Wurmfortsatz dieses kapitalistischen Systems ist,

Eva Völpel: weil es ja quasi nur ein Ausdruck eines Wirtschaftssystems ist,

Eva Völpel: das halt so funktioniert, wie es funktioniert und deswegen vielleicht auch im

Eva Völpel: BIP quasi seine pervers schlechte Zahl findet.

Eva Völpel: Also verstehst du, was ich meine?

Sabine Nuss: Ja, ich verstehe es total. Es ist auch, da ist auch was dran.

Sabine Nuss: Also wenn ich jetzt das so ein bisschen zuspitze, immer auf diesen halbreligiösen

Sabine Nuss: Charakter, dann heißt es nicht, dass es so überhaupt gar nichts aussagen würde.

Sabine Nuss: Weil das BIP misst ja tatsächlich etwas. Es misst halt einen Wert.

Sabine Nuss: Und das hatten wir eingangs, dass man dann aber, wenn man tatsächlich damit

Sabine Nuss: ernsthaft was anfangen möchte, in die Empirie gehen muss und sich genau angucken

Sabine Nuss: muss, was hat sich denn jetzt tatsächlich vermehrt.

Sabine Nuss: Also du kannst, und das ist nämlich das Interessante am BIP,

Sabine Nuss: dass es die Wertebene nur misst. Ich kann jetzt zum Beispiel auf der stofflichen

Sabine Nuss: Basis, würde es gar nicht funktionieren, eine aggregierte Zahl.

Sabine Nuss: Also stell dir mal vor, zehn Fahrräder, sieben Arztbesuche, 98 Körbe,

Sabine Nuss: 87 Zahnbürsten verändern jeweils ihre Anzahl, also im nächsten Jahr jeweils mehr oder weniger.

Sabine Nuss: Wie willst du das in einer Zahl zusammenfassen? Das geht gar nicht.

Sabine Nuss: Du kannst ja nicht sagen...

Sabine Nuss: Du kannst sagen, okay, Dinge und Dienstleistungen, die so und so wie Kalorien

Sabine Nuss: verbraucht haben und dann kannst du vielleicht eine gemeinsame Kalorien sein.

Sabine Nuss: Also du kommst auf der stofflichen Ebene, kommst du gar nicht auf die Idee,

Sabine Nuss: das geht gar nicht, eine Zahl zu finden, weil die Dinge so unterschiedlich sind auf dieser Ebene.

Sabine Nuss: Aber trotzdem gibt es die Möglichkeit, dass man in der Realität was finden kann,

Sabine Nuss: was hinter diesem Wachstum oder Schrumpfung steht.

Sabine Nuss: Und das merken wir zum Beispiel in der Corona-Krise, hat man das deutlich gemerkt.

Sabine Nuss: In der Corona-Krise ist ja das Wachstum eingebrochen, weil unglaublich viele

Sabine Nuss: Betriebe stillgelegt waren und da hast du gesehen, dass der CO2-Verbrauch zurückgegangen

Sabine Nuss: ist. Das ist ein klarer Zusammenhang.

Sabine Nuss: Und du könntest jetzt natürlich sagen und die Vertreter der berühmten Entkopplungsthese,

Sabine Nuss: also die davon ausgehen, man kann den Verbrauch von Ressourcen abkoppeln vom Wachstum.

Sabine Nuss: Die haben ja unter anderem die Idee, wenn wir alles nur noch mit erneuerbaren

Sabine Nuss: Energien machen, dann kann die Wirtschaft wachsen, ohne dass wir Ressourcen

Sabine Nuss: in einer Weise verbrauchen, die die Umwelt schädigt.

Sabine Nuss: Das ist genau die Diskussion. Ich würde sagen, das geht nicht,

Sabine Nuss: weil dieser Wachstumszwang ja auch noch beinhaltet, dass wir weiter,

Sabine Nuss: weiter, weiter, weiter, weiter ständig produzieren müssen.

Sabine Nuss: Und wenn ich erneuerbare Energien überall einführe, dann brauche ich Windräder,

Sabine Nuss: dann brauche ich Solarzellen, dann brauche ich in einer großen Stückzahl diese

Sabine Nuss: Dinge, die dann wiederum irgendwelche Ressourcen verbrauchen.

Sabine Nuss: Aber das ist eine Diskussion, die ich gerne auf diese Postwachstumsfolge,

Sabine Nuss: die du am Anfang angekündigt hast, da würde ich das gerne nochmal vertiefen,

Sabine Nuss: diese Möglichkeiten, die da diskutiert werden.

Sabine Nuss: Was ich nur sagen wollte ist, bei aller Religiosität gibt es natürlich eine

Sabine Nuss: sachliche Grundlage und auf die kommen wir dann nachher auch nochmal in der

Sabine Nuss: Kritik da dran, genauer zu sprechen.

Eva Völpel: Wir haben ja jetzt schon einiges an der Kritik am BIP angerissen und auch Kritik

Eva Völpel: am Verständnis dieses Wachstums.

Eva Völpel: Aber gibt es da noch Punkte, wo du sagen würdest, da müssen wir unbedingt nochmal drauf schauen?

Sabine Nuss: Also diese Kritik, die am BIP schon sehr lange geäußert wird,

Sabine Nuss: der schließe ich mich natürlich voll und ganz an.

Sabine Nuss: Allein die Tatsache, dass es eine rein quantitative Zahl hat,

Sabine Nuss: die für das Gute schlechthin stehen soll.

Sabine Nuss: Da möchte ich jetzt auch gar nicht mehr näher drauf eingehen,

Sabine Nuss: die finde ich völlig richtig.

Sabine Nuss: Was ich ehrlich gesagt immer nicht so richtig verstehe, ist,

Sabine Nuss: dass es offensichtlich zwischen der realen Politik, die da im Bundestag in den

Sabine Nuss: Parlamenten sitzt und Politik macht und den Menschen, die draußen an den Universitäten,

Sabine Nuss: auf der Straße, auf Demos sind,

Sabine Nuss: die das alles wissen, also auch die Wissenschaft, die diese Kritik seit Jahren

Sabine Nuss: äußert, dass es da offensichtlich irgendeine Mauer zwischen denen geben muss.

Sabine Nuss: Also, dass dieses Wissen, was in der Gesellschaft vorhanden ist,

Sabine Nuss: nicht durchdringt in die Realpolitik.

Sabine Nuss: Das ist was, was ich auf vielen Feldern übrigens nicht so richtig verstehe.

Sabine Nuss: Wäre nochmal extra, wahrscheinlich ein extra Untersuchungsgegenstand,

Sabine Nuss: warum da so eine Mauer dazwischen ist. Das ist das eine, was ich kritisiere,

Sabine Nuss: dass sich die reale Politik halt überhaupt nicht mit diesen ganzen Erkenntnissen

Sabine Nuss: in der Tiefe beschäftigt, die sich dann auch auswirken würde auf die realen Handlungen.

Sabine Nuss: Gut, okay, ich weiß, das hat Grenzen und so weiter, das führt jetzt zu weit.

Sabine Nuss: Und das andere, wo ich nochmal drauf gucken möchte, ist, dass wenn wir von Wachstum

Sabine Nuss: reden und wenn wir darüber reden, dass wir Wachstum fördern oder ankurbeln wollen,

Sabine Nuss: was ja Links-Gensianer auch machen,

Sabine Nuss: dann muss man sich, finde ich, nochmal vor Augen führen, was ist das denn für eine Art von Wachstum?

Sabine Nuss: Und das hattest du ja auch schon jetzt gerade angedeutet, das ist nämlich nicht

Sabine Nuss: irgendein Wachstum, sondern wir befinden uns in einer kapitalistischen Konkurrenzökonomie,

Sabine Nuss: die einem Wachstumszwang unterliegt.

Sabine Nuss: Und dieser Wachstumszwang, das hatten wir, glaube ich, in der Folge auch zur

Sabine Nuss: internationalen Wettbewerbsfähigkeit schon mal ausführlich erklärt,

Sabine Nuss: dieser Wachstumszwang beinhaltet zum einen die Tendenz zur Überproduktion, also Dardauern,

Sabine Nuss: ständige Krisen immer wieder inhärent eingeschrieben sind in dieses Wirtschaftssystem.

Sabine Nuss: Und dieser Wachstumszwang beinhaltet zwangsläufig die Umweltschädlichkeit,

Sabine Nuss: also ein immer wieder erneuter ständiger Ressourcenverbrauch.

Sabine Nuss: Und er beinhaltet auch, dieser Wachstumszwang beinhaltet auch oder beziehungsweise

Sabine Nuss: basiert unhinterfragt auf Ausbeutung.

Sabine Nuss: Also das sind die drei Punkte, umweltschädlich, Ausbeutung und Krisenpotenzial.

Sabine Nuss: Und das gehört zu dieser Art des Wachstums dazu. Und deshalb finde ich oder

Sabine Nuss: verstehe ich da nicht, was ist gemeint, wenn es heißt, wir müssen die Wirtschaft ankurbeln.

Sabine Nuss: Böse gesprochen heißt, dass wir müssen dafür sorgen, dass die Verwertung des

Sabine Nuss: Kapitals zugunsten Deutschlands besser funktioniert.

Sabine Nuss: Dass das Krisenpotenzial weiterhin funktioniert, dass es weiterhin umweltschädlich

Sabine Nuss: ist, dass wir weiterhin Ausbeutung haben, um es jetzt mal so zuzuspitzen.

Sabine Nuss: Und das ist das, was ich kritisieren würde an diesem positiven Bezug auf Wachstum.

Eva Völpel: Ja, das ist sehr verständlich.

Sabine Nuss: Aber Eva, wenn ich ganz kurz noch was ergänzen darf, habe ich jetzt gerade vergessen.

Sabine Nuss: Das ist natürlich jetzt meine Meinung.

Sabine Nuss: Es gibt natürlich auch die weit breiter vertretene Position,

Sabine Nuss: die sagt, aber wir haben ja was vom Wachstum.

Sabine Nuss: Also die Regierung, die will ja Wirtschaft ankurbeln, weil sie sagt,

Sabine Nuss: das erhöht die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Sabine Nuss: Damit kann Deutschland auf dem Weltmarkt die mehr Produkte verkaufen und das

Sabine Nuss: erhöht die Steuerbasis. Also die Erhöhung der Steuerbasis ist natürlich ein

Sabine Nuss: wesentliches Argument aus der Perspektive der Regierung, die da Geld einnehmen möchte.

Eva Völpel: Ja und ich meine es ist natürlich, weil du ja gerade über das kapitalistische

Eva Völpel: Wirtschaftssystem gesprochen hast, es ist natürlich eine Zwangsjacke,

Eva Völpel: in der wir uns alle befinden.

Eva Völpel: Weil natürlich haben wir das Problem,

Eva Völpel: wir hatten das auch schon mal als Schlagwort Degrowth by Disaster,

Eva Völpel: also wenn jetzt irgendwie eine krasse Wirtschaftskrise kommt und es gibt diese

Eva Völpel: Einbrüche und das BIP schrumpft und wir verlieren Arbeitsplätze,

Eva Völpel: wir sage ich jetzt auch schon wieder,

Eva Völpel: dann trifft es natürlich direkt sehr, sehr viele Leute sehr hart.

Eva Völpel: Und da steckt man also drin in einer Zwangssituation, wo man so leicht auch

Eva Völpel: gar nicht rauskommt, wenn eben die Wirtschaft nach diesem System funktioniert, wie wir es haben.

Sabine Nuss: Genau, wobei… Also deswegen.

Eva Völpel: Vielleicht nochmal ganz kurz, deswegen tue ich mich am… Ich verstehe total deine

Eva Völpel: Grundsatzkritik, die teile ich auch.

Eva Völpel: Trotzdem ist es so, dass man so in dem alltäglichen realpolitischen Sachzwang

Eva Völpel: dann selber ja so merkt, dass man so drinsteckt und natürlich selber auch schon

Eva Völpel: so ein bisschen gnädiger fasst irgendwie, also ich zumindest,

Eva Völpel: auf dann Aussprüche von LinkskinsianerInnen guckt, ja, wir müssen das Wachstum ankurbeln.

Eva Völpel: Ich sehe die dahinterliegenden grundsätzlichen Probleme total,

Eva Völpel: aber ich sehe eben auch, dass wir uns alle in dieser absoluten Zwangsjacke bewegen.

Sabine Nuss: Auf jeden Fall. Ich habe nur manchmal den Eindruck, dass wir reden alle über

Sabine Nuss: Wachstum aus unterschiedlichen Gründen mit unterschiedlichen politischen Positionen verbunden.

Sabine Nuss: Und manchmal habe ich den Eindruck, wir reden gar nicht über das Gleiche.

Sabine Nuss: Also es ist gar nicht so richtig auf dem Schirm,

Sabine Nuss: dass Wachstum halt eine bestimmte Art von Produktionsweise, ein Klassenverhältnis

Sabine Nuss: beinhaltet oder voraussetzt und deshalb habe ich immer das Bedürfnis,

Sabine Nuss: lass uns doch nochmal hingucken, was ist denn dieses Wachstum und genau das

Sabine Nuss: glaube ich, müsste man erstmal machen und wenn man sich da einig ist,

Sabine Nuss: wenn man dann gemeinsames Verständnis hat,

Sabine Nuss: erst dann kann man darüber sprechen, okay,

Sabine Nuss: was wollen wir dann in dem Rahmen des möglichen, müsste man dann ausgehend davon machen.

Eva Völpel: Ja, da hast du völlig recht.

Sabine Nuss: Das ist so ein bisschen mein Punkt.

Eva Völpel: Naja, weil tatsächlich, du hast es ja auch schon erwähnt, ständig,

Eva Völpel: wenn man nur davon redet, wir brauchen mehr Wachstum, dann tatsächlich ja immer

Eva Völpel: dieser Gedanke dabei ist, trickle down, dann wird das schon allen irgendwie

Eva Völpel: zugutekommen und das stimmt einfach nicht.

Sabine Nuss: Genau, genau. Und das Nächste ist, ich glaube, du hattest es vorhin schon gesagt mit dem,

Sabine Nuss: dass Merz und Linnemann, also die CDU, die gegenwärtige Regierung,

Sabine Nuss: ja gerade dieses Thema aufgeworfen hat mit der Arbeitszeit, dass wir mehr arbeiten müssen, ne?

Sabine Nuss: Und da ist natürlich auch die Frage, jetzt hören wir doch eigentlich eher von

Sabine Nuss: der Industrie zumindest, von manchen Branchen, dass es eigentlich auf dem Weltmarkt,

Sabine Nuss: sie Probleme haben, ihre Autos zu verkaufen, ihre Maschinen zu verkaufen und

Sabine Nuss: sie planen massiven Stellenabbau.

Sabine Nuss: Da ist natürlich die Frage, warum will ich jetzt, dass die Leute mehr arbeiten,

Sabine Nuss: wenn ich gerade im Problem stehe, dass wir Leute entlassen in Deutschland.

Sabine Nuss: Also da ist mir das irgendwie, was ist da jetzt genau der Zusammenhang?

Sabine Nuss: Und da ist nochmal interessant, wie das überhaupt alles miteinander zusammenhängt,

Sabine Nuss: weil das ist was, was ich finde, was in der Öffentlichkeit auch oft mal untergeht.

Sabine Nuss: Also zum Beispiel das, was ich jetzt gesagt habe, dieser Widerspruch,

Sabine Nuss: der ist gar nicht so unmittelbar logisch.

Sabine Nuss: Von dieser Arbeitszeitverlängerung erhofft man sich offensichtlich Wachstum.

Sabine Nuss: Man denkt irgendwie, dann wird mehr produziert, wenn die Leute länger arbeiten müssen.

Sabine Nuss: Und wenn mehr produziert wird,

Sabine Nuss: wird mehr verkauft und dann habe ich mehr Steuereinnahmen und so weiter.

Sabine Nuss: Setzt also immer voraus, dass das Zeug auch gekauft wird, was produziert worden ist.

Sabine Nuss: Da fängt es ja schon mal an, ein Nachfrageproblem. Also Stefan Kaufmann möchte

Sabine Nuss: nochmal auf den immer wieder von uns zitierten, großartigen Wirtschaftskorrespondenten

Sabine Nuss: von ND die Woche Stefan Kaufmann zu sprechen kommen,

Sabine Nuss: der genau jetzt in der Wochenendausgabe einen Artikel drüber hatte und der das

Sabine Nuss: mal aufgeschlüsselt hat.

Sabine Nuss: Der also gesagt hat, eigentlich ist es im Moment gerade so, dass die Industrie

Sabine Nuss: klagt über, wir haben hier ein Problem mit der Nachfrage auf dem Weltmarkt.

Sabine Nuss: Also es ist die Frage, worum geht es dann eigentlich bei der Forderung nach mehr Arbeit?

Sabine Nuss: Und er sagt, es geht darum, dass die Arbeit durch diese Forderung,

Sabine Nuss: die Leute sollen länger arbeiten, die Arbeit insgesamt billiger wird.

Sabine Nuss: Und wenn die Arbeit billiger wird insgesamt.

Sabine Nuss: Guckt es insgesamt sowieso wieder auf die Löhne. Das erhöht die Wettbewerbsfähigkeit, so die Idee.

Sabine Nuss: Und diese erhöhte Wettbewerbsfähigkeit macht es dann wieder möglich,

Sabine Nuss: dass die Leute wieder billigere deutsche Produkte kaufen.

Sabine Nuss: Und auf diesem komplizierten Umweg wird dann Wirtschaftswachstum erwartet.

Sabine Nuss: Also so irgendwie geht dieser Zusammenhang.

Sabine Nuss: Und dann ist natürlich, das habe ich ja schon gesagt, es kommt halt drauf an,

Sabine Nuss: ob es gekauft wird oder nicht.

Sabine Nuss: Also ob die Produkte gekauft werden. Und das ist das, wo ich immer so ein bisschen schmunzeln muss.

Sabine Nuss: Die Menschen oder jetzt aus der Position der Regierenden haben eigentlich gesagt,

Sabine Nuss: Marktwirtschaft ist ein super System, das soll alles der Markt regeln.

Sabine Nuss: Und jetzt versuchen sie aber hintenrum doch irgendwie das zu beeinflussen,

Sabine Nuss: indem sie sagen, wir drehen an der Stellschraube, an der Stellschraube,

Sabine Nuss: damit die Wirtschaft wächst.

Sabine Nuss: Da würde ich sagen, ja, dann macht halt Gleichplanwirtschaft,

Sabine Nuss: weil ihr habt ja gar nicht so einen Einfluss drauf.

Sabine Nuss: Natürlich gibt es Zusammenhänge. Es gibt den Zusammenhang zum Beispiel,

Sabine Nuss: den ich übrigens ziemlich kompliziert finde, zwischen Produktivität,

Sabine Nuss: Wachstum und Arbeitslosigkeit oder Beschäftigung.

Sabine Nuss: Es ist überhaupt nicht gesagt, dass wenn die Wirtschaft wächst,

Sabine Nuss: dass es mehr Arbeitsplätze gibt.

Sabine Nuss: Es kommt halt darauf an, wie hoch die Produktivität ist und ob das dann tatsächlich

Sabine Nuss: auch so weit die Produktivität gestiegen ist, dass man wirklich neue Leute einstellt.

Sabine Nuss: Also da gibt es ja auch dann irgendwie verschiedene Szenarien,

Sabine Nuss: wie man das ausrechnen kann.

Sabine Nuss: Es gibt dieses Phänomen des Jobless Growth, also Wachstum ohne Beschäftigung.

Sabine Nuss: Also es gibt nicht diese immer, wenn ich das mache, passiert dann das in der Marktwirtschaft.

Eva Völpel: Ich wollte eine Sache noch ergänzen, weil du das mit der Arbeitszeit ja nochmal

Eva Völpel: angeführt hattest. Und das finde ich gerade in unserer aktuellen politischen

Eva Völpel: Debatte einfach auch so wichtig.

Eva Völpel: Also die Leute sollen länger arbeiten, dadurch wird Arbeit billiger.

Eva Völpel: Und du hast es jetzt zum einen oder vor allen Dingen auf die Nachfrage bezogen.

Eva Völpel: Aber es gibt ja auch noch den anderen Grund, dass die Unternehmen durch billigere

Eva Völpel: Arbeit natürlich dann höhere Profitmargen haben. Und ich meine,

Eva Völpel: bei der Auseinandersetzung um VW ist das ja genau eigentlich ein Kerngrund.

Eva Völpel: Also es geht ja gar nicht darum...

Eva Völpel: Oder es geht vor allen Dingen darum, dass sozusagen die Profitraten gesunken sind.

Eva Völpel: Es werden immer noch stattliche Gewinne gemacht, aber die Antwort darauf ist dann eben,

Eva Völpel: dass die Leute jetzt auch bei VW länger und anders arbeiten sollen und auf Teil

Eva Völpel: ihres Lohns verzichten sollen,

Eva Völpel: damit eben die Profite wieder ein bisschen besser in der Kasse der Vermögenden

Eva Völpel: und Aktienbesitzer und EigentümerInnen der Autokonzerne klingeln.

Eva Völpel: Und das, finde ich, ist wichtig, um sich das nochmal so klar zu machen.

Eva Völpel: Und da muss ich einfach auch nochmal einwerfen, eigentlich müssten wir in solchen

Eva Völpel: Situationen genau andersrum diskutieren.

Eva Völpel: Wir müssten über Arbeitszeitverkürzung und eine andere Verteilung der Arbeit diskutieren.

Sabine Nuss: Richtig, genau. Das ist, finde ich auch, das ist ein ganz zentraler Punkt.

Sabine Nuss: Aber auch an der Stelle, auch das, was du jetzt gerade gesagt hast,

Sabine Nuss: würde ich sagen, ja, jetzt ist ja gestern bekannt geworden, dass also die Regierung

Sabine Nuss: diese Steuererleichterung für Unternehmen einführt.

Sabine Nuss: Dann habe irgendwie bei den Tagesschau, habe ich gesehen, dass da auch so eine

Sabine Nuss: Unternehmerin interviewt wurde, die gesagt hat, ja, das ist total gut für uns,

Sabine Nuss: wenn wir durch bestimmte auch Abschreibungserleichterungen hier jetzt Liquidität erhöhen können.

Sabine Nuss: Jetzt ist damit aber gar nicht gesagt, dass das investiert wird in der Produktion.

Sabine Nuss: Also wenn ich, das ist ja, das ist halt Marktwirtschaft.

Sabine Nuss: Wenn ich in der Lage bin, wenn ich mehr Geld habe oder mehr Kapital habe und

Sabine Nuss: ich sehe, so gut ist die Nachfrage gerade nicht auf dem Weltmarkt,

Sabine Nuss: was mache ich jetzt mit dem Kapital?

Sabine Nuss: Ich lege es an den Finanzmärkten an, weil dort ist die erwartete Profitrate

Sabine Nuss: sehr wahrscheinlich sehr viel höher, als wenn ich jetzt das in die Produktion

Sabine Nuss: stecke. Darauf hat man halt keinen Einfluss.

Sabine Nuss: Und das ist ein bisschen der Punkt, den ich meine, dass du einerseits sagst,

Sabine Nuss: ja Marktwirtschaft super und andererseits versuchst du da in allen Ecken und

Sabine Nuss: Stellen irgendwie das zu beeinflussen anhand des Einflusses auf die Bedingungen des Wachstums,

Sabine Nuss: die eben immer wieder darauf hinauslaufen, wie du sagst, dass die Profitmaximierung erfolgreicher ist.

Sabine Nuss: Aber selbst wenn sie es ist, ist halt nicht gesagt, dass damit dann tatsächlich

Sabine Nuss: investiert wird, sodass mehr Arbeitsplätze entstehen.

Sabine Nuss: Weil Arbeitsplätze nicht der Zweck eines Unternehmens sind. Denn Arbeitsplätze

Sabine Nuss: sind nur das Mittel, um Kapital zu vermehren. Und das ist halt eben das Problem.

Sabine Nuss: Also ganz kurz, was ich da eben immer entgegnen würde, ist, okay.

Sabine Nuss: Vielleicht gucken wir mal auf diesen Aspekt.

Sabine Nuss: Kapitalismus ist historisch die erste Gesellschaft, in der Menschen irgendwas

Sabine Nuss: produzieren müssen. Irgendwas, damit sie Arbeit haben.

Sabine Nuss: Statt dass sie erst dann arbeiten, wenn sie was produzieren wollen. Das finde ich so bizarr.

Eva Völpel: Ja, das bringt es gut auf den Punkt, ja. Ich wollte eigentlich,

Eva Völpel: aber das führt uns jetzt ein bisschen weg von diesem eigentlich guten Punkt,

Eva Völpel: aber ich wollte nochmal sagen, weil ich das eben gerade auch in der aktuellen

Eva Völpel: Debatte so wichtig finde, diesen Zusammenhang, den du da aufmachst.

Eva Völpel: Steuererleichterung für die Unternehmen bedeutet nicht, dass investiert wird.

Eva Völpel: Auch da hatten wir ja schon mal darauf hingewiesen, gibt es ausführliche Studien zu.

Eva Völpel: Ich glaube von Gechert und Heimberger können wir auch nochmal gerne verlinken,

Eva Völpel: die sich das in so einer ausführlichen Studie angeguckt haben,

Eva Völpel: wo sie mehrere andere Studien analysieren und die tatsächlich ganz eindeutig zu dem Schluss kommen,

Eva Völpel: das hat wenig bis überhaupt keinen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und

Eva Völpel: vielmehr werden diese Steuererleichterungen von den Unternehmen dann dankend in die Tasche gesteckt.

Eva Völpel: Ich glaube, das ist was, was man jetzt einfach als so ein Argument in der politischen

Eva Völpel: Debatte immer mal wieder hervorziehen sollte und klar machen sollte.

Eva Völpel: Leute, das ist wissenschaftlich einfach überhaupt nicht erwiesen.

Eva Völpel: Eher das Gegenteil ist der Fall.

Sabine Nuss: Genau.

Eva Völpel: Ja, du hattest ja gerade das, was sozusagen die Absurdität der Arbeit im Kapitalismus

Eva Völpel: angeht, schön auf den Punkt gebracht.

Eva Völpel: Und jetzt kommen wir aber nochmal zurück zum BIP, dem wir uns heute widmen.

Eva Völpel: Und mich hat jetzt doch nochmal interessiert, warum oder wie ist das eigentlich

Eva Völpel: historisch entstanden?

Eva Völpel: Also was gab es damals vielleicht für Debatten? Warum hat man gesagt,

Eva Völpel: man braucht das? Kannst du uns da noch ein bisschen was erzählen?

Sabine Nuss: Ja, mache ich. Ich würde gerne auch nochmal anschließend an den,

Sabine Nuss: also du hast es jetzt nochmal kurz auf den Punkt gebracht und ich würde gerne

Sabine Nuss: nochmal als Schlussfolgerung oder als Fazit aus dem, was wir jetzt diskutiert

Sabine Nuss: haben, ziehen, dass das BIP,

Sabine Nuss: so wie ich das auch schlau zitiert habe am Anfang, tatsächlich ein Herrschafts-

Sabine Nuss: und Steuerungsinstrument ist.

Sabine Nuss: Und zwar ein Steuerungsinstrument von einer modernen kapitalistischen Gesellschaft.

Sabine Nuss: Es ist eben eine Technologie des Regierens.

Sabine Nuss: Alle werden diszipliniert und müssen

Sabine Nuss: sich unterordnen unter BIP und unter Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.

Sabine Nuss: Also insofern ist es auch nochmal ein schöner Bogen zur Wettbewerbsfolge, die wir gemacht haben.

Sabine Nuss: Interessant ist nämlich auch genau die Frage, seit wann gibt es eigentlich das Wettbewerb?

Sabine Nuss: Also es war für mich auch ehrlich gesagt sehr überraschend, wie jung das BIP

Sabine Nuss: ist auf der Skala der ganzen Menschheitsgeschichte.

Sabine Nuss: Um mal bei diesem Bild zu bleiben, würde ich mal sagen, gibt es das BIP seit gestern gefühlt.

Sabine Nuss: Also es ist tatsächlich erst im Zweiten Weltkrieg entstanden.

Sabine Nuss: Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Idee entstanden, dass man das,

Sabine Nuss: was eine Volkswirtschaft herstellt, produziert, anbietet, die Wirtschaftsleistung messen sollte.

Sabine Nuss: Und die Idee des Wachstums ist nach dem Zweiten Weltkrieg dann tatsächlich erst

Sabine Nuss: entstanden. Das heißt, es ist eigentlich eine ganz junge Erscheinung.

Sabine Nuss: Natürlich gibt es historische Vorläufer, also das ist jetzt nicht vom Himmel gefallen.

Sabine Nuss: Es gibt historische Vorläufer, da wird der Engländer William Petty aus dem 17.

Sabine Nuss: Jahrhundert genannt, der als Begründer der Volkseinkommensberechnung gilt.

Sabine Nuss: Aber diese Jahrhunderte und wie das alles gelaufen ist, überspringen wir jetzt

Sabine Nuss: mal alles wunderbar nachzulesen in den bereits zitierten beiden Büchern,

Sabine Nuss: die wir in die Shownotes stecken.

Sabine Nuss: Aber jetzt springen wir mal in diesen Zweiten Weltkrieg. Da taucht natürlich

Sabine Nuss: der Name John Maynard Keynes wieder auf, den du auch in der letzten Folge erklärt

Sabine Nuss: hast, ein ganz, ganz, ganz zentraler Ökonom, der bis heute dafür steht, für diese Idee,

Sabine Nuss: dass man in Krisen der Staat Geld ausgeben muss.

Sabine Nuss: Also so antizyklisch, um es mal ganz verkürzt darzustellen.

Sabine Nuss: Und bei Kriegsausbruch damals im Zweiten Weltkrieg hat Keynes gesagt,

Sabine Nuss: Leute, jetzt müssen wir aber echt kalkulieren, wie viel Geld wir brauchen für

Sabine Nuss: die Rüstungsausgaben und wir müssen auch wissen, was dann für den zivilen Konsum

Sabine Nuss: überhaupt noch übrig ist.

Sabine Nuss: Also können wir unsere Bevölkerung, also kriegen wir das hin?

Sabine Nuss: Und das war mir gar nicht klar, das gab es vorher noch gar nicht,

Sabine Nuss: so eine Zählung. Und dann ging es aber auch los mit diesen ganzen Debatten.

Sabine Nuss: Wie zählen wir das? Was ist die Datengrundlage? Was gehört dazu?

Sabine Nuss: Also gehören zum Beispiel Staatsausgaben rein in so eine Zählung?

Sabine Nuss: Das war vorher, haben Leute eben gesagt, also Ökonomen vorwiegend,

Sabine Nuss: Männer gesagt oder tatsächlich Statistiker, nee, Staatsausgaben sind kein Volkseinkommen,

Sabine Nuss: das gehört nicht dazu und so weiter und so fort.

Sabine Nuss: Also man könnte jetzt stundenlang darüber reden, was überhaupt die statistischen

Sabine Nuss: Grundlagen waren, die da diskutiert worden sind.

Sabine Nuss: Es ist sogar gesagt worden von einer, bei einer Person habe ich es gelesen in

Sabine Nuss: diesem Buch, dass man Haushalt, also Arbeit im Haushalt dazu zählen muss.

Sabine Nuss: Also das gab es tatsächlich auch. Man sieht schon, dass das.

Sabine Nuss: Und eine Konvention ist eine gesellschaftliche und eben nicht objektiv.

Sabine Nuss: Und im Grunde genommen ist das BIP entstanden, weil man die Kriegslasten planen wollte.

Sabine Nuss: Und die USA hat da natürlich mitgemischt.

Sabine Nuss: Also die USA und Großbritannien haben da auch zusammengearbeitet.

Sabine Nuss: Und die Frage, wie hoch ist das Kriegspotenzial, war die leitende Frage und

Sabine Nuss: war im Grunde genommen das Motiv für die Entstehung dieser Berechnung, Kriegsplanung.

Sabine Nuss: Und Deutschland ist sehr viel später erst nachgezogen. Deutschland ist so ein

Sabine Nuss: bisschen ein Sonderfall und dann auch Europa.

Sabine Nuss: Ich gehe jetzt erstmal nur auf Deutschland ein, weil die Entstehung des BIPs

Sabine Nuss: in Deutschland ist so eine wirklich krasse Räuberpistolengeschichte,

Sabine Nuss: die muss ich jetzt kurz erzählen.

Eva Völpel: Ja, ich bin gespannt.

Sabine Nuss: Also bei Deutschland war es so, die hatten über Jahre hinweg,

Sabine Nuss: hatten die das Problem, dass die Industrie, die Unternehmen sich tatsächlich

Sabine Nuss: geweigert haben, Zahlen rauszugeben.

Sabine Nuss: Also ich meine, die Unternehmen müssen ja sagen, wie viel haben wir letztes

Sabine Nuss: Jahr produziert oder wie viel haben wir in den letzten drei Monaten produziert.

Sabine Nuss: Und die wollten einfach in Deutschland die Zahl nicht rausgeben.

Sabine Nuss: Das zieht sich irgendwie bis zurück ins 19.

Sabine Nuss: Jahrhundert. Also wie gesagt, man hat ja über Jahrhunderte hinweg immer mal

Sabine Nuss: schon was gemessen. Aber das waren dann tatsächlich eher vereinzelte Berechnungen.

Sabine Nuss: Das war auch noch nicht so, dass die Politik das irgendwie wichtig fand,

Sabine Nuss: also die jeweiligen Regierungen.

Sabine Nuss: Das war eher so, dass dann die Leute aus der Industrie oder manche Statistiker

Sabine Nuss: gesagt haben, hey Regierung, das ist für euch eine wichtige Grundlage für die Regierung.

Sabine Nuss: Guckt euch das mal an, was wir hier messen könnten.

Sabine Nuss: Also wie gesagt, ich kriege diese mehrere Jahrhunderte Entwicklung jetzt schwer

Sabine Nuss: in 30 Sekunden unter, aber Deutschland hat eben da eine Sonderrolle eingenommen,

Sabine Nuss: weil die Industrie sich lange geweigert hat, Daten rauszugeben.

Sabine Nuss: Also die haben nach dem Ersten Weltkrieg auch noch überhaupt gar nichts vorliegen gehabt.

Sabine Nuss: Es gab auch erst 1925 in Deutschland die Gründung eines Instituts für Konjunkturforschung,

Sabine Nuss: die dann schon mal angefangen haben, Volkseinkommen zu erheben.

Sabine Nuss: Aber das wurde auch deshalb als heikel von der Politik aufgefasst, weil sie gesagt haben,

Sabine Nuss: wenn wir jetzt zum Beispiel mal berechnen, wie viel die Leute verdienen,

Sabine Nuss: dann hat die Sozialdemokratie einen Hebel in der Hand, um dagegen was zu tun,

Sabine Nuss: weil sie sagen, das ist so viel zu wenig, sieht man, wir haben jetzt hier die Statistik.

Sabine Nuss: Und auch die Ökonomen selber haben 1926 bei einem Kongress in Wien Statistiker

Sabine Nuss: sich zusammengesetzt und haben gesagt, also man kann ein Volkseinkommen oder

Sabine Nuss: das, was eine Bevölkerung,

Sabine Nuss: eine Volkswirtschaft an Output

Sabine Nuss: hat, überhaupt nicht auf eine einzige Zahl reduzieren. Das ist absurd.

Sabine Nuss: Die Wirtschaftsbeziehungen sind viel zu komplex. Das war noch der Stand der

Sabine Nuss: deutschen Debatte, wo man dann währenddessen in England und USA schon längst

Sabine Nuss: mit der Diskussion weiter war und gesagt hat, doch das brauchen wir,

Sabine Nuss: das geht und dann zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gesagt hat,

Sabine Nuss: jetzt aber, jetzt müssen wir das machen.

Sabine Nuss: Und als dann der Zweite Weltkrieg,

Sabine Nuss: Zu Ende ging, haben die Alliierten gesagt, so jetzt wollen wir mal gucken,

Sabine Nuss: was in Deutschland alles zerstört wurde.

Sabine Nuss: Ja, jetzt wollen wir mal, fliegen wir mal so über dieses Land und gucken,

Sabine Nuss: wie viel die Bombardierungen an Industrie zerstört haben, weil die Alliierten

Sabine Nuss: wollten in Deutschland eben auch das Bruttosozialprodukt einführen als wirtschaftliche

Sabine Nuss: Grundlage, um überhaupt zu wissen, was der Stand der Dinge ist.

Sabine Nuss: Und für diese Messung der Zerstörung, der Bombardierungen in Deutschland haben

Sabine Nuss: sie ein Team eingesetzt, in Deutschland,

Sabine Nuss: also zusammengesetzt aus Amerikanern, aus Engländern und geleitet wurde das

Sabine Nuss: Team von dem US-Amerikaner John Kenneth Galbraith.

Sabine Nuss: Überzeugter Keynesianer war auch schon in den USA zuständig für die Analyse

Sabine Nuss: der Daten des Bruttosozialprodukts dort, also der Schätzung.

Sabine Nuss: Und der hat eben den Auftrag gekriegt, das jetzt zu machen. Der hat sich ein

Sabine Nuss: Team zusammengestellt und dieses Team waren ganz bekannte Ökonomen,

Sabine Nuss: die, und das finde ich das Lustige, in den 70er Jahren die größten Wachstumskritiker geworden sind.

Sabine Nuss: Ja, also es gibt Bücher Small is Beautiful, die so ein bisschen als die Vorläufer

Sabine Nuss: des Degrowth oder des Wachstumskritikdiskurses gelten.

Sabine Nuss: Das waren genau die, die in diesem Team waren und das BIP in Deutschland eingeführt

Sabine Nuss: haben. Das ist irgendwie ganz nett.

Sabine Nuss: Einer in diesem Team hieß Paul Barron, auch ein marxistischer Ökonom, war Russe.

Sabine Nuss: Und man hat dann damals in diesem Team gesagt, okay, jeder von euch kriegt jetzt

Sabine Nuss: einen Sektor in Deutschland und guckt sich den an.

Sabine Nuss: Und dann sind sie losgezogen. Und dann haben sie aber festgestellt,

Sabine Nuss: einige dieser Daten, die wir jetzt eigentlich bräuchten, die es ja zum Teil

Sabine Nuss: schon Ende des Zweiten Weltkriegs unter den Nazis dann doch noch erhoben worden

Sabine Nuss: sind, die sind im russischen Sektor. Das ist jetzt doof.

Sabine Nuss: Dann haben sie die geklaut. Also das ist schon mal das Erste.

Sabine Nuss: Sie haben die dann geklaut. Da gibt es so eine kleine Anekdote,

Sabine Nuss: die ich jetzt nicht ausführe. Man kann das alles nachlesen.

Sabine Nuss: Aber was ich interessant finde, es gab dann am Ende des Zweiten Weltkriegs,

Sabine Nuss: haben die Nazis doch kapiert, scheiße, wir müssen doch mal ein bisschen zählen,

Sabine Nuss: was wir hier an Rüstungsindustrie haben und brauchen.

Sabine Nuss: Und da haben sie einen Typen eingesetzt, der heißt Wagenführ.

Sabine Nuss: Und Wagenführ war unter den Nazis die zentrale Figur der Rüstungsstatistik.

Sabine Nuss: Und nach dem Krieg sind die Russen gekommen und haben gesagt,

Sabine Nuss: Wagenführ, du kommst hier mal

Sabine Nuss: schön zu uns in den russischen Sektor und baust hier die Statistik auf.

Sabine Nuss: Weil die den schon kannten, weil der nämlich schon mal zur russischen Statistik gearbeitet hat.

Sabine Nuss: Die Russen waren nämlich sehr, sehr weit damals in der Statistik.

Sabine Nuss: Also hat Wagenführ gesagt, okay, mache ich. Ich erarbeite euch hier in diesem

Sabine Nuss: russischen Sektor die Statistik auf. Also er hatte da einen guten Ruf.

Sabine Nuss: Und ich meine, er war unter den Nazis ein wesentlicher Typ. Ich wollte gerade sagen.

Eva Völpel: Ich mache das für euch, damit werde ich vielleicht nicht erschossen.

Sabine Nuss: Genau. Und die Russen nannten ihn, das habe ich auch noch nie gehört,

Sabine Nuss: das Wort, den Roastbeef-Nazi.

Sabine Nuss: Roastbeef-Nazi, weil außen braun und innen rot.

Eva Völpel: Aha.

Sabine Nuss: Haben sie ihm unterstellt, ja. Jedenfalls hat der Wagen für der Roastbeef-Nazi

Sabine Nuss: mitgekriegt, dass die Amis ihn befragen wollen, dass die von ihm Zahlen haben

Sabine Nuss: wollen und ist dann schwuppdiwupp in die russische Zone gezogen,

Sabine Nuss: also in den Sektor, in den russischen.

Sabine Nuss: So, dann hat Goldbraith, der US-Ökonom, gesagt,

Sabine Nuss: Mist, wie kommen wir jetzt an diesen Russen, Quatsch, wie kommen wir jetzt an

Sabine Nuss: diesen Wagen für und hat eben den marxistischen Russen Barron aus seinem Team

Sabine Nuss: gebeten, Wagen für nach Frankfurt zu holen.

Sabine Nuss: Also Bad Nauheim, da saß nämlich das Hauptquartier dieses Teams.

Sabine Nuss: Und dann hat Paul Barron gesagt, mache ich und hat ihn in der Nacht- und Nebelaktion entführt.

Eva Völpel: Ach, ernsthaft?

Sabine Nuss: Ja, hat ihn aus dem Ehebett rausgezogen nachts, hat ihn nach Bad Nauheim gefragt

Sabine Nuss: und da haben sie dann interviewt zu den Zahlen, die er für die Nazis damals erhoben hatte.

Eva Völpel: Und er hat Auskunft gegeben.

Sabine Nuss: Er hat Auskunft gegeben, ja. Es war sehr freundlich, es war jetzt keine gewaltsame,

Sabine Nuss: schlimme Räuberpistole. Auf jeden Fall hat es extreme Wellen geschlagen.

Sabine Nuss: Also die Russen waren wahnsinnig empört. und Goldbad hat dann überlegt,

Sabine Nuss: scheiße, wie kriegen wir jetzt den Wagen für wieder zurück, so ganz brav in

Sabine Nuss: den russischen Sektor und hat dann irgendwie Jürgen Kuczynski gefragt.

Sabine Nuss: Jürgen Kuczynski wiederum ist ein ganz bekannter, ist der bekannte DDR-Ökonom gewesen,

Sabine Nuss: Statistiker, dessen Vater selbst auch ein ganz bekannter Wirtschaftsstatistiker

Sabine Nuss: war und dessen Sohn Thomas Kuczynski auch jetzt bis vor kurzem,

Sabine Nuss: er ist gestorben, in Deutschland ganz wichtiger Marx-Kenner und Ökonom war.

Sabine Nuss: Also so ist es wirklich absurd.

Sabine Nuss: Und Wagenführ machte dann im Westen später noch Karriere.

Sabine Nuss: Er wurde nämlich Direktor, der erste Direktor von Eurostat, also der Statistische

Sabine Nuss: Amt der Europäischen Gemeinschaft.

Sabine Nuss: So viel zur Kontinuität der Nazi-Größen.

Sabine Nuss: Und mit Wagenführshilfe kann

Sabine Nuss: man am Ende sagen, konnte Goldbred die erste Brutto-Sozialproduktschätzung

Sabine Nuss: für Deutschland berechnen.

Sabine Nuss: Das ist irgendwie absurd.

Eva Völpel: Ja, das ist eine schöne Räuberpistole.

Sabine Nuss: Und Lepenis, aus dessen Buch das alles stammt, der das natürlich noch sehr viel

Sabine Nuss: detaillierter und wie ein Krimi-Lies sich das erzählt hat, der sagt eben nochmal

Sabine Nuss: bezogen auf dieses Team, was da in Deutschland das BIP eingeführt hat,

Sabine Nuss: ich zitiere, es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich die meisten,

Sabine Nuss: die an dieser Berechnung beteiligt waren, später, nachdem die Methode der Erhebung

Sabine Nuss: des BIPs ihren Siegeszug vollendet hatte, zu deren schärfsten Kritiker wurden.

Eva Völpel: Ja, das ist sehr interessant, wirklich.

Sabine Nuss: Genau, genau. Und also das war jetzt bezogen, wie hat sich das BIP durchgesetzt

Sabine Nuss: und das Wachstum, das mache ich jetzt nur noch ganz kurz, das Wachstumsdenken

Sabine Nuss: hat sich eben erst danach durchgesetzt.

Sabine Nuss: Am Anfang kann man sagen, war BIP und Wachstum eigentlich als Planungsgröße

Sabine Nuss: gedacht, als Kontrollmöglichkeit der Wirtschaftspolitik und dann hat es sich

Sabine Nuss: im Laufe der Zeit verselbstständigt zu einem Wachstum um des Wachstumswillens.

Sabine Nuss: Und das kam dann verstärkt nochmal durch den Neoliberalismus,

Sabine Nuss: hat sich das dann nochmal verstärkt und wenn wir historisch noch weiter zurückgehen

Sabine Nuss: wollen, Antike oder Mittelalter, denen ist diese abstrakte Wachstumsidee komplett fremd gewesen.

Sabine Nuss: Also das ist tatsächlich ein Indiz der Neuzeit, dieses abstrakte Wachstumsdenken.

Eva Völpel: Vielen, vielen Dank für diesen, wie ich finde, ja insgesamt sehr,

Eva Völpel: sehr runden Ripp jetzt durch das BIP und seine Herkunft und die Probleme damit.

Eva Völpel: Und da folgt natürlich jetzt die große Frage draus, was machen wir damit jetzt?

Eva Völpel: Also was können wir, was sollten wir anders machen?

Eva Völpel: Und damit verweist es natürlich jetzt vor allen Dingen schon auf eine weitere

Eva Völpel: Folge, die noch kommen wird, damit wir

Eva Völpel: nämlich unseren Running Gag zu den Wachstumsfolgen weiterspinnen können.

Eva Völpel: Eigentlich geht es uns nur darum, das wollen wir nicht aufgeben.

Eva Völpel: Genau, Sabine, aber du hast sicher noch ein paar Worte, die uns da schon mal einstimmen, oder?

Eva Völpel: Und Alternativen, wie sieht es damit aus?

Sabine Nuss: Ja, also natürlich wäre jetzt die Frage, wie kommen wir raus aus diesem Dilemma?

Sabine Nuss: Es gibt ja die Forderung oder es gibt ja diese Schrumpfungsforderung.

Sabine Nuss: Die Wirtschaft muss schrumpfen, die Growth ist ja eigentlich nichts anderes

Sabine Nuss: als Schrumpfung und da würde ich jetzt auch nichts vorwegnehmen wollen auf die nächste Folge.

Sabine Nuss: Aber ich will jetzt erst mal sagen, wenn ich Wachstum kritisiere als per se

Sabine Nuss: Wachstum, als abstrakte, nur quantitative Größe, würde ich sagen,

Sabine Nuss: dass ein Degrowth exakt das gleiche Problem nur in der Negation macht.

Sabine Nuss: Also per se schrumpfen ist genauso wenig sinnvoll wie per se wachsen,

Sabine Nuss: weil das auch eine reine Quantität ist.

Sabine Nuss: Jetzt meinen die das natürlich nicht so. Das wäre jetzt ein bisschen böse,

Sabine Nuss: wenn ich das denen unterstellen würde. Die haben schon die Idee von,

Sabine Nuss: man muss eben halt gucken, in welchen Sektoren man wo, wie viel produziert und wo nicht.

Sabine Nuss: Das heißt, die sind eigentlich gezwungen, sich auch anzugucken,

Sabine Nuss: was ist denn das Bedürfnis. Weil beim BIP spielt ja das, was tatsächlich als

Sabine Nuss: Bedürfnis vorhanden ist, gar keine Rolle.

Sabine Nuss: Es geht ja nur darum, dass was wachsen soll, egal wie viele Leute das brauchen.

Sabine Nuss: Und du merkst, wenn du das jetzt nochmal vergleichst mit der stofflichen Ebene,

Sabine Nuss: also mit dem, was wir tatsächlich zum Anfassen haptisch sinnlich erfahrbar erfahren,

Sabine Nuss: also jetzt wie Fahrräder, Brot,

Sabine Nuss: Taxifahrt und das, was ja gezählt werden müsste, wenn wir das Pip jetzt auf

Sabine Nuss: die stoffliche Ebene runterbrechen wollen würde.

Sabine Nuss: Dass es dann einfach keinen Sinn macht zu sagen, es ist per se gut,

Sabine Nuss: wenn sich die Arztbesuche verdoppeln.

Sabine Nuss: Es ist per se gut, wenn sich die Taxifahrten verdoppeln, weil das wäre ja das

Sabine Nuss: stoffliche Wachstum. Das ist total absurd.

Sabine Nuss: Merkt man an der Stelle sofort, wie absurd das per se Wachsen ist.

Sabine Nuss: Man müsste dann eben sagen, es würde Sinn machen, wenn mehr Leute Taxi fahren,

Sabine Nuss: wenn wir stattdessen den Individualverkehr einschränken würden.

Sabine Nuss: Also du bist schon beim Bedürfnis, sofort bist du bei der Frage,

Sabine Nuss: was wollen die Leute, was brauchen die Leute, was wollen wir?

Sabine Nuss: Und das ist meines Erachtens genau auch der Punkt, um den es gehen sollte.

Sabine Nuss: Nicht mehr abstrakt von Wachstum reden, nicht abstrakt von Schrumpfung reden,

Sabine Nuss: sondern darüber reden, was brauchen wir?

Sabine Nuss: Wir brauchen funktionierende Brücken, wir brauchen eine funktionierende Bahn,

Sabine Nuss: wir brauchen die Versorgung von Alten, von Kindern, wir brauchen gute und sichere

Sabine Nuss: Arbeitsbedingungen und, und, und. und weggehen von dieser Abstraktionsebene.

Sabine Nuss: Das ist das eine, wo ich sagen würde, auf der sprachlichen Ebene kommen wir

Sabine Nuss: dann schon zum Inhalt, wenn wir die ändern.

Sabine Nuss: Und das Zweite ist, dass die Degrowth-Leute, die dann tatsächlich sagen,

Sabine Nuss: mit mir auch mitgehen würden, wir müssen uns die Sektoren angucken,

Sabine Nuss: da würde ich sagen, ja, dann ist es aber nicht im Kapitalismus möglich.

Sabine Nuss: Das geht nicht. Also im Kapitalismus können wir das nicht machen,

Sabine Nuss: dass wir sagen, in dem Sektor das, in dem Sektor das.

Eva Völpel: Das ist demokratische Wirtschaftsplanung, die dann auch die Eigentumsfrage stellen.

Sabine Nuss: Genau, und das ist dann der Punkt, den wir uns dann angucken werden.

Sabine Nuss: Geht die Degrowth-Debatte tatsächlich so weit?

Sabine Nuss: Oder hat sie die Idee, dass sich das irgendwie mit marktwirtschaftlichen...

Sabine Nuss: Koordinationsmechanismen versöhnen lässt. Das wäre dann so ein bisschen die Frage.

Eva Völpel: Ja, sehr spannend. Ich freue mich schon auf diese Folge, die wir dann irgendwann,

Eva Völpel: werden wir sie absenden.

Eva Völpel: So, und ja, ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht. Ich habe auf jeden Fall wieder

Eva Völpel: einiges gelernt. Dann wären wir jetzt beim Mitbringsel. Sabine,

Eva Völpel: hast du ein Mitbringsel?

Sabine Nuss: Ja, ich habe ein kurzes Mitbringsel. Und zwar, erinnerst du dich noch an unsere allererste Folge?

Eva Völpel: Ja, da hatten wir Marlene Marlene Engelhorn von Tax Me Now zu Gast und Nathalie

Eva Völpel: Schöttler von der One Worry Less Foundation.

Sabine Nuss: Richtig und da war ja auch das Thema Umverteilung und Marlene Engelhorn,

Sabine Nuss: Millionen Erbin, ist ja in die Medien gekommen damit, dass sie einen guten Rat

Sabine Nuss: für Rückverteilung gegründet hat.

Sabine Nuss: Das war, als sie bei uns in der Folge war, noch nicht bekannt.

Sabine Nuss: Da hat sie ihr Erbe sozusagen an diesen guten Rat für Rückverteilung,

Sabine Nuss: der per Los zusammengesetzt wurde. Das waren 50 zufällig ausgewählte Personen.

Sabine Nuss: Denen hat sie einen großen Teil ihres Erbes übergeben und dieser gute Rat für

Sabine Nuss: Rückverteilung sollte dann demokratisch entscheiden, wer jetzt dieses Geld kriegt,

Sabine Nuss: also welche Personen oder welche Organisationen das Geld erhalten.

Sabine Nuss: Marlene Engelhorn hat sich da zurückgehalten, hat sich da nicht reingeredet.

Sabine Nuss: Es war genau auch Teil der Idee, es soll eben demokratisch entschieden werden

Sabine Nuss: von dieser österreichsrepräsentativen Runde.

Sabine Nuss: Und das Geld wurde verteilt und alles war gut. Und jetzt gab es von der Otto-Brenners-Stiftung

Sabine Nuss: eine Studie, die die mediale Berichterstattung untersucht hat.

Sabine Nuss: Und da kam eben raus, dass die mediale Berichterstattung sehr stark personalisiert

Sabine Nuss: hat, also immer alles auf die Person Marlene Engelhorn bezogen hat,

Sabine Nuss: obwohl die eigentlich das gar nicht wollte.

Sabine Nuss: Und das Zweite ist, dieser gute Rat für Rückverteilung hat in der Tat diskutiert

Sabine Nuss: die Vermögens- und Machtungleichheit, die strukturelle.

Sabine Nuss: Und sie haben auch, wollten auch und haben es auch gemacht in der medialen Berichterstattung,

Sabine Nuss: wollten sie auch, dass das durchkommt, dass es immer mit thematisiert wird,

Sabine Nuss: dass wir es hier jetzt nicht mit irgendeinem Charity-Programm zu tun haben,

Sabine Nuss: sondern dass das eine Reaktion ist und es steht auch ein bisschen dafür,

Sabine Nuss: dass man was tun muss gegen diese strukturelle Ungleichheit in der Gesellschaft.

Sabine Nuss: Das, so diese Studie, ist eben in den Medien kaum rübergekommen.

Sabine Nuss: Was interessiert hat, war Marlene Engelhorn und was interessiert hat,

Sabine Nuss: war, wer kriegt da jetzt was.

Sabine Nuss: Aber der gesellschaftliche Aspekt ist nicht ausreichend beachtet worden.

Sabine Nuss: Und das finde ich nochmal interessant, weil Medien auch, wie ich finde,

Sabine Nuss: eine ganz zentrale Rolle spielen bei der ganzen Frage, wie entsteht Wissen,

Sabine Nuss: wie entsteht Diskurs und so weiter.

Eva Völpel: Auf jeden Fall.

Eva Völpel: Das finde ich ein guter Hinweis. Ich hatte gesehen, dass es da eine Studie gibt

Eva Völpel: von der Otto Brenner Stiftung. Wir verlinken die natürlich auch noch in den Shownotes.

Eva Völpel: Ich war noch nicht dazu gekommen, reinzugucken, was denn da eigentlich rausgekommen

Eva Völpel: ist. Aber jetzt weiß ich es. Vielen Dank.

Sabine Nuss: Gut, Eva, hast du auch ein Mitbringsel mitgebracht?

Eva Völpel: Ich habe auch ein Mitbringsel mitgebracht und ich bin mir sicher,

Eva Völpel: dass du es kennst. Also ich stimme es mal an, ja, Premiere hier.

Eva Völpel: Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt und die Steche beim Stechen lustvoll

Eva Völpel: stöhnt in der Montagehalle, die Neon-Sonne strahlt und der Gabelstaplerführer

Eva Völpel: mit der Stapelgabel prallt.

Eva Völpel: Ja, dann wird wieder in die Hände gespuckt. Wir steigern das Bruttosozialprodukt.

Eva Völpel: Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt.

Eva Völpel: Also, du kennst es.

Sabine Nuss: Sehr gut.

Eva Völpel: Andreas nickt auch schon hier. Es ist mir vorhin in den Sinn gekommen.

Sabine Nuss: Ja.

Eva Völpel: Wer hat es gesungen?

Sabine Nuss: Das weiß ich nicht mehr. Geiersturzlug.

Eva Völpel: Sehr gut, Geiersturzlug. 1978 ist es tatsächlich schon entstanden.

Eva Völpel: Ich hätte jetzt so die 80er, Mitte der 80er getippt, Weil ich bin 76 geboren

Eva Völpel: und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass es noch damals,

Eva Völpel: als ich es dann eher schon so wahrnahm, da dudelte es auch noch hoch und runter.

Sabine Nuss: Also erstes Mal muss ich dazu sagen, es ist jetzt wirklich das erste Mal Premiere,

Sabine Nuss: dass wir hier gesungen haben. Ja, da möchte ich jetzt gerne mal toll, Eva, applaudieren.

Eva Völpel: Ja, ich habe mich getraut. Ja.

Sabine Nuss: Und das Zweite ist, 1979 wurde ja das BSP abgelöst vom BIP. Das ist ja das, also ich weiß nicht.

Sabine Nuss: Ich meine, das war damals jetzt wahrscheinlich in der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt.

Sabine Nuss: Das war wahrscheinlich so ein statistisches Sonderthema, aber trotzdem vielleicht

Sabine Nuss: war das auch deshalb. Heute müssten sie singen, wir steigern das Bruttoinlandsprodukt.

Sabine Nuss: Das lässt sich aber nicht so schön singen.

Eva Völpel: Super. Genau. Ja, super. Also, damit sind wir am Ende dieser Folge und wir hoffen

Eva Völpel: natürlich, euch hat es wieder Spaß gemacht und ihr habt ein bisschen was mitgenommen.

Eva Völpel: Wir freuen uns über eure Rückmeldung an armutszeugnis-at-rosalux.org und sagen

Eva Völpel: Tschüss, bis zum nächsten Mal.

Sabine Nuss: Auf Wiederhören.

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